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Scheidung auf italienisch

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Seit Dezember 1970 sind in Italien die Ehen scheidbar. Der Grundsatz der absoluten Unauflöslichkeit wurde nach jahrelangem parlamentarischem Ringen verlassen — für immer? Seit der legislativen Endphase des Gesetzes Fortuna-Baslini, wie das Scheidungsgesetz nach seinen Initiatoren genannt wird, bereitet die Organisation „Für die Verteidigung der Familie“ ein Referendum gegen dieses Gesetz vor. Noch bevor das Gesetz beschlossen wurde, brandmarkte die Generalversammlung der Bischöfe Italiens in einer offiziellen Erklärung die Ehescheidung als „wahrhaft soziales Geschwür“, das leidvolle Konsequenzen für Ehe, Familie und Gesellschaft nach sich ziehe. Die Bischöfe erklärten weiter, es sei nur recht und billig, daß die italienischen Bürger von allen in der Verfassung verankerten demokratischen Rechten Gebrauch machten, um die Pläne zu durchkreuzen.

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Seit Dezember 1970 sind in Italien die Ehen scheidbar. Der Grundsatz der absoluten Unauflöslichkeit wurde nach jahrelangem parlamentarischem Ringen verlassen — für immer? Seit der legislativen Endphase des Gesetzes Fortuna-Baslini, wie das Scheidungsgesetz nach seinen Initiatoren genannt wird, bereitet die Organisation „Für die Verteidigung der Familie“ ein Referendum gegen dieses Gesetz vor. Noch bevor das Gesetz beschlossen wurde, brandmarkte die Generalversammlung der Bischöfe Italiens in einer offiziellen Erklärung die Ehescheidung als „wahrhaft soziales Geschwür“, das leidvolle Konsequenzen für Ehe, Familie und Gesellschaft nach sich ziehe. Die Bischöfe erklärten weiter, es sei nur recht und billig, daß die italienischen Bürger von allen in der Verfassung verankerten demokratischen Rechten Gebrauch machten, um die Pläne zu durchkreuzen.

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Ein offiziell konstituiertes Komitee der Scheidungsgegner strebt die Durchführung einer Voksabstim- mung an, die das Scheidungsgesetz zu Fall bringen soll. Zur Einleitung dieses Referendums sind 500.000 Unterschriften notwendig. Dem Komitee scheint es unerwartet rasch gelungen zu sein, die erforderlichen Unterschriften zusammenzubekommen, so daß im Frühjahr des kommenden Jahres mit der Volksbefragung gerechnet werden könnte. Die nicht zu übersehenden Erfolge der Scheidungsgegner fallen in eine Zeit, in der die Unauflöslichkeit der Ehe von einer großen Zahl von Autoren innerhalb sowohl wie außerhalb der Kirche „neu durchdacht“, „diskutiert“ und auch in Frage gestellt wird.

Italien ist einer der wenigen Staaten, in denen das Prinzip der fakultativen Zivilehe gilt. Die Ehe kann danach mit derselben staatlichen Rechtswirkung in der Kircije vor einem katholischen Priester (Art. 82 und 83 Codice Civile) wie im Rathaus von einem staatlichen Beamten (Art. 106 f. Codice Civile) abgeschlossen werden. Diese Rechtslage ist der Ausfluß des völkerrechtlichen Übereinkommens zwischen Italien und dem Vatikan: dem Konkordat 1929. Artikel 34 enthält die Zusage des italienischen Staates „dem vom kanonischen Recht geregelten Sakrament der Ehe die bürgerlichen Wirkungen“ zuzuerkennen, da der Staat „dem Institut der Ehe, als der Grundlage der Familie wieder die Würde geben will, die den katholischen Überlieferungen seines Volkes entspricht.“

In demselben Vertragsartikel wurde die Nichtigerklärung der Ehe sowie die Auflösung des Ehebandes durch Dispens von einer noch nicht vollzogenen Ehe der Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte und Behö- den Vorbehalten. Daa endgültige kirchliche Urteil wird an den zuständigen staatlichen Appellationsgerichtshof weitergleitet, der die Vollstreckbarkeit des kirchlichen Urteils ausspricht. Der Heüige Stuhl gab im Konkordat seine ausdrückliche Einwilligung, daß die Fälle der Trennung von Tisch und Bett bei Weiterbestehen des Ehebandes von den staatlichen Gerichten entschieden werden können.

Lang ist der Weg

Das Scheidungsgesetz hatte bis zu seiner Verabschiedung einen langwierigen Weg zurückzulegen. Bereits 1965 brachten die beiden sozialistischen Abgeordneten Fortuna und Baslini einen Gesetzentwurf ein, der von der Abgeordnetenkammer trotz scharfer Kritik der christlichen Demokraten, die darauf verwiesen hatten, daß die Mehrheit der Bevölkerung die Einführung der Ehescheidung ablehne, gebilligt wurde. In den Koalitionsverhandlungen Rumors im April 1970 stellte die Frage der Ehescheidung das umstrittene Problem dar. Zunächst wurde beschlossen, mit dem Vatikan über die Vorlage des Gesetzes im Senat Verhandlungen aufzunehmen, obwohl der Heilige Stuhl bereits in drei Noten in den Jahren 1966, 1967 und 1970 auf die Unauflöslichkeit der Ehe hingewiesen hatte. Während diese Gespräche des italienischen Außenministers Moro mit dem Kardinal-Staatssekretär Villot stattfanden, verabschiedete der Justizausschuß des Senats bereits zwei Artikel des Gesetzes, die das Prinzip der Auflösbarkeit der Ehe und die Scheidungsgründe enthielten. Die Debatte begann im Juni und wurde im September fortgesetzt. Der Gesetzentwurf wurde von den Sozialisten und Kommunisten gegen die christlich-demokratische Partei verteidigt. Währenddessen waren die

Verhandlungen mit dem Vatikan gescheitert und der Heilige Stuhl erwog, im Falle der Beschlußfassung des Gesetzes im Parlament ein Referendum zu verlangen oder den Internationalen Gerichtshof in Haag wegen Verletzung des Artikels 34 des Konkordats 1929 anzurufen.

Am 8. Oktober nahm der Senat die wesentlichen Artikel des Gesetzes mit 164 Stimmen der Kommunisten, Sozialisten und Liberalen gegen 150 Stimmen der Christlichen Demokraten und Neofaschisten an. Da an der Vorlage geringfügige Änderungen vorgenommen wurden, mußte der Gesetzentwurf noch einmal in das Abgeordnetenhaus zurückgeleitet werden. Dort wurde das Gesetz am 1. Dezember des Vorjahres mit 319 Ja-Stimmen der „Laizisten“ (Liberale, Sozialdemokraten, Republikaner, Linkssozialisten, Kommunisten,

Sozialisten der Proletarischen Einheit und Anhänger des „Manifesto“) gegen 286 Nein-Stimmen der „Katholiken“ (Christliche Demokraten, Monarchisten, Neofaschisten und Mitglieder der Südtiroler Volkspartei) angenommen.

Die italienische Bischofskonferenz richtete kurz vor der letzten Abstimmung im Abgeordnetenhaus ihren eingangs genannten Appell an die Gläubigen, der als Aufforderung zum Referendum verstanden wurde. So kündigte als Wortführer der Bischofskonferenz der Abgeordnete Gonella am Tag vor der Abstimmung die Einleitung des Referendums an.

Das mit Dezember 1970 in Kraft getretene Scheidungsgesetz ermächtigt den Richter bei Vorliegen bestimmter Gründe, zivil geschlossene Ehen zu scheiden, wenn die geistige oder materielle Gemeinschaft zwischen den Ehepartnern nicht mehr aufrechterhalten oder hergestellt werden kann. Ebenso kann der Richter auch den Wegfall der bürgerlich rechtlichen Wirkung kirchlich abgeschlossener Ehen (Konkordatsehen) aussprechen, was einer Scheidung gleichkommt.

Die Gründe für diesen Richterspruch sind vorwiegend von einem Ehegatten begangene Strafdelikte. Diese sind die Verurteilung zu einer lebenslänglichen oder 15jährigen Freiheitsstrafe, die Verurteilung wegen Blutschande, Entführung zur Eheschließung, Nötigung zu unzüchtigen Handlungen, Verführung zur Unzucht oder wegen Entführung eines Minderjährigen unter 14 Jahren oder einer kranken Person zur Unzucht oder Eheschließung, ferner die Verurteilung wegen Delikten, die gegen Nachkommen und Adoptivkinder begangen wurden, wegen Anstiftung und Zwang des Ehegatten oder wegen der Ausnützung und Begünstigung der Prostitution eines Nachkommen, ferner die Verurteilung wegen Kindesmordes oder versuchten Kindes- oder Gattenmordes.

Letztlich bildet die zwei- oder mehrfache Verurteilung zu Freiheitsdelikten wegen folgender Straftaten einen Scheidungsgrund: schwere Körperverletzung, Verletzung der Fürsorgepflicht gegenüber der Familie, Mißhandlungen in der Familie oder von Kindern und die Ausbeutung des Gatten, der Kinder oder Adoptivkinder.

Neben dieser kasuistischen Aufzählung von strafrechtlichen Gründen kann aber auch eine bereits vorgenommene Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft die Grundlage einer gerichtlichen Scheidung darstellen: entweder, wenn den Ehepartnern bereits die Trennung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch ein rechtskräftiges Urteil gestattet wurde, oder falls sich die Gatten bereits tatsächlich voneinander getrennt haben und diese Trennung bereits seit zwei Jahren vor dem Inkrafttreten des Gesetzes besteht. Die Scheidung kann aber erst fünf Jahre, nachdem sie beantragt wurde, ausgesprochen werden und hat die tatsächliche Trennung der beiden Ehepartner In dieser Zeit zur Voraussetzung. Erhebt der beklagte Gatte gegen die beantragte Scheidung Einspruch, so wird die Trennungsfrist auf sieben Jahre verlängert. Außerdem kann die Scheidung auch erreicht werden, wenn einer der Ehepartner ausländischer Staatsbürger ist, die Auflösung der Ehe im Ausland schon ausgesprochen wurde und der ausländische Gatte dort bereits eine neue Ehe abgeschlossen hat Letztlich kann der italienische Zivilrichter alle nicht vollzogenen Ehen scheiden.

Auf die Frage der Zweckmäßigkeit der differenzierten Scheidungsgründe des neuen Gesetzes soll hier nicht eingegangen, wohl aber das Verhältnis des Gesetzes zum Konkordat 1929 auf gezeigt werden.

Im März dieses Jahres hat der Verfassungsgerichtshof in Rom ein Urteil gefällt, dem für die Beziehungen zwischen dem italienischen Staat und der katholischen Kirche besondere Bedeutung zukommt. Gegenstand dieses Grundsatzurteils war die verfassungsmäßige Bindung des italienischen Staates an die Lateranverträge von 1929, zu denen das Konkordat gehört. Nach Artikel 7 der italienischen Verfassung von 1947 wird das Verhältnis zwischen Staat und Kirche durch die Lateranverträge geregelt, wobei der Staat und die Kirche jeder im eigenen Bereich unabhängig und souverän bleiben sollen. Der Verfassungsgerichtshof erklärte sich in diesem Urteil für zuständig, das Konkordat überprüfen zu können: wenn dessen Bestimmungen mit der Verfassung nicht im Einklang sind, müssen sie fallen. Dies bedeutet soviel, als daß der Staat das Recht für sich beansprucht, die auf den Lateranverträgen beruhenden Vorschriften einseitig aufzuheben, sofern sie verfassungswidrig sind.

Mit Artikel 34 des Konkordats erkannte der Staat der vom kanonischen Recht geregelten Ehe die bürgerlichen Wirkungen zu. In Artikel 2 des Seheidungsgesetzes wird der staatliche Richter ermächtigt, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen und Gründe den Wegfall („ces- sazione“) dieser bürgerlichen Wirkungen der Ehe auszusprechen. Diese innerstaatliche Norm setzt die völkerrechtliche Vertragsbestimmung außer Kraft.

Ein Volksreferendum soll diese Norm nun beseitigen. Ist vorher noch eine Einigung der Konkordatskontrahenten möglich? Oder mündet die „Conciliazone“ des Jahres 1929 in einen Kulturkampf?

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