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Schach dem Verkehrstod

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Verkehrsunfälle mit Personenschäden haben in Österreich längst ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht. Positive Appelle an die Disziplin reichen nicht mehr.

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Verkehrsunfälle mit Personenschäden haben in Österreich längst ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht. Positive Appelle an die Disziplin reichen nicht mehr.

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1. Maßnahme: Reorganisation der gesamten Fahrerausbildung und Lenkerprüfung.

Da die Lenkerausbildung zur Zeit mehr auf das Bestehen der Führerscheinprüfung und weniger auf späteres verkehrsangepaßtes Fahren ausgerichtet ist, sollte eine neue Ausbildungsverordnung geschaffen und gesetzlich verankert werden.

Durch die längst fällige Reform der Lenkerprüfung soll nicht nur eine größere Objektivität und Chancengleichheit, sondern vor allem eine Reduktion des überproportional hohen Anfängerrisikos erreicht werden.

2. Maßnahme: Führerschein auf Probe für Fahranfänger mit zweiter Ausbildungsphase und problemspezifischer Nachschulung.

Das überproportional hohe Unfallrisiko ist u. a. auch darauf zurückzuführen, daß Fahranfänger in der Grundausbildung noch zu sehr mit Regelwissen und Fahr-zeughandling beschäftigt sind, so daß sie durch die Bewältigung komplexer Verkehrssituationen überfordert werden.

Deshalb sollte eine zweite Ausbildungsphase eingeführt werden, bei der nach der Grundausbildung der Führerschein auf zwei Jahre befristet erteilt wird.

3. Maßnahme: Periodische Führerscheinerneuerung mit Weiterbildung und medizinisch-psychologischem Check-up.

Zur Zeit wird der Führerschein in der Regel auf Lebzeit erteilt. Sowohl die geistige Eignung (z. B. durch Alkohol oder Drogenmißbrauch) als auch die körperliche Verfassung (z. B. durch bestimmte Krankheiten oder Altersabbau) verändern sich aber im Laufe eines Kraftfahrerlebens.

Daher ist es sinnvoll, den Führerschein periodisch erneuern zu lassen, und zwar bis zum 60. Lebensjahr in längeren, dann in kürzeren Abständen.

4. Maßnahme: Obligatorische Aus- und Weiterbildung des Lehr- und Prüfpersonals sowie laufende Qualitätskontrolle der Fahrschulen.

Die Anforderungen, die derzeit an Fahrlehrer und Führerscheinprüfer gestellt werden, umfassen vor allem juridische Kenntnisse — und/oder technisches Wissen, kaum jedoch pädagogische und didaktische Fähigkeiten, psychologisches Grundwissen, Unfallursachen- und Verkehrssicherheitslehre.

5. Maßnahme: Vereinheitlichung der medizinisch-psychologischen Fahrerselektion.

Durch eine strengere Selektion ungeeigneter Fahrer könnten in Österreich jährlich Tausende Unfälle verhindert werden. Die amtsärztliche Untersuchung ist derzeit viel zu kurz und uneinheitlich.

6. Maßnahme: Schaffung einer zentralen Verkehrskartei und Nachschulung verkehrsauffälliger Kraftfahrer.

Die Unfallbeteiligung verkehrsauffälliger Kraftfahrer ist bis zu sechsmal höher wie diejenige der übrigen Kraftfahrer. Um der Behörde die Möglichkeit einer Einflußnahme zu geben, noch bevor es zu einem schweren Verkehrsunfall gekommen ist, erscheint es notwendig, gefährliche Übertretungen im Fließverkehr zentral zu registrieren.

7. Maßnahme: Häufigere Androhung eines Führerscheinentzuges oder kurzzeitige Fahrverbote anstelle langer Führerscheinentzüge.

Bei der sozialen Bedeutung, die der Führerschein in unserer heutigen Gesellschaft besitzt, bedeutet ein langer Entzug oft die Vernichtung der beruflichen Existenz. Dementsprechend selten sind solche lang dauernden Entzüge, wobei der pädagogische Effekt bei dieser Art der Bestrafung kaum nachweisbar ist.

In vielen Fällen erscheint auch ein kurzzeitiges Fahrverbot — auch anstatt einer Geldstrafe — zielführender und erfolgreicher zu sein als ein langer Führerscheinentzug. Es ist nicht nur leichter akzeptierbar und befolgbar, sondern der Bezug zum Delikt ist auch stärker, und ökonomisch besser Gestellte sind ebenso betroffen wie finanziell Schwächere.

8. Maßnahme: Optimierung der Verkehrsüberwachung.

Die derzeitige Praxis der Verkehrsüberwachung bleibt zum Teil weit hinter dem Wünschenswerten zurück: Die Wahrscheinlichkeit, für eine Verkehrsübertretung überhaupt bestraft zu werden, ist unzureichend, da z. B. nur jeder 700. alkoholisierte Fahrer entdeckt wird.

Das Einschreiten der Exekutive ist am wirkungsvollsten, wenn es möglichst unmittelbar nach dem Delikt erfolgt und sich auf tatsächlich gefährliches Verhalten bezieht bzw. wenn deutlich gemacht werden kann, daß das Einschreiten kein Selbstzweck ist.

9. Maßnahme: Medikamentenkennzeichnung.

Eine Vielzahl von Medikamenten, die regelmäßig eingenommen werden, beeinträchtigen die Verkehrstüchtigkeit in ganz besonderem Maße. Daher sollte nach vorgeschriebenen Untersuchungen über Art und Ausmaß der Beeinträchtigung veranlaßt werden, entsprechende Warnungen deutlich auf Verpackung und Beipackzettel anzubringen.

10. Maßnahme: Kontrolle der Werbeinhalte in der Kfz-Werbung.

Die Kfz-Werbung steht häufig in mehr oder weniger krassem Gegensatz zur Verkehrssicherheitsarbeit. Daher sollte, wie in etlichen Ländern bereits auch in anderen Bereichen (Zigarettenoder Alkoholwerbung) eingeführt, eine Kontrolle der Kfz-Werbung dahingehend erfolgen, daß sie sich jeglichen direkten oder indirekten Appells zur Uber-tretung bestehender Vorschriften bzw. aggressiver Verhaltensweisen enthält.

11. Maßnahme: Durchforstung des Schilderwaldes.

Viele oft nur zur Absicherung der Behörde aufgestellten Verkehrszeichen schaffen häufig subjektiv berechtigte Aversionen der Verkehrsteilnehmer und dadurch eine negative Motivation zur Einhaltung der Vorschriften. Oft kommt es durch die Flut von Verkehrszeichen auch zu einem trügerischen Sicherheitsgefühl, weil man sich darauf verläßt, vor jeder Gefahr gewarnt zu werden.

12. Maßnahme: Verstärkte Anwendung des Leitprinzips anstelle des Hemmprinzips.

Vom psychologischen Standpunkt aus ist das Hinführen zum erwünschten Verhalten effizienter als das Verbieten unerwünschten Verhaltens. Man soll sich daher bei der Planung der Verkehrsumwelt mehr als bisher die natürlichen Verhaltensintensionen der Fahrer zunutze machen.

13. Maßnahme: Vermehrte Trennung verschiedener Verkehrsströme.

Durch die Inhomogenität des Verkehrsablaufes beim Zusammentreffen unterschiedlicher Verkehrsteilnehmergruppen (Fußgänger, Radfahrer, Kfz-Verkehr) kommt es immer wieder zu Verkehrskonflikten und Unfällen. Eine wesentliche Verringerung des Unfallrisikos könnte durch direkte oder indirekte Trennung bestimmter Verkehrsteilnehmer erreicht werden.

14. Maßnahme: Sicherheitsgurten und Sturzhelmtragobligatori-um mit Strafsanktion.

Die Reduktion der Unfallfolgen durch den Sicherheitsgurt und Sturzhelm ist heute allgemein anerkannt. Das Fehlen der direkten Straf Sanktion hat jedoch zur Folge, daß die durchschnittliche Anlegequote von Sicherheitsgurten unter 40 Prozent bleibt. Bei Einführung der Straf Sanktion würde die Anlegequote sofort auf das Doppelte ansteigen.

Noch krasser würde es sich bei den Einspurigen auswirken, wenn auch Mopedfahrräder in ein Helmtrageobligatorium miteinbezogen würden.

15. Maßnahme: Reflektierende Kennzeichen und Abblendlicht auch tagsüber.

Bei Dunkelheit, Dämmerung oder schlechter Sicht (ungünstige Witterungsverhältnisse oder ungenügender Kontrast) sind Fahrzeuge oft erst sehr spät zu erkennen, so daß es häufig zu kritischen Situationen oder gar Unfällen kommt. In einigen Ländern wurde dieses Problem bereits durch die gesetzliche Verpflichtung, das Abblendlicht durchgängig, auch tagsüber, einzuschalten, sowie durch reflektierende Kennzeichen entschärft.

Der Autor ist Leiter des Verkehrspsychologischen Institutes des Kuratoriums für Verkehrssicherheit. Der Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Aufsatzes in „Straßenbau & Technik". Nr. 1-2/1984.

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