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Sauerteig in der heutigen Gesellschaft

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Was haben Frauenorden heute noch für eine Funktion in einer modernen Gesellschaft, in der der Staat ihnen ihre einstigen Aufgaben abgenommen hat — für Findelkinder, für Kranke zu sorgen, die Kinder auszubilden —, und auch aus enttäuschter Liebe geht heute wohl kein Mädchen mehr für den Rest des Lebens ins Kloster.

„Seit dem Konzil hat man immer wieder darauf hingewiesen, daß die Ordensleute ein Zeichen sein sollen“, sagt Schwester Gertraud Stickler von den Don-Bos- co-Schwestern in Rom. „Sie sollen Sauerteig sein in der Welt, um die Menschen zum Glauben zu führen.“

Schwester Gertraud stammt aus Neunkirchen. Sie fand den Weg in den Orden während ihres Studiums in Wien. Ihr Orden—die Don-Bosco-Schwestern mit Sitz in Turin — schickte sie zur Vollendüng ihrer Ausbildung nach Bologna und Leüven.

Heute unterrichtet sie Religionspsychologie an der Ordenshochschule in Rom, der einzigen universitären Ausbildungsstätte für die Führungskräfte der Frauenorden. Das integrative Ausbildungsprogramm bietet in einem fünfjährigen Lehrgang Erziehungswissenschaften und verbindet hierbei die modernen Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie mit dem philosophisch-theologischen Fundament. Schon die Existenz dieser Hochschule macht deutlich, wie sich das Bild, wie sich auch das Selbstverständnis der Frauenorden seit dem Konzil verändert hat.

Was kann heute die Motivation für ein junges Mädchen, eine junge Frau sein, in einen Orden einzutreten?

Schwester Gertraud: „Es wäre unmöglich, eine rein materielle oder psychologische Motivation zu haben, damit könnte eine Interessentin nicht glücklich werden, sie könnte auch krank werden. Aber es kommt natürlich immer wieder vor, daß sie mit anderen Motiven kommt, um dann eines Tages zu merken, etwas stimmt nicht in mir. Dann kommt sie zur Klärung ihrer selbst und fängt an, viel bewußter die eigene Berufung aufzunehmen und sie zu leben in der richtigen Ausrichtung auf Gott hin.“

Heute gilt als unteres Eiritritts- alter ein solches von 17 Jahren, eine Obergrenze von 30. Die Anwärterinnen sollen reif genug sein, ihren Schritt genau erfassen zu können, aber durch ihr bisheriges Leben noch nicht so stark geprägt, daß sie Schwierigkeiten hätten, sich in eine klösterliche Gemeinschaft einzufügen.

Die universitäre Ausbildung der Führungskräfte hat ebenso wie die Verschärfung der Aufnahmekriterien — man verlangt von den Anwärterinnen heute normalerweise Matura oder eine abgeschlossene Berufsausbildung — zu einer Hebung des Bildungsniveaus in den Orden geführt. Was aber ist mit jenen dienenden Funktionen, mit denen die Ordensfrauen ebenfalls durch die Jahrhunderte identifiziert wurden — von der Küche im Bischofshof bis zur Landwirtschaft des Klosters?

Es gibt schon noch einige, die sich solche Tätigkeiten aussu chen, weil sie ihnen liegen, meint Schwester Gertraud, oder weil sie solche Fähigkeiten mitbringen und keine besonderen Studien absolviert haben.

Aber im eigenen Kloster beteiligen sich auch die Professorinnen der Hochschule an den anfallenden Hausarbeiten, soweit es ihre Zeit erlaubt, nicht nur, weil Dienstpersonal zu teuer käme, sondern mehr noch, weil der sale- sianische Geist es erfordert.

Gehen die Orden in die Öffentlichkeit, betreiben sie Werbung? „Die beste Werbung ist eine gute Arbeit“, wehrt Schwester Gertraud die „Zumutung“ weltlicher Werbemethoden von sich.

Aber natürlich muß man den jungen Menschen entgegengehen, die neben ihrer schulischen Ausbildung und der weltlichen Unterhaltung wirklich etwas Höheres suchen und sich nicht damit begnügen, nur am Sonntag in die Messe zu gehen, sondern eine persönliche und religiöse Ausbildung anstreben.

Deswegen bieten etwa in Österreich die Frauenorden verschiedene Formen von Ferientagen an, zu Silvester, zu Ostern und Pfingsten, Kloster auf Zeit oder Ferien im Kloster, mit einem ganzheitlich-menschlich-religiösen Programm.

In Österreich bestehen zur Zeit 131 Frauenorden — 150 ihrer Führungskräfte kamen kürzlich in Vöcklabruck zur Jahrestagung zusammen, um gemeinsame Aufgaben zu diskutieren und sich auch geistig zu regenerieren. Schwester Gertraud Stickler trat als Gastreferentin auf.

In diesen 131 Frauenorden gibt es heute knapp 9.000 Schwestern, um 300 weniger als noch im Vorjahr. Aber 95 Novizinnen und 79 Postulantinnen bereiten sich auf die endgültige Aufnahme vor.

Schwester Theresia Sessing wirkt als Generalsekretärin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs und damit als Bindeglied zwischen den so verschiedenen Gemeinschaften, die von den meditativen Karmelitinnen über Schul- und Pflegeorden bis zu den modernen, ziviltragenden Gemeinschaften wie den Missiona- rinnen Christi reichen.

„Das Interesse in der Jugend ist vorhanden“, stellt Schwester Theresia fest. Im Vorjahr meldeten sich 198 Burschen und 211 Mädchen im Informationszentrum für geistliche Berufe am Wiener Stephansplatz, um sich zu erkundigen.

Seit zwei bis drei Jahren nimmt die Zahl der Interessenten wieder zu. Jahrelang sah es übel aus. In den Jahren nach dem Konzil verließen jährlich durchschnittlich 80 Ordensfrauen ihre Gemeinschaften - jetzt sind es noch zwischen 16 und 18.

In Deutschland sind die Ausfälle noch höher, dort gilt das Alter zwischen 40 und 50 als „gefährlich“. In Österreich kommt nach 50 erst die Krise. Auch Klosterschwestern sind nicht vor der Midlife-crisis gefeit.

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