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Scheue Kinder des Lichts

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Ein lieber und maliziöser Freund, der viel bei Faschingsveranstaltungen und auf Bällen unterwegs war und darum - ganz im Gegensatz zu mir — aus reicher Erfahrung sprechen konnte, sagte einmal während meiner Wiener Studienzeit zu mir: Die Bälle werden erst nach dem Aschermittwoch lustig, wenn endlich die Katholiken daheim bleiben! Für mich, der ich vom Land kam, war es völlig unvorstellbar, daß jenseits dieser sozusagen magischen und tragischen Grenze, wie auch nach dem Katharinentag, tatsächlich noch getanzt werden sollte. Für mich waren im Sinne der Erziehung durch meine Eltern die Fastenzeit und der Advent selbstverständlich „geschlossene Zeiten". Und sie sind es mir auch geblieben.

Als Nichttänzer und Gesellschaftsmuffel ist das Opfer, das ich durch Enthaltsamkeit bringe, freilich nicht besonders groß. Ausgehen - das wäre die eigentliche Uberwindung.

Doch geht es hier nicht darum, daß ich mich als vorbildlichen Christen empfehle. Wer das täte, zeigte sich eo ipso nicht als das, wofür er sich ausgibt. Wer ein Selbstbewußtsein der Heiligkeit hat, wird eben dadurch zum Scheinheiligen. Demutsgesten allein machen den Christen freilich auch nicht aus ...

Was das Einhalten von Geboten, insbesondere Kirchengeboten betrifft, erlebte ich auch in der Katholischen Hochschuljugend, der ich mich anschloß, viel Freizügigkeit, Lässigkeit und Lockerheit. Entsprechend der Hochkonjunktur im wirtschaftlichen Bereich, der „freien Marktwirtschaft", wo „die dynamische Unternehmerpersönlichkeit" das Leitbild abgab, wurde auch im kirchlichen Raum in den fünfziger Jahren wieder einmal das Individuum entdeckt und die SELBSTVERWIRKLICHUNG großgeschrieben.

Die Selbstverwirklichung aber konnte nicht warten und kannte keine Stunde, das Selbst mußte verwirklicht werden, wann immer es sich meldete. Es hielt sich nicht an Termine. Es war beweglicher als Ostern! Man wollte vom Äußeren und Unwesentlichen loskommen und das Eigentliche, Innere und Wesentliche finden. Die jungen Leute waren mit heiligem Eifer bei ihrer Arbeit, dem „Aufbrechen von Strukturen" und dem „Durchforsten". Man hörte die Äxte, es herrschte ein ziemlicher Krach und man konnte ihn durchaus für Baulärm — die akustische Begleiterin des Konstruktiven — halten.

Das hat man aber schließlich meiner Einschätzung nach etwas zu lange betrieben, so lange nämlich, bis es kaum noch Strukturen und darum auch nicht mehr viel auf- und abzubrechen gab. Und dem Durchforsten sind leider auch einige gesunde Bäume zum Opfer gefallen. Und wenn Gewalt, Ungerechtigkeit und Repression krank machen, so entwickelte sich bei einigen allmählich auch die sogenannte Ideologiekritik pathologisch zur Obsession. Die Abneigung gegen „strukturelle Gewalt", auf die Kirche bezogen gegen „Amtskirche" und Hierarchie, entwickelte sich bei manchen zu einer Allergie und Idiosynkrasie. Und hatte man vorher ständig „sensibilisiert", so predigte man nun als Therapie die „Desensibilisierung" ...

Christenmensch, Mensch und Christ! In der Theologie galt der Grundsatz: Gratia supponit natu-ram, die Gnade setzt bei der Natur an, das Ubernatürliche bedient sich des Natürlichen. Menschen, Menschen san ma olle. Das heißt aber nicht, daß der Christ dem Menschen in sich völlig nachgibt, daß er seinen Trieben dahin folgt, wohin sie ihn treiben. Der christliche Humanismus kann sicher kein Biologismus und kein Materialismus sein, auch kein Hedo-nismus. Es ist kein Kunststück, bloß das zu tun, auch nicht zu entdecken und zu erforschen, was einem die Natur nahelegt.

Die „Kinder des Lichts" lauschen andächtig den „Kindern dieser Welt", die ihnen das Menschliche und Animalische am Lebewesen Mensch erklären. Doch sollte der Christ kein Paw-lowscher Hund sein. Der Christ sollte nicht wie ein dummer Hund nur bedingte Reflexe kennen, sondern auch unbedingte Reflexionen. Sicher ist, wie sehr wir es auch herunterspielen möchten, die Sexualmoral ein wichtiger Prüfstein, wenn nicht überhaupt die Nagelprobe der Sittlichkeit und christlichen Ethik.

Manchmal trete ich in Pichl vor mein Haus und blicke hinüber über die Hügel des Hausruckviertels Richtung Scharten und denke mir: Dort drüben sitzt der wackere Professor Ernest Borneman und schreibt sich die Finger wund über den Menschen. Er würde mich auslachen, wenn ich gegen den Wind und gegen den Zeitgeist noch so laut riefe: Der Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes! Aber er könnte mich ja gar nicht hören in seinem Bauernhaus hinter den dicken Mauern des umgebauten und umgewidmeten Kuh-und Schweinestalles, wo er seine erotische Bibliothek und seinen Arbeitstisch stehen hat und über den leiblichen und den fleischlichen Menschen traktiert und „an-thropologisiert"___

Nolite conformari huic saeculo, steht bei Paulus, macht euch nicht mit der Welt gemein. Groß über der Brüstung des Presbyteriums der Kirche meiner Heimatgemeinde Pichl aber stand das Johannes-Wort: Dies ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube. Im Zuge einer Renovierung hat man dieses Schriftband entfernt.

Demnach wird der Christ doch ein eigenartiger Mensch sein müssen. Die Scheu der „Kinder des Lichtes", für nicht ganz helle oder für Langweiler wie im Weltbild des eingangs zitierten Freundes gehalten zu werden, ist durchaus verständlich. Die Kinder dieser Welt aber sind und bleiben klüger als die Kinder des Lichts, und der Bestand der Kirche gründet weniger auf der Geschicklichkeit und Tüchtigkeit ihrer Verwalter und Amtsträger — und wären sie klug wie die Schlangen — als auf den Gebeten und Leiden der Lautlosen und Stillen. Die wahre Kraft kommt von den Schwachen.

Wie viele Divisionen hat der Papst, fragte Jossif Wissariono-witsch Dschugaschwili Stalin, das heißt „der Stählerne", rhetorisch. Er mußte aber wirklich alle Theologie, die man ihm im Priesterseminar in Tiflis beigebracht hatte, vergessen und verlernt haben.

(Vorabdruck eines Beitrages des Sammelbandes „Christ sein: Mensen sein" im Schwabenverlag, Ostfildern)

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