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Schatten über Olympia

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Mitte Mai platzte die sportpolitische Bombe der Saison. Der sowjetische Sportminister Marat Gramow verkündete anläßlich einer Pressekonferenz in Moskau die Nichtteilnahme der Sowjetunion an den XXIII. Olympischen Spielen in Los Angeles (L. A.). Dem großen Bruder im Kreml folgten bis auf Rumänien so gut wie alle Sowjetsatelliten. '

Ähnlich holprig wie so manche sowjetische Rechtfertigung, fiel auch die Erklärung Gramows zur Nichtteilnahme aus: Die Sowjetunion habe schwere politische Angriffe in L. A. zu erwarten und fürchte um die Sicherheit ihrer Sportler. Daher sei die Nichtteilnahme an Olympia der UdSSR vom Olympischen Organisationskomitee aufgezwungen und könne nicht als Boykott gedeutet werden.

Uber die wahren Hintergründe des Sowjetboykotts gibt es nur Vermutungen: Die einen sehen darin eine Spitze gegen die Administration Reagan im Wahljahr, die anderen eine Retourkutsche für den US-Boykott der Spiele 1980 in Moskau wegen der sowjetischen Intervention in Afghanistan.

In der kalifornischen Metropole existieren aber auch viele Vereine, die zu großen antisowjetischen Demonstrationen aufgerufen hatten und sogar versprachen, 50 Prozent der Sowjetmannschaft zum Abspringen zu bewegen. Und der „american way of life" hätte wohl auch so manchen UdSSR-Olympioniken dazu angeregt, in einem unbeaufsichtigten Moment sein Heil im Kapitalismus zu suchen.

Das ist denn auch in Wahrheit die von Gramow angesprochene Gefährdung der Sowjetsportler. Denn anders ist das Phänomen nicht zu erklären, daß sowjetische Kampfrichter in Los Angeles sehr wohl über Sieg und Niederlage entscheiden werden. Sie brauchen sich offensichtlich nicht vor antisowjetischen Umtrieben zu fürchten. Auch bei den III. Weltspielen für Körperbehinderte vom 18. bis 30. Juni in Nassau County/New York waren bis auf die Sowjetunion die größten Boykottierer wie die DDR und Ungarn am Start.

Doch die durch die Nichtteilnahme des Ostblocks zu Rumpfspielen degradierte Olympiade in L. A. ist nur ein weiterer Schritt der Prostituierung des Sports durch die Politik, ein weiterer Schritt der sukzessiven Zerstörung der olympischen Idee. Denn „unpolitische" Spiele hat es so gut wie nie gegeben.

Nachdem schon zwei Olympiaden —1940 und 1944 — dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen waren, hatten sich die Spiele 1948 in London von diesem Schock noch nicht erholt. Deutschland fehlte als Verlierernation. 1952 —nur sieben Jahre nach dem Ende des „großen" Krieges — warf der Koreakrieg seine Schatten über die Spiele in Helsinki. 1956 kriselte es bei den Spielen in Melbourne durch die Ungarnkrise.

1964 und 1968 - anläßlich der Olympiaden in Tokio und Mexico City — war die olympische Idee einerseits durch den Vietnamkrieg und den Ausschluß Südafrikas infolge der Apartheidpolitik 1968 andererseits durch die blutige Niederringung des „Prager Frühlings" durch Sowjetpanzer schwer gezeichnet. 1972 konnte das Internationale Olympische Comite (IOC) einem Boykott der afrikanischen Staaten gegen die Olympischen Spiele in München durch den Ausschluß Rhodesiens — des heutigen Zimbabwe — gerade noch entgegenwirken, als der Nahostkonflikt die „heiteren Spiele" Münchens einholte. Palästinensische Terroristen drangen in das Olympische Dorf ein und nahmen die israelische Mannschaft als Geiseln. Ein Befreiungsversuch endete mit dem Tod aller Geiseln.

In Montreal 1976 sabotierten fast alle Staaten Afrikas die olympische Idee, den XXII. Olympischen Spielen in Moskau blieben neben anderen Nationen die USA und die Bundesrepublik Deutschland fern.

Doch nicht nur'die Spiele nach dem Zweiten Weltkrieg waren verpolitisiert. Adolf Hitler dienten die Spiele 1936 in Berlin zur Darstellung des „deutschen Herrenmenschen". Die „friedlichen Spiele" von Berlin täuschten die ganze Welt über die Brutalität des Nationalsozialismus.

So gut Baron Pierre de Couber-tins Idee war, die antiken olympischen Ideale wiederzubeleben, sie hatte von Anfang an einen Fehler. Nationalfahnen und -hymnen verstärken den Eindruck eines „friedlichen Wettstreits der Jugend der Welt" nicht, sondern viel mehr nationalistisches Selbstwertgefühl. Für Coubertins Idee eines „kosmopolitischen Sportlers" lassen sie aber keinen Platz.

Weiters: Wer bezahlt, bestimmt! Solange die Nationalen Olympischen Komitees (NOKs) finanziell von ihren Staaten abhängig, von ihren politischen unterwandert sind, solange wird die Politik den Sport beherrschen.

Auch der Rettungsversuch von Griechenlands Präsident Kara-manlis, der vorschlug, die Spiele immer an der Wiege Olympias, in Athen, beziehungsweise die Winterspiele in Innsbruck auszutragen, zielt ins Leere, bedenkt man die offizielle IOC-Politik, die der Chef des NOK der BRD, Willi Daume, so formulierte: „Die olympische Idee dient dem Weltfrieden. Sie kann ihrem Auftrag nur gerecht werden, wenn sie durch die Welt pilgert, auch wenn man Boykotte damit riskiert."

Ebenso führt die Drohung von IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch, das IOC könne angesichts weiterer Boykottmaßnahmen die Olympische Charta ändern und Boykottnationen von den nächsten Spielen ausschließen, an der Wurzel des Problems vorbei, obwohl es ein Zeichen ist, das endlich einmal gesetzt werden mußte.

Sollen die Spiele weiterleben, wird man sich an der weltpolitischen Großwetterlage orientieren müssen, aber ohne „olympisches" Pathos und Gejammer, daß es früher noch „echte" Spiele gegeben hätte. Der Primat der Politik über den Sport war und ist seit dem Entstehen der Olympischen Bewegung neuer Zeitrechnung existent.

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