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Sacharow: Sanktionen sind sehr wichtig

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Der Westen ehrt zwar prominente russische Dissidenten mit dem Nobelpreis, hört ansonsten aber kaum auf sie. Wir geben im folgenden der Stimme zweier der namhaftesten russischen Regimekritiker Raum, die in der Lagebeurteilung in wichtigen Punkten übereinstimmen, anderswo auch differieren. Im besonderen bei Solschenizyn wird ein so starker russischer Nationalismus spürbar, daß daneben globalstrategische Überlegungen kaum noch geduldet werden. Hier wird man ihm sch wer folgen können. Gewiß aber sind beide Stimmen hörens- und bedenkenswert.

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Der Westen ehrt zwar prominente russische Dissidenten mit dem Nobelpreis, hört ansonsten aber kaum auf sie. Wir geben im folgenden der Stimme zweier der namhaftesten russischen Regimekritiker Raum, die in der Lagebeurteilung in wichtigen Punkten übereinstimmen, anderswo auch differieren. Im besonderen bei Solschenizyn wird ein so starker russischer Nationalismus spürbar, daß daneben globalstrategische Überlegungen kaum noch geduldet werden. Hier wird man ihm sch wer folgen können. Gewiß aber sind beide Stimmen hörens- und bedenkenswert.

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Ich lebe in einer Wohnung,vor der Tag und Nacht ein Polizist Wache hält. Er verwehrt - bis auf wenige Ausnahmen -jedem, der nicht zur Familie gehört, den Eintritt. Ich habe einen alten Freund hier in Gorki. Der Preis, den er bezahlen muß, um mit mir in Verbindung zu bleiben: nach jedem Besuch eine Vorladung zum KGB.

Alle anderen Besucher sind Leute, die der KGB „akzeptiert”. Ich habe kein Telefon in der Wohnung; ich kann nicht einmal vom öffentlichen Telefon am Postamt nach Leningrad oder Moskau telefonieren. Den Agenten des KGB, die mich ständig verfolgen, gelingt es immer wieder die Verbindung unterbrechen zu lassen.

Ich bekomme sehr wenig Post; die wenige aber, die ich bekomme, enthält Beschimpfungen oder sie stammt von Leuten, die mich umerziehen wollen. Merkwürdigerweise kommen einige solche Briefe aus dem Westen. Aber auch sehr freundschaftliche Schreiben sind dabei, für die ich den Absendern von ganzem Herzen Dank sage . . .

Was aber mein tägliches Leben betrifft, so ist mein Los natürlich immer noch besser als das meiner Freunde, die ins Exil mußten, besser vor allem auch als das jener, die zu Zuchthaus oder Zwangsarbeit verurteilt worden sind...

Unser einziger Schutz besteht darin, daß weltweit unsere Freunde die Auf-. merksamkeit der Öffentlichkeit auf unser Schicksal lenken. Ich möchte an dieser Stelle einige Gedanken, die mich bewegen, äußern und erklären, wie sich mir die Dinge hier in Gorki, einer Stadt, die Fremden nicht zugänglich ist, in der tiefsten Provinz der Sowjetunion darstellen.

Im Weltgleichgewicht der Kräfte hat sich ein grundlegender Wandel ergeben. Der Unterschied wird laufend deutlicher .. . Um diese Situation besser beurteilen zu können, ist es notwendig, die Besonderheiten der Sowjetunion klar zu sehen. Sie ist ein in sich geschlossener totalitärer Staat, mit einer militarisierten Wirtschaft und einer bürokratischen Kontrolle durch Zentralstellen. All das macht den andauernden Machtzuwachs noch gefährlicher.

In eher demokratischen Gesellschaften wird jede weitere Rüstungsentscheidung einer budgetären und somit politischen und öffentlichen Kontrolle unterworfen. In der Sowjetunion erfolgen alle diese Entscheidungen im geheimen und die Außenwelt erfährt sie erst, wenn sie vor den vollendeten Tatsachen steht. Was aber noch schlimmer ist: dieselbe Vorgangsweise wird in der Au ßen-politik, die über Krieg und Frieden entscheidet, verfolgt.

Gleichzeitig mit der Verschiebung des Gleichgewichts der Kräfte - ohne daß aber dieser Wandel allein ausschlaggebend war - haben wir einer sowjetischen Expansion beigewohnt, die teils offenkundig, teils verborgen war:

Südostasien (wo Vietnam stellvertretend am Werk war), Angola (mit Kuba als Agenten), Äthiopien und Jemen sind nur einige Beispiele. Die Invasion Afghanistans kann sehr gut eine neue und gefährliche Etappe in dieser Expansion sein. Sie hat sich auf dem Hintergrund der Tragödie im Iran abgespielt und hat vielleicht eine versteckte Beziehung zu ihr; auf jeden Fall hat sie die internationale Spannung auf der ganzen Welt verstärkt und sowohl Abrüstungsverhandlungen wie auch sonstige Konfliktregelungen verhindert.

Insbesondere wurde verhindert, daß der SALT II-Vertrag, der für die Welt von eminenter Bedeutung ist, durch den amerikanischen Kongreß ratifiziert wurde ...

Auch die Wiener Truppenabbaugespräche sind in einem traurigen Zustand: auch dies hauptsächlich aus sowjetischer Schuld. Trotz allem, was geschehen ist, habe ich den Eindruck, daß die Probleme, die Krieg, Frieden und Abrüstung betreffen so brennend sind, daß man ihnen absoluten Vorrang einräumen sollte. Verhandlungen über die Abrüstung sind (aber) nur auf der Basis einer strategischen Parität wirklich möglich.

Die Länder des Westens müssen alles unternehmen, um diese Parität zu erhalten oder sie in manchen Fällen wiederherzustellen. Sie bewahren sich damit davor, de facto Opfer einer demagogischen Erpressungskampagne zu werden, wie dies mit den amerikanischen Raketen in Europa der Fall war.

Die friedliche Regelung „heißer Konflikte” ist von gleichrangiger Bedeutung. Der Einmarsch in Afghanistan wurde von 104 Ländern verurteilt, aber der Krieg geht dort weiter, ohne daß sein Ende abzusehen wäre. Wirtschaftliche und politische Sanktionen sind unglaublich wichtig, sie können nämlich die Position der verantwortungsvolleren und weniger dogmatischen Kräfte in der sowjetischen Führung stärken.

Ein möglichst vollständiger Boykott der Olympischen Spiele in Moskau wäre dringend geboten (gewesen). Jeder Zuseher, jeder Wettkämpfer, der an diesen Olympischen Spielen teilnimmt, wird indirekt die militärischen Ziele der Sowjetunion unterstützen.

Es ist für das Uberleben notwendig, den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan zu fordern. . . .

Was kann der Westen nun tun, um die Herausforderung anzunehmen? Die Welt erwarten äußerst schwere Zeiten und grausame Katastrophen, wenn der Westen und die Entwicklungsländer, die sich einen Platz an seiner Seite sichern wollen, nicht Zeugnis von Standhaftigkeit, Einheit und Beharrlichkeit ablegen, indem sie der Herausforderung des Totalitarismus entgegentreten.

Das gilt für die Regierungen, die Intelligenz, die Geschäftsleute und letztlich für alle Menschen. Es ist wichtig, daß die gemeinsame Gefahr vollkommen erkannt wird; alles andere ergibt sich dann. Während dieser letzten Monate standen wir im Banne der Ereignisse von Afghanistan und Teheran. Die Reaktionen in Europa, zumindest die ursprünglichen, waren nicht einheitlich und konsequent, wie sie meiner Ansicht nach hätten sein sollen.

So konnte man in den Zeitungen Aussagen lesen wie: „Laßt Carter sich um all das kümmern! Er bewirbt sich ja bei den Wahlen und schließlich ist das eine rein amerikanische Angelegenheit . ..”

Unlängst haben der deutsche Schriftsteller Günther Grass und drei andere Autoren ähnliche Erklärungen abgegeben. Die sowjetische Presse delektiert sich an solchen Bemerkungen . ..

Europa kann wirklich auf vieles stolz sein. Aber es ist einfach nicht zulässig, daß es eine arrogante Haltung einnimmt. Der tragische Grundzug unserer Epoche verbietet dies. Europa muß einfach Seite an Seite mit der transatlantischen Demokratie, die ja ihr Werk und ihre größte Hoffnung ist, kämpfen.

(Auszüge aus einem Brief Sacharows an die „New York Times”. Beide Texte wurden von Alexa und Christof Gaspari übersetzt)

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