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Salzburger Alternativen

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Es ist deprimierend für einen Kunstkritiker und Redakteur, wenn dieser, von seinen Kollegen aufgefordert, über die Zukunft der Salzburger Festspiele zu schreiben, zu bedenken geben muß: Es ist schon alles gesagt, was zu sagen und zu raten war. Und es hat nichts genützt. — Dies ist keine subjektiv-pessimistische Auffassung, sondern eine Erkenntnis, die sich dem Leser, auch dem flüchtigen, eines fast 600 Seiten schweren Bandes aufdrängt, der vor kurzem unter dem Titel „Resonanz“ erschienen ist und Beiträge von 213 Autoren enthält, die sich in 20 Sprachen und 164 Zeitungen in aller Welt kritisch mit den Salzburger Festspielen beschäftigen.

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Es ist deprimierend für einen Kunstkritiker und Redakteur, wenn dieser, von seinen Kollegen aufgefordert, über die Zukunft der Salzburger Festspiele zu schreiben, zu bedenken geben muß: Es ist schon alles gesagt, was zu sagen und zu raten war. Und es hat nichts genützt. — Dies ist keine subjektiv-pessimistische Auffassung, sondern eine Erkenntnis, die sich dem Leser, auch dem flüchtigen, eines fast 600 Seiten schweren Bandes aufdrängt, der vor kurzem unter dem Titel „Resonanz“ erschienen ist und Beiträge von 213 Autoren enthält, die sich in 20 Sprachen und 164 Zeitungen in aller Welt kritisch mit den Salzburger Festspielen beschäftigen.

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Wie weit die hier gesammelten Kritiken repräsentativ und wesentlich sind, sei dahingestellt. Ihr Ton ist recht unterschiedlich. Von jenen Schreibern angefangen, die dem klassischen Rat folgen: „Sei milde, Valentin!“ bis zu den anderen, wenig zahlreichen, die mit dem Holzhammer philosophieren. — Aber einer Erkenntnis kann man sich nicht verschließen: Daß sich die über die Festspiele Berichtenden mehr den Kopf zerbrochen haben als die hierfür von Amts wegen Bestellten und Bezahlten.

Wenn wir alle die Vorschläge zur Bereicherung und Profilierung des Salzburger Programms, die Hervorhebung grundsätzlicher Fehler in der Planung, die Empfehlungen unbekannter alter und neuester Werke Revue passieren lassen und sie mit dem Realisierten vergleichen, so bleibt einem wenig in der Hand. Vielleicht könnten die Salzburger Festspiele, hätten sie während der letzten zehn Jahre eine energische Führung gehabt, die nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft blickt, die vielen guten Ratschläge entbehren. Aber so?

Statt eines Mannes mit neuen Ideen und menschlich-künstlerischer Autorität haben sie ein fünfköpfiges Direktorium, dem mindestens ein Kopf, nämlich der führende, wohlinformierte und verantwortliche fehlt. Was will man koordinieren, wo es an kompetenten Vertretern der einzelnen Sparten fehlt?

Da das neue Direktorium — aus den Herren Kaut, Karajan, Häusser- mann, Gehmacher und Wimberger bestehend — nun einmal für die nächsten Jahre bestellt ist, kann man ihm nur empfehlen, sich von erstklassigen Fachleuten beraten zu lassen. Für Oper und Konzert etwa durch die angesehenen und erfahrenen deutschen Kritiker K. H. Rup- pel und H. H. Stuckenschmidt, den künftigen Wahlsalzburger (beide Kenner und Freunde der österreichischen Kultur); für die Sparte Sprechstücke etwa durch den kultivierten Piero Rismondo, die Professoren Kindertnann und Dietrich, den das europäische Theater bestens kennenden K. M. Grimme, den Theaterfachmann Siegfried Melchinger und einige andere. — Was das Mauerblümchen Ballett betrifft, so könnte man in Aurel von Milloss, der in diesem Herbst aus Rom an die Wiener Staatsoper zurückkehrt, einen künstlerischen Berater ersten Ranges gewinnen, der wohl auch innerhalb eines Jahres das Wiener Staatsopemballett so präsen- tabel machen wird, daß man auf ausländische Truppen vielleicht wird verzichten können.

Was das Programm anlangt, so erscheint uns wichtig, daß man nicht mehr wie bisher von der Hand in den Mund lebt, sondern mindestens für drei bis vier Jahre vorausplant. Hierzu benötigt man, für Oper und Schauspiel, eine Salzburger Dramaturgie und für die Konzerte Fixpunkte, Kontinuität und Konsequenz. Es darf nicht sein, daß hier der Zufall regiert und Salzburg ein Konzertprogramm anbietet, das jede mittlere Musikstadt ihrem Stammpublikum gleichfalls zu offerieren vermag. Wir wiederholen deshalb zwei schon vor Jahren an dieser Stelle (natürlich folgenlos) gemachte Vorschläge: die neun Bruckner- und die neun Mahler-Symphonien auf zwei bis drei Jahre zu verteilen und für ihre Interpretation geeignete Dirigenten zu engagieren. Und nicht jedem jungen Inder, Japaner oder

Chinesen (sie werden sich wahrscheinlich bald melden) das abzuneh- men, was er neben dem Taktstock gerade an Partituren in seinem Reisegepäck führt.

Bruckner und Mahler also secundo loco nach Mozart, über dessen Pflege schon genug, über dessen Mißbrauch aber noch zuwenig geschrieben wurde. Und österreichische Autoren sollten auch auf der Bühne Vorrang haben. ‘

Denn die Salzburger Festspiele sind österreichische Festspiele, sie sind die Visitenkarte, die hunderttausende Ausländer zu sehen bekommen. Wo bleibt, so fragen wir (ebenfalls nicht zum erstenmal) eine konsequente Pflege der Werke Grillparzers, Nestroys, Raimunds, Bahrs, Schnitzlers und Horvaths, um nur einige Namen zu nennen. Von Hofmannsthal gehört nicht nur „Das Salzburger Große Welttheater“ wieder ins Repertoire, sondern auch ein Abend mit zwei oder drei Seiner frühen lyrischen Dramen, etwa „Der Tor und der Tod“, „Der Kaiser und die Hexe“ und „Der weiße Fächer“. Und wagt sich wirklich niemand mehr an den „Turm“, dieses großartige Stück, das freilich auch einen entsprechenden Regisseur braucht?

Und was ist mit den jüngeren Autoren? Österreichs Literatur ist mit den genannten keineswegs zu Ende. Nicht alle der in der halben Welt bekannten jungen Poeten haben Theaterstücke geschrieben. Daher veranstalte man mit attraktiven Schauspielern große Leseabende, in denen Altes und Neuestes gemischt sein möge.

Und Österreichs Bildende Kunst seit der Jahrhundertwende? Ist sie in dem Ausmaß präsent, daß der Gast von auswärts ein umfassendes, eindrucksvolles Bild bekommt? Wir haben ein Jahr vor dem 50jährigen Jubiläum einen ganz konkreten Vorschlag gemacht, wie bildende Kunst und Szene miteinander zu verbinden wären, in einer sogenannten Multi- m,edia-Produktion („Die Furche“ vom 16. August 1969). Auch daraus ist nichts geworden — oder vielmehr etwas anderes, am Theater an der Wien…

Vor allem aber wird man sich Gedanken machen müssen, wie die Jugend zu gewinnen ist. Denn die Salzburger Festspiele sind wohl so ziemlich die „etabliertesten“ und daher die am meisten überalterten, auch was das Publikum betrifft. Hierzu — vielmehr dagegen — nur noch einige Stichworte: Mehr für die jungen Leute Attraktives, also Neues, auf der Bühne und im Konzertsaal. Im letzteren hat die Zukunft schon begonnen.

Man muß das Dilemma annehmen: mehr Neues — weniger volle Kassen. Von heute auf morgen freilich lassen sich neue Publikumsschichten nicht gewinnen. Besonders für solche Veranstaltungen ist daher ein Kontingent billigerer Eintrittskarten bereitzustellen. Denn es darf nicht sein, daß die Impulse immer mehr vom Kommerziellen, „Gesellschaftlichen“ und Repräsentativen, statt vom Künstlerischen ausgehen. Sonst wird Salzburg keine Zukunft, sondern nur noch eine mythenverbrämte Vergangenheit haben.

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