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Sau frißt Gras

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Wohin wird uns die Gentech­nik in 300 Jahren gebracht haben? John Newell, Autor des Bu­ches „Natur nach Wunsch - Gen­technik heute" ist keiner von jenen, die Horror-Szenarios an die Wand malen. Er hat andere Visionen.

„Wenn die reichen Länder noch reicher werden sollten" -waskönn-ten sie, meint er wohl, dann? Den armen Ländern helfen? I wo! Das Super-Experiment des nächsten Jahrtausends könnten sie sich dann leisten: Protein-Ingenieure sollen den Mikroorganismen, die in der Antarktis oder in über hundert Grad Celsius heißen Quellen gedeihen, ihre Tricks abschauen und Mikro­organismen züchten, „die auf dem Mars, dem Mond, der Venus oder sogar in den Wolken des Jupiter oder auf seinen Monden überleben können. Man wird Mikroorganis­men auf den Mars schicken, um diesen Planeten mit Wasser und seine Atmosphäre mit Sauerstoff anzureichern, und ihn dadurch für die Besiedelung durch den Men­schen vorbereiten." Vielleicht auf der Flucht vor den Folgen eines gentechnischen Super-GAU?

Das mögliche Gefahrenpotential der Gentechnik blendet Newell ebenso aus wie die grausige Vision einer in Richtung Konformismus und Beherrschbarkeit manipulier­baren Menschheit.

Er zitiert die Botschaft, welche die Präsidenten der deutschen Wissenschaftsorganisationen vor der letzten Lesung des deutschen Gentechnikgesetzes an die Frak­tionsvorsitzenden richteten, daß die Gefährlichkeit der Gentechnologie in der Bundesrepublik überschätzt werde. Er selbst scheint Gefahren überhaupt zu negieren, er fährt voll auf der Welle: Sowenig Kontrolle wie möglich.

Was uns ins Haus steht, ist eine wilde Melange positiver Fortschrit­te, vor allem bei gentechnisch her­gestellten Medikamenten, mit vie­lem, was vor allem wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch proble­matisch erscheint und einer Welle von „Fortschritten", die geeignet sind, Angst zu machen.

Impfstoffe gegen Krebsformen, bei deren Entstehung Viren betei­ligt sind, sollen bald am Menschen erprobt werden. Dazu gehören Impfstoffe gegen das Epstein-Barr-Virus, das bei der Entstehung eines in Südchina verbreiteten Rachen­krebses eine Rolle spielt, oder ge­gen einen Lymphknoten-Krebs, an dem in Afrika jährlich rund 10.000 Kinder erkranken. Eines Tages wohl auch gegen den Gebärmutterhals­krebs. In Hochsicherheitslabors bei Salisbury, Australien, wird ein Impfstoff gegen das gefürchtete Lassafieber entwickelt.

Auch gegen die infektiöse rheu­matoide Arthritis ist für einen Teil der Patienten gentechnologische Hilfe in Sicht. Bei ihnen ist nach neuen Erkenntnissen sehr wohl ein Virus im Spiel. Bei dessen Bekämp­fung durch das Immunsystem wird zugleich das körpereigene Gewebe der Gelenke angegriffen Antige­ne der Gelenkknorpel sind dem Antigen des Parvovirus sehr ähn­lich. Bei einem Teil der Menschen ist das Autoimmunsystem nicht in der Lage, die autoimmune Kreuz­reaktion zu unterdrücken. Sie könn­ten gegen den Parvovirus vorbeu­gend geimpft werden.

Die Medizin ist wohl das Gebiet, auf dem die Gentechnologie tat­sächlich unentbehrlich geworden ist. Aber auch hier sind für unseren Autor ethische Abgrenzungen kein besonderes Problem: „Viele Men­schen werden es dann als ihr Recht einfordern, gegen ein gewisses Entgelt die Gene ihrer Kinder aus­wählen zu können, um damit deren Zukunft vorherzubestimmen. Nach den Genen für die Gesundheit werden früher oder später auch Gene für Intelligenz oder Schön­heit käuflich sein... Die vielleicht schwierigste Frage, die beantwor­tet werden muß, ist, welche der denkbaren Vorteile der Gentech­nik und anderer Methoden für alle in der Routinemedizin erhältlich sein sollten und welche als Luxus betrachtet werden müßten, für den der einzelne voll und ganz aus eige­ner Tasche bezahlen muß."

Newell über Jeremy Rifkin, der in den USA durch eine Klage er­reichte, „daß alle zukünftigen gen­technischen Versuche am Menschen öffentlich diskutiert und von der Öffentlichkeit gebilligt werden müssen, bevor man weiterarbeiten darf: Das hört sich gut an, aber es könnte zu endlosen Verzögerungen bei medizinischen Fortschritten führen."

Selbstverständlich sieht Newell Leistungssteigerungen in der Land­wirtschaft mit gentechnologischen Methoden kritiklos positiv. Kein Wort über die negativen gesell­schaftlichen Veränderungen in der Dritten Welt, etwa in Südostasien (FURCHE 33/1990) durch patentiertes Saatgut, kein Wort über die Widerstände gegen die Hormon-ge-dopte Hochleistungs-„Turbokuh" in der EG, die mit ihrer problema­tischen Milch die ganze auf volle Abnahme der Milchproduktion ba­sierende Milchwirtschaftsordnung zu sprengen droht.

Am transgenen Schwein wird schon gebastelt: Es soll Zellulose verdauen und Gras fressen können. Die Hühner sperren sich noch ge­gen das Schnellwachstum zum Su-perhuhn. Dafür sollen demnächst zehn Spezialhühner täglich ein Gramm Insulin für Zuckerkranke legen (sie werden es ins Albumin der Eier verpacken). Aber ihr Kon­kurrenzkampf gegen transgene Raupen, die als kriechende Bioreak­toren Medikamente und Schäd­lingsbekämpfungsmittel erzeugen, ist schon programmiert.

Für die weitere Zukunft malt Ne­well ein Bild, das den Gegnern der Tierversuche (vielleicht) gefallen wird. Man wird in seiner schönen neuen Welt den Tieren nicht nur diese Leiden ersparen können, son­dern auch das Gegessenwerden -und somit gleich die ganze Exi­stenz: „In beiden Fällen könnte die Gentechnik das Leiden von Tieren beenden. Zuchttiere, die zur Fleischgewinnung getötet werden, könnten und sollten durch Zellkul­turen von Säugerzellen, denen zu­sätzlich Gene für Geschmack und Konsistenz eingeschleust wurden, ersetzt werden... In Rindfleisch könnte Meerrettich- oder Senfge­schmack, in Lammfleisch Pfeffer­minzgeschmack eingebaut wer­den."

Wenn schon für Tierversuche ganze Tiere nötig sind, könnte man sie, so Newell, in der Weise verän­dern, daß die Versuchstiere „keine übergeordneten Gehirnzellen, die für das Bewußtsein zuständig sind, besitzen", so daß sie auch nicht lei­den. Von menschenähnlichen Ro­botern ohne übergeordnete Gehirn­zellen und Leidensfähigkeit spricht er vorerst nicht.

Man muß dem Herder-Verlag für dieses Buch dankbar sein - es ver­rät Normalsterblichen, wie ein mehr oder weniger großer Teil der großen Macher denkt. Aber ein kritisches Vorwort hätte nicht geschadet. Manches, was da steht, wird unsere Zukunft bestimmen. Und nicht al­les ist ganz und gar abzulehnen.

Trotzdem packt einen beim Le­sen die nackte Angst - oder man entschließt sich zu höchster Wach­samkeit, je nach Temperament. Denn das Ganze ist unterschwellig von der tiefen Überzeugung von der Richtigkeit der vertretenen Position durchdrungen und von keinem Zweifel an der Weichen­stellung in Richtung von Aldous Huxleys klassischer negativer Zukunftsvision „Brave New World", mit der die Welt der alles-könnenden Gentechnik soviel Ähnlichkeit hat, angekränkelt. Es besteht die Gefahr, daß sich Men­schen, die so denken, auch berufen fühlen, ihre Visionen zu realisie­ren, ohne die anderen demokra­tisch zu fragen, ob sie diese tief­greifende Veränderung der Welt wünschen.

Das apokalyptische Potential der Gentechnologie wird teils wegdis­putiert, teils verschwiegen. Newell verbittet sich Vergleiche zwischen Gentechnologie und Kernenergie, operiert aber mit der Logik, die bei der Kernenergie so lang funktio­niert hat, wonach das Ausbleiben eines Unglücks beweist, daß es sich auch in Zukunft nicht ereignen wird. Nun ist der gentechnische Super-GAU, das Entstehen und Entweichen irgendeiner mörderi­schen Lebensform, zwar vielleicht unwahrscheinlich, vielleicht fast unmöglich, aber keinesfalls total auszuschließen.

Sollten eines Tages vermehrungs­fähige neuen Lebensformen freige­setzt werden, käme es möglicher­weise zur chemischen Kontamina­tion aller irdischen Lebensräume durch eine durchsetzungsfähige neue Flora und Fauna, der kein Regen- und kein sonstiger Wald, kein Wattenmeer, kein Korallen­riff und auch nicht die Artenge­meinschaft einer Wiese standhält. Ein Naturwissenschaftler, der be­haupten wollte, das dadurch ge­gebene Gefahrenpotential auch nur annähernd quantifizieren oder die indirekten, irreversiblen Auswir­kungen „korrigierender" Eingriffe in komplexe Ökosysteme abschät­zen zu können, würde sich belügen, oder die anderen, oder beides.

Den Menschen gefährdet weni­ger die Unmöglichkeit, die Folgen seiner Eingriffe in das Ökosystem Erde in ihrer ganzen Komplexität durchschauen oder gar „planen" zu können, als vielmehr seine Un­fähigkeit, zu einem Konsens über die Verringerung dieser Eingriffe zu gelangen.

NATUR NACH WUNSCH? Gentechnologie heute. Von John Newell. Herder Verlag, Frei­burg 1990.222 Seiten, Fotos, Pb., öS 310,40.

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