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Schlagwort ,Schulstreß‘

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Die Schule sei heute nicht mehr auszuhalten, das Klassenzimmersei ein Krisenherd, der Schüler leide unter ständigem Leistungsdruck. So war in letzter Zeit des öfteren zu hören. Die FÜR CHE läßt dazu nun die Stimme eines erfahrenen Lehrers vernehmen.

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Die Schule sei heute nicht mehr auszuhalten, das Klassenzimmersei ein Krisenherd, der Schüler leide unter ständigem Leistungsdruck. So war in letzter Zeit des öfteren zu hören. Die FÜR CHE läßt dazu nun die Stimme eines erfahrenen Lehrers vernehmen.

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Die in den Massenmedien immer wieder auftauchende Behauptung, die Kinder in den Schulen stünden unter Streß, ist einer näheren Untersuchung wert, zumal das Schlagwort oft gedankenlos gebraucht und ebenso gedankenlos nachgeplappert wird. Es ist zum Modewort geworden, das als Ursache mancher Unzulänglichkeiten im schulischen Alltag hingestellt wird.

Auf die Frage, ob Schüler durch die Existenz der Schule unter Streß stehen, muß - zumindest Für den Bereich der Pflichtschule (Für die höhere Schule mag es etwas anders aussehen) - als Antwort ein glattes „Nein“ stehen; es sei denn, man bezeichnet ein gewisses Ordnungsgefüge schon als Streßsituation.

Die Pflichtschulen Österreichs sind so konzipiert, daß sie dem Kind in jeder Beziehung Rechnung tragen: der Alterstruktur, der Belastbarkeit, der Intelligenzförderung, der Unterrichtsdauer, dem Unterrichtsablauf, vor allem aber von der Warte des Umfanges der Lehrstoffvermittlung.

Diese Organisationsstruktur der Schule kommt dem normal entwickelten Kind unzweifelhaft entgegen. Wer freilich auf dem Standpunkt steht, daß Persönlichkeitsentfaltung nur in unbeschränkter Freizügigkeit dem Willen des Kindes entsprechend möglich ist, wird sofort das Wort „Streß“ gebrauchen, wenn der Lehrer Ordnung und Ruhe verlangt.

Und wer vielleicht gar auf dem Standpunkt steht, daß alles unterricht- liche Geschehen vom Kinde her bestimmt werden kann, leugnet jeden Rahmen gedeihlichen Zusammenseins in einer Gemeinschaft werdender Menschen.

Ein durchschnittlich begabtes Kind, das aus einer normalen Familiensituation kommt, kann durch die österreichische Pflichtschule kaum einer physi-

schen oder kognitiven Überforderung, die permanent ist, gegenüberstehen.

Anders liegt der Fall freilich, wenn Kinder von ihren Eltern - aus welchen Gründen immer - gezwungen werden, Schulen zu besuchen, in denen sie einfach überfordert sein müssen. Dies kann beim Besuch der Oberstufenformen der höheren Schulen geschehen, gegebenenfalls aber auch schon in der Unterstufe.

Dann ist aber nicht die Schule an diesem permanenten Versagen schuld, das in der Folge zwangsläufig zu Streßerscheinungen Führen muß, sondern falscher Ehrgeiz und ungesundes Prestigedenken mancher Eltern, die den Empfehlungen der Pflichtschullehrer kein Gehör geschenkt haben.

Deshalb ist es auch so wichtig, daß es bereits für die 10-bis 14jährigen eineWahl- möglichkeit gibt, damit Für jedes Kind die Gewähr besteht, daß es die Für seine Leistungsfähigkeit adäquate Schule besuchen kann. Eine wie immer geartete „Gesamtschule“ wäre deshalb verfehlt.

Nur eine Typenvielfalt bietet die Möglichkeit, daß Lehrplanforderungen und Bildungsstoffe nicht nur altersangepaßt sind, sondern auch dem individuellen Leistungsniveau des Kindes Rechnung tragen kann. Bei allen Reformen und Verbesserungen im Schulwesen, die sicher laufend nötig sind, weil immer wieder neue Erkenntnisse, Anforderungen und Organisationsstrukturen zu berücksichtigen sind, darf nie der Grundsatz übersehen werden, daß die Anforderungen des Lehrstoffes der Altersstufe des Kindes, seiner Entwicklung, seiner Aufnahmefähigkeit und seiner individuellen Entfaltungsmöglichkeit entsprechen muß.

Nun kann freilich keineswegs geleugnet werden, daß es in allen Schulen - und so auch im Pflichtschulbereich - überforderte und daher gestreßte Schüler gibt. Doch ist es nötig, die wahren Gründe für diese Überforderung zu untersuchen. Meist trifft es nämlich zu, daß ein Kind durch außerschulische Unzukömmlichkeiten belastet ist (tristes Milieu, Trennung der Eltern, Alkoholsüchtigkeit eines Elternteils usw.) und diese Tatsache nun in der Schule zutage tritt.

Und gerade dieses Zutagetreten läßt den falschen Schluß zu, daß die Schule ausschließlich der Grund sei, wenn ein Kind keinen Erfolg hat, wenn es schlecht oder gar nicht mitkommt, wenn es sich nicht einfügen kann oder zur Gänze versagt. Und dies wird dann unter dem Sammelnamen „Streß“ zusammengefaßt und die Behauptung aufgestellt, Schule und Lehrer seien schuld.

Sicher mag es da und dort einen schlechten Lehrer geben - keine Berufsgruppe ist frei von Versagern und schwarzen Schafen.

Die überwältigende Mehrheit der Lehrer tut ihre Pflicht und die allermeisten weit mehr als das. Einmal ein wenig Anerkennung und Dank dafür in den Medien wäre sicher mehr als angebracht und wünschenswert.

Regierungsrat Dr. Alexander Fussek ist Bezirksschulinspektor in Wien XI und Bundesobmann der Katholischen Lehrerschaft Österreichs.

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