6894502-1980_06_02.jpg
Digital In Arbeit

Schiff auf weiter Fahrt

19451960198020002020

Der Autor ist Pfarrer von Hinterbrühl und Südstadt

19451960198020002020

Der Autor ist Pfarrer von Hinterbrühl und Südstadt

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn man ein Leben lang in der Seelsorge tätig war, dann läßt einem die Tatsache des, sagen wir einmal, schwindenden religiösen Interesses in unserer Welt nicht zur Ruhe kommen. Gerhard Schmidtchen hat das in aller Ruhe, der „Spiegel" wieder einmal eher mit Genugtuung kundgetan.

Wir wissen, die Säkularisation geht weiter, wir wissen, daß neben dem negativen Prozeß ein anderer, positiver, vor sich geht, daß die Religion unausrottbar ist und daß sich neue Zentren und Formen der Innerlichkeit bilden, die wir früher nicht für möglich gehalten hätten.

Wir befinden uns zweifellos in einer weltgeschichtlichen Krise, und die dauert nach Jakob Burckhardt zweihundert Jahre. Das heißt, wir müssen mit Gott und der Welt Geduld haben. (Mit einer allgemeinen Krise ist es wie mit einer Krankheit. Sie bricht aus, entfaltet sich, erreicht ihren Höhepunkt („Krise" heißt „Entscheidung"), es bilden sich die Gegenkräfte, und wenn man nicht daran stirbt, geht man gestärkt daraus hervor. Manche Infektionskrankheiten kann man nur einmal bekommen, dann ist man dagegen immun.

Die Glaubenskrise ist in eine allgemeine eingebettet; das macht alles so kompliziert. Mit der Gefahr wächst auch das Rettende bekanntlich. In der Stunde der Gefahr soll man einen langen Atem haben. Das braucht auch die Gesamtheit der Gläubigen. Vorschnelle, hastige, nervöse Reaktionen sind auch zweifellos aus Angst und letztlich Unglauben geboren.

Es ist nicht so, daß etwa die Extremitäten krank und Herz und Hirn gesund sind -die Krankheit, Schwäche oder Unsicherheit erstreckt sich über den ganzen Leib der Christenheit oder Kirche. So ein großes Schiff ist nicht leicht zu lenken und zu steuern, es hat seine Eigengesetzlichkeit, es ist vielen Strömungen unterworfen, von innen und von außen.

Dostojewski hat gesagt: Ein großes Schiff hat eine weite Fahrt. Das gilt auch für das Kirchenschiff, wobei ich es in einem umfassenderen Sinne meine.

Man könnte, um beim Bild zu bleiben, die Frage aufstellen, ob nicht auch in unserer Zeit der Herr des Schiffes, das ist natürlich Jesus und niemand anderer, so wie damals auf dem See Genesaret schläft und das Schiff, aus welchem Grunde immer („Ihr Kleingläubigen!" sagte er nachher), ein wenig treiben läßt. Wir als Kirche leben noch nicht im Paradies, sondern in der Welt, wo gut und bös beisammen leben. Das Reich Gottes soll kommen, aber es ist noch nicht da. Auch die Kirche ist nicht das Reich Gottes, sie soll nur helfen, es näherzubringen.

Wir müssen ständig Kurs halten auf das Ziel des Reiches Gottes, wie schwer der Wellengang und wie widrig die Strömung auch sind. Je-' der Unternehmer, jeder Arbeiter möchte einen Erfolg erleben. Bei uns fallen die Blätter weiter vom Baum. Es sind nicht mehr so viele Abfälle wie vor kurzem, aber immerhin: Es sind weitaus mehr als Konvertiten.

Ich glaube, das wichtigste ist, daß wir den Läuterungsprozeß bei uns selber weitergehen lassen - ohne Angst und Betriebsamkeit, ohne Reglementierung, aber auch ohne die Meinung, daß es nur eine Frage der Organisation oder Disziplin ist. Es muß ein gewisser Spielraum der Kräfte da sein, damit Klärung erfolgen kann.

Es wird auch weiterhin nicht ohne starke Selbstkritik gehen. Das Zweite Vatikanu m hat deswegen so starken Eindruck auf die Welt gemacht, weil wir ehrlich waren und mit uns selber ins Gericht gingen. Moses führte sein Volk durch die Wüste und sah das Gelobte Land nur von ferne.

Wahrscheinlich geht es auch uns so. Aber letztlich glauben wir nicht nur an das Rettende, sondern an den Retter, den Herrn der Zeiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung