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Scheiden tut allen weh

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Die Scheidungsbereitschaft nimmt zu. 1985 wurden 15.460 Ehen bereits rechtskräftig geschieden. Jedes achte Kind unter 14 wurde so im Vorjahr zu einer Scheidungswaise. Ein Problem für alle Betroffenen, aber auch für Gesellschaft und Kirche.

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Die Scheidungsbereitschaft nimmt zu. 1985 wurden 15.460 Ehen bereits rechtskräftig geschieden. Jedes achte Kind unter 14 wurde so im Vorjahr zu einer Scheidungswaise. Ein Problem für alle Betroffenen, aber auch für Gesellschaft und Kirche.

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Eigentlich geht jeder mit guten Vorsätzen in die Ehe. Und trotzdem scheitern immer mehr Beziehungen, die mit den besten Vorsätzen geknüpft wurden.

Die sozialstatistischen Daten des Statistischen Zentralamtes spiegeln die Entwicklung deutlich wider: Nach einer Scheidungswelle in den unmittelbaren Nachkriegsjahren ging die Zahl der Scheidungen während der gesamten fünfziger Jahre zurück. In der ersten Phase des Baby-Booms verzeichnete Österreich die niedrigste Scheidungshäufigkeit der Nachkriegszeit. Zwischen 1958 und 1962 ließen sich jährlich nur etwa 8.000 Paare scheiden, seither (siehe Tabelle) werden es Jahr für Jahr mehr.

1985 brachte mit 15.460 Scheidungen einen neuen Höchstwert. Da gleichzeitig auch die Zahl der Eheschließungen sinkt, steigen die auf einzelne Heiratsjahrgänge bezogenen Scheidungsraten noch stärker. Die aus diesen einzelnen Scheidungsraten ermittelte Ge-samtscheidungsrate lag 1985 schon bei 30,8 Prozent, sie hat sich damit gegenüber den sechziger Jahren verdoppelt.

Vereinfacht ausgedrückt: In Österreich enden derzeit 31 von hundert Ehen durch Scheidung, Ehen, die seit Beginn der achtziger Jahre geschlossen wurden.

Dem Argument, daß die Mitte 1978 wirksam gewordene Scheidungsreform, welche die Scheidung von „Papierehen“ auch gegen den Widerspruch des unschuldigen Partners ermöglichte, die Dämme bersten ließ, widersprechen die Statistiker: Schon seit 1974 steigen die Scheidungsraten relativ stark an und 1978 liegt nur im Entwicklungstrend.

Apropos Trend: Rund 40 Prozent aller Ehen scheitern in den ersten fünf gemeinsamen Jahren, wobei die Scheidungsfälle im zweiten und dritten Jahr am häufigsten auftreten, nicht einmal ein

Jahr halten nur 3,2 Prozent der Ehen. Nach fünf Ehejahren nimmt die Scheidungswahrscheinlichkeit merklich ab.

Bei der Deutung dieser Entwicklung helfen die rechtlichen Scheidungsursachen (siehe Kasten) nur bedingt weiter. Die Wurzeln liegen tiefer.

Heinrich Gotsmy vom Katholischen Familienverband sieht drei Faktoren:

Uberfordernde Erwartungen beziehungsweise Ansprüche an den Ehegatten,

• zunehmende Scheidungsbereitschaft, da in der Scheidung zunehmend ein Instrument zur Lösung der Beziehungsprobleme gesehen wird und

• der Verlust an strukturellen Stützen (beispielsweise in der sozialen Uniwelt, geringes Verständnis für den institutionellen Aspekt der Ehe, öffentliche Meinung).

Faktum ist, daß sich in vielen Problemen der Ehe allgemeine Probleme der Gesellschaft spiegeln, Belastungen, die von der Gesellschaft selbst ausgehen. Das Unvermögen, Konflikte konstruktiv gemeinsam zu lösen, ist dazu nur ein beispielhaftes Stichwort.

Faktum ist zudem, daß unter einer Scheidung — egal ob einvernehmlich oder nicht — alle leiden, besonders aber die Kinder (siehe Kasten und Seite 14).

Aber nicht nur sie. Die Scheidung zerreißt ein menschliches Beziehungsnetz, das in guter wie in schlechter Partnerschaft geknüpft wurde. Dieses Netz läßt sich nicht einfach durchtrennen und mit einem neuen Partner neu beginnen.

Gerhard Wolfram hat in der Zeitschrift „Dialog“ des Instituts für Ehe und Familie aus der wissenschaftlichen Literatur jene Belastungen herausgefiltert, denen sich Ehepartner im Scheidungsfall stellen müssen. Es ist das

• die emotionelle Scheidung beziehungsweise Trennung von einem (Partner) oder mehreren (Kindern) Liebesobjekten,

• die ökonomische Scheidung, also die Teilung des gemeinsamen Besitzes,

• die elterliche Scheidung, also die Trennung der gemeinsamen erzieherischen Tätigkeit und die Rollen-Neuorientierung,

• die Scheidung in bezug auf gemeinsame Freunde und

• die psychische Scheidung, also der Prozeß des „Autonom-Wer-dens“, beispielsweise durch Übernahme eines Teils der Partneraufgaben.

Die Hoffnung, daß sich mit der Scheidung alle Probleme lösen, erweist sich vielfach als trügerisch. Neue Probleme tauchen auf, in das Gefühl der Befreiung mischt sich jenes des Verlustes, oft auch Trauer.

Scheidung - eine Privatsache. Auf den ersten Blick.

Die Kompensation ihrer Folgen, mußte das Familienministerium aber bereits im Vorjahr konstatieren, ist gewiß auch Aufgabe der Gesellschaft. Und die Folgen sind vielfältig. Das reicht sogar bis zur Verknappung auf dem Wohnungsmarkt, weil immer mehr geschiedene Partner auf der Suche nach neuen vier eigenen Wänden sind.

Mit der Zahl der Ehescheidungen in jüngeren Jahren — das Durchschnittsalter lag 1985 bei den Männern bei knapp unter 37 und bei Frauen bei 34 Jahren — nimmt auch die Zahl jener zu, die bei ihrer Partnersuche entweder selbst geschieden sind oder auf einen geschiedenen Partner treffen.

Das läßt die Dimension eines Problems erahnen, dem sich — über die konkreten Scheidungszahlen hinaus — Kirche und Christen zu stellen haben. Scheidung— was dann? Welchen Platz haben Geschiedene in der Kirche (siehe Seite 14)?

Viele Christen leiden darunter, vielfach leidet ein anderer Partner mit. In vielen Fällen könnte geholfen werden, auch kirchenrechtlich, doch ein Informationsdefizit steht dem entgegen. „Dreißig Prozent aller zivil Geschiedenen“, stellte Martha Weg-an, Advokatin an der Rota Romana, fest, „könnten ihre Ehe kirchlich nichtig erklären lassen“: Was freilich eine gute Ehevorbereitung und eine rechtzeitige Eheberatung auch nicht ersetzen kann.

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