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Scheiterhaufen statt Religionsfreiheit?

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Hans Urs von Balthasar ist am 26. Juni 1988 in Basel gestorben. Noch am gleichen Tag fügte Papst Johannes Paul II. seiner Salzburger Rede vor Wissenschaftlern und Künstlern eine Würdigung dieses weltberühmten Schweizer Theologen, der zwei Tage später die Kardinalsinsigni-en hätte erhalten sollen, hinzu. Bei der Totenmesse am 1. Juli nannte Kurienkardinal Joseph Ratzinger Balthasar „einen wahren Lehrer der katholischen Kirche“.

Die FURCHE möchte dieses großen Theologen durch den Teü-abdruck eines soeben in der Zeitschrift .JDiakonia“ (Heft 4, Juli 1988) erschienenen Balthasar-Artikels zum Thema .Jntegralismus heute“ gedenken. Balthasar setzt darin seine bereits vor 25 Jahren veröffentlichten Überlegungen (auszugsweise zu finden in FURCHE 53/1987) über Integralismus fort und geht besonders auf den Traditionalismus — aufgrund der jüngstenEreignisse ein höchst aktuelles Thema - ein.

Wir leben in einer Zeit, da Propaganda, Reklame, Werbetechnik eine Großmacht geworden sind. Es bereitet tiefe Sorge zu sehen, wie christliche Gemeinschaften heute für sich werben, oft schon bei Minderjährigen, die sich durch geschickte Lockmittel einfangen lassen. Ich besitze eine ganze (internationale) Sammlung von Klagebriefen übertölpelter Eltern, denen eine kirchliche Institution oder Bewegung die Kinder weggestohlen hat.

Mehr oder weniger unbewußt steht hinter solcher Werbung das Bewußtsein einer Gruppe, die katholische Kirche in ihrer Integra-

lität am besten und wirksamsten zu repräsentieren. Heilige Ordensgründer wie Franziskus oder Ignatius haben nie für sich geworben, sondern für das Gottesreich, zu dem man durch Nachfolge Christi Zutritt gewinnt.

Merkwürdigerweise vermählt sich heute (wie im Mittelalter und Barock) persönliches Armutsideal mit Reichtum der Gemeinschaft. Aber das Volk ist dieser Vermählung gegenüber mißtrauisch. Eine Statistik hat nachgewiesen, daß in Frankreich die um reiche Abteien liegenden Ländereien die am meisten entchrist-lichten sind. „Ihr könnt nicht zwei Herren dienen: Gott und dem Mammon“ — selbst wenn ihr nicht Mönche, sondern eine Laienbewegung seid...

Bezüglich der Tradition ist jedermann schnell im Bild. Man kennt die mächtigen traditionalistischen Bewegungen, seien sie, wie sie meinen, im Herzen der Kirche oder an deren Rand in Verhandlungen mit Rom, ob ihr Begriff von Tradition noch kirchlich zulässig sei oder nicht. Kennzeichen beider Gruppen—der zentralkirchlichen wie der randkirchlichen — ist ihre Starre und Selbstgerechtigkeit. Das Bewußtsein ihrer integralen Katholizität gibt ihnen das Recht, alles von ihrem Standpunkt Abweichende souverän zu verurteilen. Sie haben recht, und nur sie.

Weshalb? Weil die „Tradition“ für sie ist. Und was ist für sie Tradition? Das, was war. Was bisher immer gegolten hat. Zur Gegenwart hin wird ein abschließender Strich gezogen. Ist man sich klar, daß alle Schismen der Kirchengeschichte - bei aller vorsichtigen Beurteilung, die auch die positiven Anliegen der „Unterlegenen“ anerkennt — traditionalistischen Ursprungs sind?

Was (irgendwie) bei den Vorni-zänern galt, hat weiter zu gelten, deshalb verlassen die Arianer die Kirche. Was auf dem Konzil von Nizäa galt, hat in Ephesus zu gelten: die Nestorianer verlassen die Kirche. Was in Ephesus galt, muß in Chalzedon gelten: die Mono-physiten aller Färbung isolieren sich. Das Ost-West-Schisma: bis zum zweiten Nizänum, aber keinen Schritt weiter. Die Reformation: was (buchstäblich) in der Schrift steht, aber sine glossa. Die Altkatholiken: was bisher nicht als Dogma definiert wurde, soll es auch heute nicht werden.

Jedes große Konzil produziert ein Residuum. Das heißt jedesmal: die Tradition liegt im Buchstaben. Und man sieht nicht, daß der geistlose Buchstabe tötet. Daß Tradition zuerst etwas Lebendiges, Weiterdrängendes ist, ein suchendes Sich-hinein-Beten und -Betrachten in das lebendige Wort. Der Trennungsstrich wird dort gezogen, wo ich als Junge etwas gelernt habe, was eben deshalb als Dogma zu gelten hat. Es ist so bequem, sich darauf auszuruhen und keine weiteren Anstrengungen machen zu müssen!

Altkonservative Geschlechter finanzieren mit Vorliebe solche traditionssichere (feuersichere) Blätter. Diese Gruppen wissen schon Bescheid, sind daher für jeden wohlgemeinten Dialog verloren. Wenn Rom sich um einen solchen bemüht, heißt es: Wartet nur, ihr werdet schon sehen, daß wir schließlich doeh anerkannt werden. Und wenn eine solche Anerkennung nicht erfolgt, dann hat Rom, wie so oft, selbstverständlich unrecht. Was für ein Skandal, daß der Papst mit Andersgläubigen („Häretikern“) zusammen betet! Was für ein Ärgernis, daß er mit den Feinden Christi, den Juden, fraternisiert. Seit wann reisen Päpste dauernd in der Welt herum? Haben sie zu Hause nicht Arbeit genug?

Niemand wird leugnen, daß viele „progressistische“ Mißstände besonders im Klerus die traditionalistische Tendenz verstärkt und ihr anscheinend recht gegeben

haben. Das Volk mußte an vielem, was ihm nachkonziliar vorgesetzt wurde, berechtigten Anstoß nehmen - bis heute. Und so ist es nicht verwunderlich, daß eine Menge braver Gläubiger dem Traditionalismus ins Netz geht, meist ahnungslos, wo die entscheidenden Punkte eigentlich liegen.

Die Extreme treiben sich gegenseitig hervor, aber die,.Progressi-sten“ sind sich dabei ihrer Verantwortung selten bewußt. Mit einem verächtlichen Blick nach „rechts“ ist es nicht getan. Mit einer Kritik an der Rückständigkeit Roms ebensowenig, aber es ist bedeutsam, daß der antirömische Affekt auf beiden Seiten unvermindert heftig spielt: Rom ist zu progressiv—Rom ist zu konservativ. Vielleicht ist Rom doch, aufs Ganze gesehen, in einer Mitte, die es den Extremen objektiv möglich machen könnte, ihr Gleichgewicht wiederzufinden.

Was von den Traditionalisten jeglicher Färbung nicht gesehen wird, ist die Tatsache, daß die Kirche mit dem Zweiten Vatika-num über eine lange Strecke eines pyramidalen Verständnisses (der Papst als oberste Spitze, dann durch den Klerus der Abstieg zu den Laien) zur altkirchlichen Ek-klesiologie der Communio zurückgefunden hat, ohne deshalb mit der historischen Tradition zu brechen. Das Kennwort „communio hierarchica“ spricht etwas von der gewonnenen Synthese aus.

Eine „Bewegung für Papst und Kirche“ macht sich durch die Reihenfolge der Hauptworte heute selber lächerlich — am meisten beim gegenwärtigen Heiligen Vater. Diese Tradition mag allenfalls bis auf Gregor VII. zurückreichen, nicht weiter. Und der Kampf um die kirchliche Selbständigkeit, die dieser Papst gegen ein sakrales Kaisertum durchzufechten hatte, ist längst bedeutunglos geworden. Und will vielleicht, wer gegen die Religionsfreiheit optiert, die Scheiterhaufen der Inquisition wieder einführen?

Man muß sich den Ewig-Gestrigen gegenüber auf den echten Sinn katholischer Tradition besinnen. Nicht ein Weiterreichen des Immergleichen, so wie eine Kette von Arbeitern sich Ziegelsteine zuwirft; sondern etwas unerhört Lebendiges, das seinen letzten Ursprung in der Ubergabe des Sohnes durch den Vater an die Menschen, in der Selbstübergabe Christi an die Kirche hat, in der Weitergabe der Apostel an ihre Nachfolger:

Immer mit dem Herzblut des Tradierenden zusammen, immer mit der Mahnung, keine Sache, keine fertige Formel, sondern Göttlich-Lebendiges anvertraut zu erhalten: ..Ich weiß, bei meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen..., die mit ihren falschen Reden die Jünger auf ihre Seite ziehen. Seid also wachsam ..., ich vertraue euch Gott und dem Wort seiner Gnade an, das die Kraft hat, aufzubauen“ (Apg 20,29-31).

„Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (2 Tim 1,7). Integral ist Tradition nur, wenn die Kirche im Geist des sich selbst in seinem Sohn der Welt überliefernden Vaters tradiert.

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