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Schia: Tickende Bombe für 1984

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Die blutige Spur der Attentate von Kuwait hat die Aufmerksamkeit erneut auf jene Kraft gelenkt, die in den letzten fünf Jahren verantwortlich für so gut wie alle Terrorakte und Umsturzversuche im Nahen Osten waren: die von Irans Ayatollah Chomeini geführten Schiiten.

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Die blutige Spur der Attentate von Kuwait hat die Aufmerksamkeit erneut auf jene Kraft gelenkt, die in den letzten fünf Jahren verantwortlich für so gut wie alle Terrorakte und Umsturzversuche im Nahen Osten waren: die von Irans Ayatollah Chomeini geführten Schiiten.

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Am augenfälligsten wird die geradezu selbstmörderische schiiti- sche Einflußnahme in Libanon. Man braucht sich nur im Süden von Beirut, in Schia zum Beispiel, ein wenig umzuschauen, um zu sehen, daß das libanesische Problem mit dem Auszug der PLO von Yasser Arafat aus Tripolis noch keineswegs gelöst oder wenigstens auf den jahrhundertealten Konflikt zwischen Christen und Drusen reduziert ist.

Die tiefe Strukturkrise des kleinen Landes, das vielleicht allzu vielen religiösen und nationalen Minderheiten Zuflucht gegeben hat, wird ohne die Schia, von der dieser Vorort seinen Namen er-

halten hat, nicht zu lösen sein: In allen Gassen Bilder Chomeinis, die zeigen, wo Libanons allzulange sozial benachteiligte und politisch unterrepräsentierte Schiiten heute ihren starken Rückhalt haben.

Die von Teheran geschürte Islamische Weltrevolution geht längst weit über die typisch iranische Konfession der sogenannten Zwölfer-Schia hinaus und hat bei allen Muslimen Fuß gefaßt. Dennoch bedienen sich die persischen Ayatollahs geschickt der schiiti- schen Gruppen im Ausland und bilden aus ihnen Kader für die breitere Umsturzbewegung.

Im Fall von Libanon stellen die Schiiten nach der letzten offiziellen Statistik nur 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Im Parlament von Beirut sind sie mit nur fünf der 99 Abgeordneten noch schwächer vertreten. Das libanesische Proporzsystem sichert ihnen lediglich den Posten des Parlamentspräsidenten, während sie heute offen nach der Führung im Staat anstelle des katholischen

Maroniten Amin Dschumael rufen.

Die Schiiten machen nämlich in Wirklichkeit eine der drei Millionen Libanesen aus und sind anstelle der Maroniten zur stärksten religiös-politischen Gruppe des Landes aufgerückt.

Ihr Zentrum lag ursprünglich im Süden zwischen Saida und Sur, wo sie gegen 80 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Im Bürgerkrieg 1975/76 wurden die meisten von der PLO nach Beirut herangetrieben.

Hier residiert auch ihr ursprünglicher politischer Führer, Nabeh Berri. Seine von tapferen Milizen flankierte Amal-(Hoff- nungs-)Partei, die für eine gemeinsame Zukunft aller Libanesen und Zusammenarbeit mit dem Regime Dschumael eintritt, hat aber nur mehr eine verschwindende Anhängerschaft.

Für Zwist und Terror in Libanon sind heute die „Islamischen Amai“ unter Hussein Mussauwi verantwortlich. Er und seine „Todeskämpfer Allahs“ erhalten ihre Direktiven von Chomeinis langjährigem Botschafter in Beirut, Fachr Ruhani Mussa. Er dürfte heutzutage überhaupt die Zentralfigur für den gesamten Nahostterror der islamischen Revolutionäre sein und hält sich meist in Baalbek auf, dem wichtigsten Stützpunkt Teherans an der Levante.

Seine Rolle kann nur mit jener des sowjetischen Emissärs Solda- tov verglichen werden, der Beirut von 1974 bis 1982 zur Hauptdrehscheibe von Waffen und terroristischem Know-how für die Palästinenser gemacht hatte. Heute spricht viel dafür, daß sich Sowjets und Perser als Unruhestifter zwischen Libanon und dem Golf die Hände gereicht haben. Arafat und seine PLO hatte Sol- datov schon vor ihrer Vertreibung aus Beirut als weltrevolutionäre Erfüllungsgehilfen abgeschrieben gehabt und gemeint: „Jetzt lassen wir Chomeini für uns arbeiten!“

Ruhani Mussa ist selbst Hod- schatoleslam, also schiitischer Geistlicher einen Rang unter den Ayatollahs. Seine Aktivitäten in Libanon gehen in zweifacher Richtung: auf die Iranisierung des syrisch besetzten Gebietes und die Umfunktionierung der noch bodenständigen Amal-Bewegung der libanesischen Schiiten zu einem Vollzugsorgan von Teheran.

So unterstützt er provokativ nur die im syrischen Machtbereich operierenden Islamischen Amai mit Geld und Waffen: vor allem mit sowjetischen Maschinenpistolen und Panzerfäusten,

aber auch mit deutschen und belgischen Gewehren.

Zusammen mit den in Baalbek stationierten persischen Revolutionswächtern der Pasdaran, die über Damaskus nach Libanon gekommen sind, betreiben diese radikalen Chomeini-Jünger eine systematische Iranisierung in den Städten und Dörfern des Bekaa- Tales zwischen dem Hohen und dem Anti-Libanon. Auch Nicht- Schiiten werden dort zur Annahme iranischer Praktiken und Bräuche gezwungen.

Bei Unterwanderung der eigentlichen Amai macht sich Hod- schatoleslam Mussa das Verschwinden ihres Gründers und geistlichen Führers, des Imam Mussa Sadr, seit 1978 in Libyen konsequent zunutze. Diese Einschleichtaktik ist für den Export der Islamischen Revolution in alle Welt von größter Bedeutung, da Amal-Anhänger und andere gemäßigte Schiiten an den libanesischen Botschaften wie in den Auslandskolonien des Nahen und Mittleren Ostens überdurchschnittlich stark vertreten sind.

Saudiarabien und die Golfstaa- ten haben schon länger ein wachsames Auge auf Libanesen schiitischer Konfession. In Afrika sieht man sie im Tschad, der Zentralafrikanischen Republik und Kamerun als Fünfte Kolonne der Expansion Libyens an, das ja wiederum mit Iran und Syrien ver bündet ist. Alle drei Länder beherbergen starke libanesische Händlerkolonien.

Von den 24 Mitgliedern des Zentralkomitees der libanesischen „Amai“ sind heute nämlich 17 darauf eingeschworen, Libanon zu einer islamischen Republik zu machen, es mit dem iranischen Mutterland aller Schiiten zu kon- föderieren und die Auslandslibanesen in den Dienst der islamischen Weltrevolution zu stellen.

Die sieben Amal-Führer im noch immer israelisch besetzten Süden des Landes gehen angesichts dieser Entwicklung ihre eigenen, oft völlig verzweifelten Wege. Manche haben sogar in die Reihen der radikal maronitischen Miliz von Major Saad Haddad gefunden.

In Sur versucht die Schwester des verschollenen Imam Sadr der Chalil-Fraktion entgegenzuwirken, die sich völlig auf die Seite Israels geschlagen hat. Und im Raum von Saida bemüht sich Muhammad Gaddar um einen Mittelkurs zwischen Palästinensern und Israelis, macht aber auch kein Hehl aus seinen pro-iranischen Neigungen.

Auf jeden Fall bleibt die Schia in allen ihren außeriranischen Verbreitungsgebieten, in Libanon, Syrien, der Türkei, dem Irak und vor allem am Golf, eine tickende Zeitbombe für 1984.

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