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Schafft den neuen Ungarn!

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Budapest, 20. August 1991. Aus vielen Gründen ein denkwürdiger Tag. Zum einen festlich begangener Nationalfeiertag, zum anderen Krönung und Abschluß des auf den Tag genau vor drei Jahren angekündigten Papstbesuches.

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Budapest, 20. August 1991. Aus vielen Gründen ein denkwürdiger Tag. Zum einen festlich begangener Nationalfeiertag, zum anderen Krönung und Abschluß des auf den Tag genau vor drei Jahren angekündigten Papstbesuches.

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Gleich kommen einem Stichworte wie wiedergewonnene Freiheit, Einheit, Zusammenarbeit, Entdeckung der Laien in den Sinn. Dem stillen Beobachter und Mitarbeiter im Hintergrund fielen insbesondere die „kleinen" Veranstaltungen, die Dichte des Programms und als größte Überraschung ein progressiver, deutlicher Papst gegenüber Episkopat und Intelligenz des Landes auf.

Tatsächlich wird es beiden zusammen mit den Politikern zukommen, den neuen Ungarn in einem neuen Europa zu schaffen. Der Papst wörtlich in den Abendstunden des 20. August auf dem Budapester Flughafen: „Staat und Kirche müssen eine neue Generation von Frauen und Männern hervorbringen, die fähig sind, ihre Freiheit... verantwortungsvoll zu gebrauchen."

Man muß den Mut haben, Kritik auszuhalten, zu hinterfragen. Austeilen ist leichter als einstecken. Und in der Tat: Ungarns nicht unumstrittene Bischöfe werden ihre Lektion lernen müssen. Sie werden die Ansprache des Papstes vor dem wohlverdienten Mittagessen des Festtages erst verdauen müssen. Autor des relativ langen wie deutlichen Textes ist offensichtlich ein Insider in Budapest, der aber die römische Szene nicht nur vom Hörensagen kennt. Die Worte des Papstes waren freundlich, aber deutlich.

Nimmt man die Worte des Papstes ernst, muß nun die „Stunde der Laien" anbrechen. Und tatsächlich forderte der Papst den ungarischen Episkopat auf, die Laien als Partner und Mitarbeiter einzubeziehen und - so wörtlich - „den Rat und die Mitarbeit qualifizierter Laien zu suchen, wenn es darum geht, auf die Herausforderungen der modernen Gesellschaft in Bereichen zu antworten, die eine bestimmte Kompetenz voraussetzt". Ausdrücklich zählte der Papst dabei den breiten Bereich der Massenmedien, Verwaltung und wirtschaftliche Kompetenzen, aber auch spezielle Bereiche der offiziellen kirchlichen Pastoral auf.

Weiters forderte der Papst Grundlinien für eine zentrale Pastoral, einen speziellen Pastoralplan sowie als Grundvoraussetzung ein „leistungsfähiges" Sekretariat der ungarischen Bischofskonferenz. Zu dieser Aussage müssen konkrete Informationen und neue Planungen in Rom zumindest bereits in den Grundzügen bekannt sein. Mit einer diesbezüglichen Ernennung rechnen Beobachter schon in Kürze.

Bemerkenswerte Worte auch vor den Diplomaten: „Die Länder Mitteleuropas haben begonnen, eine Welt der Freiheit aufzubauen." Und auf Ungarn gemünzt: „Ohne Privilegien zu fordern, benötigt die Katholische Kirche ein Mindestmaß an materiellen Mitteln, um ihre Sendung bestmöglich zu erfüllen."

In seiner Ansprache in der Ungarischen Akademie der Wissenschaften machte sich der Papst zum Vorkämpfer für die kulturelle Freiheit. „Die Kultur braucht mehr Freiheit, auch gegenüber dem religiösen Glauben." „Kern" seiner Aussagen waren folgende Passagen: „Bisweilen haben leider auch im christlichen Bereich die Gläubigen die legitime Autonomie von Wissenschaft und Kunst nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, womit sie Widerspruch, Streit und Polemiken auslösten, die nicht wenig Menschen zu der Meinung verleiteten, Wissenschaft und Glaube stünden im Gegensatz zueinander. Man kann nur wünschen, daß sich das nicht wiederholt." Mir hätte an dieser Stelle besser gefallen: Ich werde dazu beitragen, daß...

Vörden Intellektuellen forderte der Papst konkret den schulischen Religionsunterricht für die öffentlichen Schulen und in allen Schulstufen. Nach den heißen Diskussionen in Ungarn um die Rückgabe der kirchlichen Güter ein neuer Streitpunkt für das Parlament. Doch nicht nur das: Woher sollen die gut ausgebildeten Religionslehrer nicht zuletzt angesichts der enormen Überalterung des Klerus und der nur zögernd voranschreitenden Etablierung von Ordensgemeinschaften und des großen Mangels an qualifizierten Laientheologen kommen?

Beinahe wäre in Esztergom ein nicht nur peinlicher Fehler passiert. Im Papstflugzeug entdeckten aufmerksame Publizisten, daß in der vorbereiteten Rede für den Gottesdienst in Esztergom die tragische Figur Kardinal Mindszentys mit keinem Wort erwähnt wird. Wie immer man das ursprüngliche Fehlen einer solchen Passage beurteilt, von Seiten der Ortskirche wird Vergangenheitsbewältigung noch immer nicht groß geschrieben. Genau in diese Kerbe schlägt der langjährige Sekretär Kardinal Mindszentys, Monsignore Möszäros, der im fernen Basel lebt, mit seiner Forderung, der Papst möge die kompromittierten ungarischen Bischöfe „absetzen". Meszäros ist sich in dieser Meinung mit der Mitte der Bokor-Basisbewegung eines György Bulä-nyi einig.

Keine Informationen über das private Gespräch mit dem Staatspräsidenten und den Mitgliedern der Regierung regten sofort die Fantasie der Journalisten an. Einer wollte den Papst sogar zur Anerkennung Kroatiens drängen. Überschattet war der Papstbesuch, der in den ersten Tagen nur Pilger anlockte, von den regionalen Problemen in den angrenzenden Ländern Jugoslawien und Rumänien. Genau diese Probleme sprach der reformierte Bischof Kocsic in seinem Grußwort bei dem ökumenischen Gottesdienst in der reformierten Hauptkirche in Debrecen an. Er verschwieg aber auch nicht das brennende Problem der Mischehen. Trotz grundsätzlicher Vorschußlorbeeren aus Israel gestaltete sich die Begegnung mit zehn prominenten Vertretern der jüdischen Kultusgemeinde Ungarns nicht ohne vorhergehende konfliktreiche Gespräche und Kontakte.

Was geschieht jetzt nach dem Papstbesuch? Die Nacharbeit ist wichtiger als die schleppende Vorbereitung und die mitunter improvisierte Durchführung. Die öffentliche Diskussion um die immensen Kosten und die scharfen Sicherheitsbestimmungen wird durchzutragen sein. Auch die eher kritische und mitunter mit Untergriffen arbeitende Berichterstattung und Kommentierung in den gern als „liberal" bezeichneten Medien werden Anstoß zu grundlegenden Überlegungen sein müssen.

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