6905665-1980_43_06.jpg
Digital In Arbeit

Schlamm und Schmalz

19451960198020002020

Während es zwei Wochen vor den amerikanischen Präsidentschafts wahlen zumindest riskant ist, einen Sieger vorauszusagen, kann man doch schon jetzt einige Feststellungen machen, die am 4. November mit größter Wahrscheinlichkeit Gültigkeit haben dürften:

19451960198020002020

Während es zwei Wochen vor den amerikanischen Präsidentschafts wahlen zumindest riskant ist, einen Sieger vorauszusagen, kann man doch schon jetzt einige Feststellungen machen, die am 4. November mit größter Wahrscheinlichkeit Gültigkeit haben dürften:

Werbung
Werbung
Werbung

Die Wahlbeteiligung wird wie bereits bei den letzten Wahlen äußerst niedrig sein, vielleicht zum erstenmal unter SO Prozent der Wahlberechtigten absinken. Wer auch immer gewinnt, wird daher ein schwaches Regierungsmandat haben. Der Kongreß bleibt mächtig -wahrscheinlich zu mächtig ...

Der Wähler ist unzufrieden mit den Kandidaten, er ist unzufrieden mit dem Wahlkampf selbst. Aber durch die Auswahl der Kandidaten Carter und Reagan hat er sich mitschuldig gemacht an der Situation, die er heute so sehr beklagt. Denn es gab jedenfalls zu Beginn der Kampagne bei den Republikanern eine Vielzahl von Kandidaten aller Schattierungen und auch bei den Demokraten zumindest die Alternative Kennedy.

Wenn man daher heute am Stil des Wahlkampfes Kritik übt und den Mangel an sachlicher Diskussion beklagt, so liegt das nicht zuletzt an der Wahl der Kandidaten und ihrer jeweiligen Ausgangsposition:

Daß Carter sich scheuen würde, die „Leistungen" während seiner Regierungszeit zu preisen und den Kampf um seine Bestätigung unter den Slogan „Es ist euch niemals besser gegangen" zu stellen, ist angesichts der Tatsache, daß unter seiner Regierung so ziemlich alles schief gegangen ist, was schief gehen konnte, nur allzu verständlich. Wirtschaft, Außenpolitik und militärische Rüstung zeigen einen selten zuvor gekannten Tiefstand.

So mußte der Präsident vorerst einen „schmutzigen Wahlkampf" führen, um das große Reservoir seiner Demokratischen Partei aufzuwirbeln. Wenn er seinen Gegner als einen „Kriegshetzer", einen Mann des inneren Unfriedens und der sachlichen Ignoranz darstellte, hoffte er, die noch im Abseits stehenden Millionen von Unterprivilegierten -Neger, Hispanier und alle sonst demokratisch wählenden Minderheiten - zu den Urnen zu locken.

Es war zu erwarten - und daraufhatten auch die Strategen des Präsidenten gehofft -, daß Reagan wie ein Cowboy im Film zurückschlagen würde. In diese Falle ist Reagan jedoch nicht getappt. Er hat von Haus aus ein gemäßigtes Profil gezeigt, um das Stigma des Extremisten abzulegen. Er ließ daher auch Carter wild um sich schlagen, blieb ruhig und freundlich, irgendwie verwundert über so viele sinnlose Angriffe.

Daß Carter sich mit diesem Wahlkampfstil ein Eigentor geschossen hat, erkannte er letztendlich selbst. Reumütig bekannte er in einem Fernsehinterview: „Die menschliche Natur bricht eben manchmal durch ..."

Und um sein altes Image als hochanständiger, wohlmeinender Politiker bei der Öffentlichkeit wieder aufzupolieren, kündigte er auch gleich an: „Ich werde versuchen, künftig zurückhaltender zu sein und allein bei den Sachthemen zu bleiben."

Dennoch: Die von Carter inszenierte Schlammschlacht hat viele US-Bürger an der Integrität des Präsidenten zweifeln lassen. Gerade auch die Medien sind Carter seit seiner Verunglimpfungskampagne auf der Kappe, seine Fehltritte und Schlappen wurden im Fernsehen und in den Zeitungen vor einem Millionen-Publikum ausgeschlachtet.

Reagans Ausgangsposition ist völlig

anders. Seit seiner Nominierung stand die zahlenmäßig viel kleinere Republikanische Partei geschlossen hinter ihm. Er muß versuchen in die rechten Randschichten der Demokraten einzubrechen um sich am 4. November eine Mehrheit zu schaffen. Das ist vor ihm in der jüngeren Geschichte bloß Nixon gelungen.

Reagans bescheideneres Reservoir liegt bei den Facharbeitern, bei gewissen Agrarschichten, die als Wechselwähler anzusprechen sind, und bei vielen Frauen, die seinen etwas ranzigen Charme und seine schmalzige Suada lieben und sich auch von dem angesprochen fühlen, was der Intellektuelle als Ubervereinfachung ablehnt.

Sachliche Argumente sind für diese Wähler überholt. Sie fühlen sich durch Reagans vage Zukunftsvisionen ausreichend motiviert und auch durch das Versprechen des Republikaners, die Steuern erheblich zu senken.

Der Kandidat, der die Probleme am sachlichsten diskutiert, ist der „liberale" John Anderson; ihm fehlt es jedoch an Hausmacht und Geld. Er ist schließlich nichts anderes als ein in den Vorwahlen geschlagener Republikaner und ein Kandidat, der sich selbst gekürt hat. Seine Kampagne hat in den letzten Wochen erheblich abgebaut, so daß man ihm heute die Chance abspricht, auch nur einen einzigen Bundesstaat zu gewinnen.

Anderson bleibt aber ein schwer abzuschätzender Faktor, der beiden Hauptkandidaten (vor allem aber Carter) wichtige Stimmen vorenthalten wird, insbesondere in für den Ausgang so entscheidenden Staaten wie New York, Pennsylvania, Illinois, New Jersey.

Glaubt man den Meinungsbefragern, so würde Reagan heute die Wahl gewinnen. Aber aufgrund des wesentlich größeren demokratischen Reservoirs, aufgrund des Anderson-Faktors und nicht zuletzt deshalb, weil ein amtierender Präsident kurzfristig Dinge passieren lassen kann, die ihn ins günstige Rampenlicht stellen, muß man den Ausgang als offen bezeichnen.

Seit Wochen schon geistert deshalb durch die Medien das Wort von der „Oktober-Überraschung", die Carter der amerikanischen Öffentlichkeit bereiten will. Gemeint ist damit wohl ein spektakuläres Unternehmen zur Befreiung der fast nun schon seit einem Jahr festgehaltenen US-Geiseln in Iran.

Schließlich hat der Besuch des iranischen Premiers Radjai bei der UNO in New York die Spekulationen in dieser Hinsicht weiter verstärkt, zumal Präsident Carter vergangene Woche die zuvor eingenommene neutrale Position im irakisch-iranischen Konflikt urplötzlich abschwächte, indem er den Irak als „Agressor" bezeichnet und sich für die Unantastbarkeit des iranischen Staatsgebietes ausgesprochen hat.

Bislang hat Teheran aber auf alle Signale aus Washington (u. a. wurde auch von einem Tauschgeschäft Waffen gegen Geiseln gesprochen) nicht reagiert.

Jedenfalls wirft es ein bezeichnendes Licht auf den derzeitigen Zustand der Weltmacht USA, daß im Hintergrund ein religiöser Eiferer in Teheran ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat, wer denn nun der neue amerikanische Präsident wird ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung