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Sankt Severin starb doch in Heiligenstadt

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„Als ich die Holzverkleidung des Altars auf der Südseite wegnahm, bemerkte ich zwei übereinanderliegende Altarplatten, jede von ungefähr zwanzig Zentimeter Dicke und etwa zwei Quadratmeter Fläche. Die obere Platte war Sandstein, die untere Marmor… Warum und wieso lag über der Marmorplatte der Sandstein?” Dies berichtete schon 1958 der damalige Pfarrer von Heiligenstadt, Msgr.

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„Als ich die Holzverkleidung des Altars auf der Südseite wegnahm, bemerkte ich zwei übereinanderliegende Altarplatten, jede von ungefähr zwanzig Zentimeter Dicke und etwa zwei Quadratmeter Fläche. Die obere Platte war Sandstein, die untere Marmor… Warum und wieso lag über der Marmorplatte der Sandstein?” Dies berichtete schon 1958 der damalige Pfarrer von Heiligenstadt, Msgr.

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Klemens Kramert, in einem Buch, in dem er gemeinsam mit Emst Karl Winter die Ergebnisse mehrjähriger Grabungen in der St. Jakobskirche zusammenfaßte. Mit diesen Grabungen begann aber auch der Streit um seine These, das Grab des Heiligen entdeckt zu haben, denn die Mehrzahl der Archäologen lehnte diese ab. Neueste Forschungen könnten die Streitfrage erneut aufrollen.

Die Spitzhacke eines streitbaren Dorfpfarrers und der kriminalistische Spürsinn einer Archäologin brachten es an den Tag: Wien war nicht Vindobona. Das Legionslager Vindobona lag im heutigen dritten Wiener Gemeindebezirk jenseits des Wienflusses und nicht am Hohen Markt, wo die Wissenschaft es bisher lokalisierte; dort stand vielmehr die römische Zivilstadt Favianis, von dem sich auch der Name „Wien” ableitet, während Vindobona noch in „Wieden” (für den 4. Bezirk) und „Vidėn” tschechisch und polnisch für Wien) fortlebt. Das sind die hervorstechendsten Resultate einer zwölfjährigen Forschungsarbeit der Wiener Archäologin und Althistorikerin Dr. Johanna Haberl, die sie in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Favianis, Vindobona und Wien” (Verlag Brill, Leiden) veröffentlicht hat.

Ein Pfarrer hat eine Idee

Wie kam sie zu diesen erstaunlichen Feststellungen, die nichts weniger als einen Umsturz bisher gesichert geglaubter Kapitel der österreichischen Frühgeschichte bedeuten? Den Anstoß gab die Kontroverse um die Deutung der 1950 bis 1952 in der St. Jakobskirche in Heiligenstadt freigelegten Funde aus der Römerzeit. Der damalige Pfarrer von Heiligenstadt, Monsignore Klemens Kramert, hatte bei der Erneuerung seiner restaurierungsbedürftigen und kriegsbeschä- digten Kirche selbst zur Spitzhacke gegriffen und war dabei unter einem Seitenaltar auf die ersten römischen Mauerreste gestoßen. Er sah sehr rasch einen Zusammenhang mit der uralten Tradition der Verehrung des hl. Severin in seiner Pfarre (wie auch in.Sievering) und stellte kühn die Hypothese auf, an jener Stelle müsse die letzte Ruhestätte des „Apostels von Norikum” sein. Tatsächlich fand sich bei den anschließenden systematischen Grabungen ein Grab aus dem 5. Jahrhundert n.Chr. innerhalb der Grundmauern eines römischen Militärbaues. Für des Pfarrherm Idee sprach aber noch mehr: Die Lebensbeschreibung des hl. Severin, die von seinem Nachfolger Eugippius 511 verfaßt worden war, hielt fest, daß der Heilige 482 in seiner Zelle fünf römi-, sehe Meilen von einem Ort „Favianis” entfernt gestorben war. Bis ins 19. Jahrhundert aber galt dieses Favianis als das nachmalige Wien.

Die Wissenschaft war dagegen

Die Wissenschaft hingegen hatte sich in dieser Frage im vorigen Jahrhundert entschieden und endgültig zugunsten von Mautern an der Donau, am Ausgang der Wachau, ausgesprochen; und so lehnte denn auch die Mehrzahl der Historiker und Archäologen der „Wiener Schule” die These des Heiligenstädter Pfarrherrn ab. Hier setzte nun Dr. Haberls Arbeit ein. Sie war in der Mitte der Fünfzigeijah- re, als die Kontroverse noch alle Gemüter bewegte, nach einem Studienaufenthalt in Oxford im Bundesdenkmalamt tätig. Auffallende Diskrepanzen zwischen den Grabungsergebnissen von Heiligenstadt, bei denen vieles für die Severinthese sprach, und deren Darstellung in Fachpublikationen veranlaß ten die Archäologin, die ganze Frage anhand aller bekannten Quellen und Dokumente neu aufzurollen. So wurde aus der Suche nach dem Favianis des hl. Severin sehr bald eine mit Akribie durchgeführte Neuerforschung der Frühgeschichte Wiens.

Wenn Ziegelsteine reden

Anhand von Ortsangaben auf einigen Legionsstempeln der Ziegelfunde im 1. Bezirk konnte die Forscherin zunächst nachweisen, daß die bekannten römischen Funde am Hohen Markt Überreste des um 50 n. Chr. von Kaiser Claudius gegründeten und von Plinius bezeugten „Viana” (auch „Faviana”) sein mußten. Erst für die Mitte des 2. Jahrhunderts, so zeigte sie in einem zweiten Schritt, lassen sich hingegen Beweise dafür finden, daß jenseits des Wienflusses, in der Gegend, die heute zwischen Oberem Belvedere und Arsenal liegt, ein Legionslager errichtet wurde; nach literarischen Überlieferungen und Vorgefundenen Ziegelstempeln und Meilensteinen wurde es „Vindobona” genannt. Die günstige Lage an der Reichs- und Provinzgrenze - der Wienfluß trennte Norikum von Pannonien - dürfte die strategisch denkenden Römer zu dieser Ortswahl bewogen haben. Das ältere, durch Steilböschungen auf drei Seiten allzusehr beengte Kastell Favianis wurde also nicht, wie bisher angenommen, zu einem Militärlager (mit den fiktiven Hauptachsen Tuchlau- ben/Marc-Aurel-Straße und Wipplin- ger Straße/Hoher Markt) umgebaut. Es war und blieb vielmehr ein gesichertes Kastell mit ziviler Bevölkerung, wie auch Grabfunde an den Ausfallstraßen belegen. Eine starke Garnison im späteren „Berghof1 hatte den wichtigen Donauübergang zu sichern und in den unübersichtlichen Flußauen per Schiff zu patrouillieren.

Daß das Legionslager Vindobona immer schon im heutigen 3. Bezirk gelegen sein muß, bezeugen auch überlieferte Orts- und Distanzangaben, unter anderem im Itinerarium (Wegbuch des Antoninus um 150) oder auf der Tabula Peutingeriana (der mittelalterlichen Kopie einer spätrömischen Straßenkarte): Die mehrfach erwähnten 28 römischen Meilen von Carnuntum bis Vindobona führen vom erhaltenen Lagertor in Petronell genau bis zum Oberen Belvedere, ebenso die sieben Meüen auf den römischen Meilensteinen von Kleinschwechat (Ala nova) oder die überlieferten 16 Meilen ab Zeiselmauer (Citio). Favianis hingegen ließ sich mit dem Kursbuch lokalisieren; den entscheidenden Hinweis dazu gibt in der Lebensbeschreibung des hl. Severin sein landeskundiger Nachfolger Eugippius. Er sagt, daß Favianis am Hister (dem schiffbaren Teil der Donau) gelegen sei, und zwar „centum et ultra milibus” (spätlateinisch für „200 Meilen”) von Batavis (Passau) entfernt. Das aber sind genau die 297 Stromkilometer, die das DDSG-Kursbuch für die Strecke Pas- sau-Wien verzeichnet!

Österreich - Land an der Ister

Ausgehend von „Hister” (der byzantinischen Benennung des schiffbaren Donauunterlaufes) hat Dr. Haberl auch über die Reihe „Ui- ster”-„Ostar”-„Eszter” eine neue Er oder „Ustriche” schon Einhard, dem ersten Biographen Karls des Großen, bekannt. Die Ottonen und Babenberger übernahmen es als „Ostarrichi”, wobei die letzteren es zu „Austria” latinisierten und fälschlicherweise auf das ganze Land zwischen Inn und Leitha bezogen. Das führte zusammen mit der falschen Rückübersetzung als „Ostmark” durch ein Jahrtausend zu teüs folgenschweren Fehldeutungen und Gebietsansprüchen.

Aus römischen, byzantinischen, arabischen und frühmittelalterlichen Quellen leitet Dr. Haberl die eindrück- liche Ahnen reihe des Namens von Wien ab: von „Viana” (in der Historia Naturalis des Plinius ums Jahr 50), „Fa-viana” und „Fabiana” (auf Stempeln der XIII. und X. Legion), „Fafia- na” (in der Notitia Dignitatum, einem byzantinischen „Amtskalender”) und „Favianis” (in der Severins-Vita) geht es über „Viennis” zu den eingedeutschten „Fawenna”, „Ad Weniam” und „Wienna”. Unter dieser Form trat Wien schon den Bambergern entgegen, und so hat es sich nicht nur in den romanischen Sprachen erhalten, sondern auch in der mundartlichen Aussprache als „Wian” oder „Wean” in weiten Teilen Österreichs und in der Schweiz. Das hochsprachliche „Wien” mit dem germanisierenden stummen „e” hingegen wurde erst unter Kaiser Franz II. anfangs des 19. Jahrhunderts unter deutschem Einfluß offiziell.

Und was ist aus „Vindobona” geworden? Es ist nicht ganz untergegan klärung für Herkunft und Sinngehalt des Namens „Österreich” gefunden, die Auslegungen wie „Ostreich” oder gar „Ostmark” vergessen läßt. Vielmehr ist - ihrer Meinung nach - das „Land an der Ister”. Es erstreckte sich ursprünglich nur von der Leitha bis an die Enns und war als „Uisterrichi” gen, es lebt noch fort in der Bezeichnung des Bezirkes „Wieden”, dessen Name sich im Zuge der baulichen Entwicklung allerdings vom 3. auf den 4. Wiener Gemeindebezirk verlagert hat. Schließlich zeugt auch das tschechische und polnische „Vidėn” für Wien noch von der engen Nachbarschaft Vindobonas zu seiner Schwesterstadt Favianis.

Konsequenzen für Österreichs Geschichte

In drei Punkten lassen sich die Konsequenzen der Arbeit von Dr. Haberl zusammenfassen: erstens dürfte durch den Nachweis der Identität von Favianis und Wien - lange als „nationale Legende” belächelt - der Streit um Sterbeort und Grabstätte des hl. Severin wohl endgültig zugunsten Heiligenstadts entschieden worden sein. Zweitens ist durch die Rekonstruktion der tatsächlichen römischen Siedlungsstruktur ein bedeutender Beitrag zur Frühgeschichte Wiens erbracht würden. Am wichtigsten erscheint aber die zusätzlich mit einer Fülle von Beweisen erhärtete Erkenntnis, daß die oft angezweifelte Kontinuität der geschichtlichen und kulturellen Entwicklung des Landes Österreich über die Stürme der Völkerwanderung hinweg bis zu den Babenbergern erhalten blieb. Österreich hat also eine durchaus eigenständige, fest in der Frühzeit verwurzelte Geschichte.

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