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Scheiden tut weh — gerade Eandern

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Nach einer Stabilisierung in den beiden Vorjahren ist die Zahl der Ehescheidungen, SO die jüngsten Daten, 1982 erneut um 6,9 Prozent auf 14.298 angestiegen. Ein neuer Rekord.

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Nach einer Stabilisierung in den beiden Vorjahren ist die Zahl der Ehescheidungen, SO die jüngsten Daten, 1982 erneut um 6,9 Prozent auf 14.298 angestiegen. Ein neuer Rekord.

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„Als Ehepaar können Sie sich scheiden lassen - als Elternpaar niemals!" Diese Warnung, zum Zeitpunkt der Eheschließung kaum je ausgesprochen, und dann, wenn es schon kriselt in der Beziehung, allzuoft in den Wind geschlagen, beleuchtet die Katastrophe, die für ein Kind mit der Scheidung seiner Eltern hereinbricht.

Psychologischen Studien zufolge sind die Konflikte um die Scheidung herum extrem schädlich für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes, und sie gefährden seine Reifung. Kinder, deren Eltern geschieden sind, zeigen gravierendere Störungen als solche, die in'zwar krisenreichen, aber doch noch bestehenden ganzen Familien leben (allerdings gilt das vor allem für die ersten beiden Jahre nach der Scheidung — danach verwischen sich die Unterschiede).

Darüber hinaus sind Jugendliche aus geschiedenen Ehen doppelt so häufig delinquent, also straffällig, wie Jugendliche aus intakten Familien (wobei auch als Einschränkung zu bemerken ist, daß Ehescheidung unter Lebensbedingungen, die für sich allein schon die Delinquenz fördern, häufiger sein mögen).

Dennoch: die typische Liste der psychischen Störungen und Schäden bei den sogenannten „Scheidungswaisen" ist lang:

• Rückfall in schon bewältigte Entwicklungsphasen, Angst, Weinen bei Kindern zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Jahren — vor allem dann, wenn den Kindern das Weggehen des Vaters nicht erklärt wurde.

• Aggression, Selbstanschuldigungen („Vati ist weggegangen, weil ich immer so laut war beim Spielen"), Traurigkeit, neurotische Entwicklungen bei Dreieinhalb- bis Fünfjährigen.

• Zorn, als eine „machtlose Randfigur im Scheidungsprozeß" hin- und hergeschoben zu werden, Angst vor der Zukunft und Scham („in der Schule trau' ich mich das keinem zu sagen") bei Neun- bis Zehnjährigen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ob die Eltern das auch immer voll bedacht haben?

Oft können sie es gar nicht bedenken, weil sie es nicht wissen und auch kaum Möglichkeiten haben, es zu erfahren.

An und für sich gäbe es nun ja in Osterreich eine Institution der Justiz, die vorsieht, daß Ehepaare nach Einbringung der Klage auf Scheidung oder des einvernehmlichen Antrags auf Scheidung vom Richter zu einem sogenannten „Sühneversuch" vorgeladen werden. Aber eben: vom Richter und nach der Klage. Meist auch noch unmittelbar vor der Verhandlung und unter Zeitdruck.

Wie wenig Vertrauen selbst die Justiz in diesen ihren eigenen und einzigen offiziellen Versuch setzt, aus dem Leim gehende Ehen wieder zu kitten, zeigt der auf dem entsprechenden Gerichtsformular bereits vorgedruckte Vermerk: „Der Sühneversuch ist erfolglos geblieben."

Entsprechend dieser Erwartung bleibt der Sühneversuch auch so gut wie immer erfolglos und soll daher — so eine Absicht des Justizministeriums - abgeschafft werden. Ersatzlos.

Das aber wiederum hat die österreichische Gesellschaft für psychische Hygiene, eine Vereinigung von Ärzten, Psychologen, Pädagogen und Juristen, dazu veranlaßt, nach umfangreichen Vorstudien einen Gegenvorschlag auszuarbeiten.

Grundtenor: Ein Instrument wie den Sühneversuch als letzte Möglichkeit zur Einflußnahme soll man nicht leichtfertig aus der Hand geben — um so mehr, wenn man die steigende Zahl der Scheidungen berücksichtigt, vom Leid für alle Betroffenen, allen voran aber für die Kinder, ganz zu schweigen.

Daß die Sache bisher nicht Eigendynamik funktioniert hat, sei kein Beweis, daß der Ansatz selbst unrichtig ist, meint etwa Elisabeth Wag-ner-Dembicky, im Auftrag der Landesgruppe Tirol der Gesellschaft für psychische Hygiene mit der Ausarbeitung des Konzepts für eine „Sühneversuchs-Re-form" befaßt.

„Nach unseren Vorschlägen und Forderungen könnte eine Verlegung des Versöhnungsversuchs - sowohl aus dem Gericht in entsprechende Beratungsstellen, wie sie ja bereits bei den Ländern zum Beispiel existieren, als auch vor den Zeitpunkt der Einbringung einer Scheidungsklage -weit bessere Erfolge bringen."

Vor allem in jenen gar nicht seltenen Fällen, wo einer der Ehepartner den anderen mit einem „Schreckschuß" aufrütteln wollte, durch die Eigendynamik des Scheidungsverfahrens dann aber gär nicht mehr zurückkann. Wenn man eine solche reformierte Beratung obligatorisch macht, kann man überdies hingehen, ohne „sich etwas zu vergeben".

Untermauert werden diese Forderungen durch eine zwar umstrittene, aber einprägsame Formel vieler Psychologen: „Für ein Kind ist eine krisenhafte Beziehung der Eltern besser als gar keine."

Wozu noch kommt, daß die Beziehung der Eltern mit der Scheidung ja nicht aufhört— sie hat sich nur verändert.

Und alle jene Probleme, die in der alten Partnerschaft nicht bewältigt wurden, kehren mit Sicherheit in neuen Partnerschaften wieder. Auch hier könnte eine, fachliche Beratung vor der Scheidung dazu führen, daß — wenn die Scheidung unvermeidlich ist—zumindest die Ausgangspositionen in das neue Leben für alle Beteiligten besser sind: für die Frau, den Mann und für die Kinder.

Der Beitrag ist der Patiėnteninformation ..medizin populär" (4/83) der Osterreichischen Ärztekammer entnommen.

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