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Scheidung auf slowakisch

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Tschechen und Slowaken versuchen auf je eigene Weise den wirtschaftlichen Neubeginn. „Prager Zentralismus" macht die Slowaken noch immer mißtrauisch wie in alten Zeiten.

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Tschechen und Slowaken versuchen auf je eigene Weise den wirtschaftlichen Neubeginn. „Prager Zentralismus" macht die Slowaken noch immer mißtrauisch wie in alten Zeiten.

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Scheiden tut weh. Und kostet manchmal auch eine schöne Stange Geld. Die beiden slawischen Brudernationen der Tschecho-Slowa-kei haben nicht nur grammatikalisch einen Scheidestrich gezogen. Nun sind sie dabei, auch den gemeinsamen Haushalt so weit als möglich aufzulassen. Darüber ist in den vergangenen Wochen in allen Ressorts ein heftiges Tauziehen über die Neuordnung - besonders

im wirtschaftlichen Bereich - ausgebrochen: Die Profite will jeder in die eigene Republikstaschen stekken. Aber die Rechnung will man gerne dem anderen aufhalsen.

Die Slowaken sind besonders erbittert, daß sie nicht nur auf politischem Sektor (noch) immer von Prag bevormundet werden. Ihr Land, so die Klage, ist von Prag zum Rohstoff- und Halbfertigwarenlieferanten degradiert worden. Wobei man in bezug auf den Preis immer kräftig über's Ohr gehauen wurde. Der „Prager Zentralismus" ist zum Synonym für Bosheit schlechthin verkommen. „Der Bach'sche Absolutismus in der Monarchie Österreich-Ungarn parasitiert in Prag erfolgreich weiter!", meinte unlängst der slowakische Industrieminister Jan HolCik gereizt.

Die Zerschlagung der Monopolbetriebe einerseits und die Entflechtung des wirtschaftlichen Zentralismus und Übertragung der Kompetenzen auf die Republiksebene andererseits treibt den Reformökonomen den Schweiß auf die Stirn. Ein Paradebeispiel bildet das Gerangel um die Neuordnung der Verwaltung der Erdöl- und Erdgaspipelines.

Als der Ölschock im Spätherbst vergangenen Jahres die Tschechoslowakei erzittern ließ, pochte der slowakische Regierungschef Vladislav Me&ar flink im saudischen Ölmekka an die Pforte, um den Mangel zu beheben. Das schwarze Gold - die Saudis sollen zwischen zwei bis vier Millionen Tonnen Rohöl liefern - will man in Zukunft über Schwechat beziehen. Der Bau der 60 Kilometer langen Pipeline würde den Slowaken 259 Millionen Kronen kosten. Der Transport über Jugoslawien und Ungarn kostet 15 US-Dollar, die Schwechater verlangen nur acht US-Dollar pro Tonne.

Doch die Milchmädchenrechnung ging nicht auf: Die Föderalregierung ließ verlauten, daß man lieber eine Pipeline vom weiter entfernten Ingolstadt nach Litvinov an der nordwestböhmischen Grenze bauen wolle. Hintergedanke: Statt der Preßburger Raffinerie .Slovnaft' soll in Hinkunft ein böhmischer Betrieb mit der Verarbeitung betraut werden. Außerdem will man im Energiesektor nicht von nationalen Kabalen abhängig sein.

Als die Slowaken von diesem Plan Wind bekamen, war die Adventstille erheblich gestört. Die Tageszeitung „Smena" kolportierte, daß die böhmische Pipeline, da mit ausländischer Beteiligung gebaut, pro Kilometer eine Million Dollar kosten würde. Obendrein würde die Trassenführung das Naturreservat von Sumava verschandeln. Und noch schlimmer: Die Mittel für den Bau sollten aus der föderalen Kasse fließen. Wo doch nur die Tschechen davon profitieren!

Industrieminister HolCik reagierte mit einer langen Liste von Beschwerden: Die Raffinerie .Slovnaft', ein verheerender Luftverpe-ster und Grundwasservergifter, brachte in der vergangenen Dekade 2,7 Milliarden Kronen Gewinn

in die Staatskasse ein, erhielt aber für die Erneuerung oder Reparatur des Betriebs nur 144 Millionen Kronen zugestanden. Die Raffinerie ist veraltet und hinkt, nach Schätzung eines amerikanischen Experten, mehr als 20 Jahre hinter Schwechat her. Die nötigen Investitionen, so glaubt man bei .Slovnaft', hätte man längst tun können, würde man nicht von Prag so ausgebeutet.

Auch die sowjetische Pipeline „Druschba" ist überholungsbedürftig: Seit 1962 wurde sie nicht mehr erneuert. Überall hat Rost angesetzt. Die Pumpen der nach Böhmen führenden Pipeline verbrauchen jährlich 94 Megawatt Strom, was dem Bedarf der großen Stadt Trencin entspricht. Die Rechnung bezahlen die Slowaken. Die Gratislieferungen hinterlassen ein Defizit von 530 Millionen pro Jahr.

Um die Misere zu beenden, plädierte die slowakische Regierung für die Gründung von zwei separaten, nationalen Gesellschaften mit einem gemeinsamen Konsortium als Verbindungsglied. Prag signalisierte, das sei zu „kompliziert". Mitte Dezember beschloß man dann doch die Aktiengesellschaft „Transpe-trol", mit Sitz in Preßburg, zu gründen. Im Kontrollgremium sollte Böhmen mit vier und die Slowakei mit sechs Sitzen vertreten sein. Die potentiellen Aktionäre könnten Slovnaft, Ropovod Sahy, Petrimex, Nafta Gbely und Petrochema sein.

Aber während der slowakische Industrieminister für die Selbständigkeit der Ölindustrie - sodaß nicht einmal die Republiksgremien sich

einmischen können - plädiert, will sein tschechischer Amtskollege Jan Vrba die Föderalregierung mit der Aufsicht betrauen. Auch einige slowakische Petrobetriebe fürchten die Selbständigkeit, die Gewerkschafter sind bange.

Während beim Ölpoker schon Land in Sicht ist, hängt man in Sachen Erdgas noch völlig in der Luft. Von der Slowakei gehen jährlich rund 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Böhmen. Die Zentralbehörde verbot den slowakischen Pipelinebetreibern bei den Verhandlungen zwischen Prag und Preßburg mitzumischen. Warum?

Die Spekulation, daß das bisherige Preissystem die Slowakei schädigte, sollte nicht noch einschlägige Schützenhilfe bekommen. Direktor Ludvik von der föderalen Erdöl- und Erdgasverwaltung meint hiezu einschränkend: „Zu-

mindest kann man nicht von bewußter Schädigung sprechen!" Die 6,3 Milliarden Gewinn würden „brüderlich geteilt", nämlich 50 zu 50. Großzügig übersieht man aber in Prag, daß der Großteil der Leistung von der Slowakei erbracht wird. Um den Rauf-Handel zu beenden, soll nun eine ausländische Expertenkommission eine „gerechte" Lösung finden.

Ähnliche Grotesken findet man auch in allen übrigen Sparten: Das Aluminiumwerk Ziar an der Hron gilt als einer der ärgsten Umweltverschmutzer in der CSFR. Nun ist die Sanierung des Werkes zu einem Zankapfel zwischen Prag und Preßburg geworden. Nur 20 Prozent des Aluminiums werden in der Slowakei weiterverarbeitet. Der Löwenanteil geht nach Böhmen.

Das Werk in Ziar liefert den Rohstoff für 60 Prozent des Welt-

marktpreises. Die Aluminiumwaren werden von Böhmen gewinnbringend exportiert. Die Belegschaft hat sich ausgerechnet, daß dem Betrieb durch den „Freundschaftspreis" ein j ährlicher Verlust von 800 Millionen Devisen-Kronen entstehe. Würde man den Rohstoff selbst exportieren, hätte man das Geld für die nötige Sanierung schon längst verdienen können. Bisher, so die Zeitung „Närodnä Obröda", sei „nur der Gestank in der Slowakei geblieben".

Zuerst ließ das Prager Finanzministerium verlauten, daß die versprochenen 680 Millionen nicht überwiesen werden könnten, da die Sanierung nach „nicht durchdachten Plänen" verlaufe. Als eine Regierungskommission das Gegenteil ermittelte, wurden 200 Millionen versprochen - aber nicht gezahlt.

Die alte Einsicht, „wenn sich zwei streiten, freut sich der dritte" gilt auch bei diesen Kompetenzstreitigkeiten. Als Renault kürzlich das Rennen um Skoda an den VW-Konzern verlor, inserierten die Franzosen ganzseitig in der slowakischen Presse: „SKODA!" ... es ist schade... aber Renault gibt nicht auf". Die Bratislava Automobilwerke (BAZ) suchen auch einen westlichen Partner. Lange galt General Motors als Favorit. Aber seit Renault bei Skoda durchgefallen ist, findet er bei den Slowaken mehr Gehör.

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