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Schlampige Verhältnisse

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Österreich hat heute das Image eines Landes, in dem die Nazis nach der Befreiung straflos ausgingen. Verweist Österreich auf. die 13.000 gegen Nationalsozialisten gefällten Schuldsprüche, wird von deutscher Seite in letzter Zeit gern mit dem Argument geantwortet, diese Zahlen könnten mit den deutschen nicht verglichen werden, weil in den Zahlenangaben über die österreichische Justiz in NS-Sachen auch all die Fälle enthalten seien, die in der Bundesrepublik die sogenannten Spruchkammern erledigt hätten.

Dieses Argument geht von falschen Voraussetzungen aus, auch wenn die Behauptung, Österreichs Justiz hätte das Problem der NS-Straftaten mit Anstand hinter sich gebracht, trotz der 13.000 Schuldsprüche leider widerlegt werden kann. In Österreich gab es zwar keine Spruchkammern, dafür aber, mit zumindest vergleichbarem Effekt, die automatischen, in den ersten Nachkriegsjahren schwerwiegenden Sühnefolgen.

Da seine Eigenstaatlichkeit bereits im April 1945 wiederhergestellt war, war Österreich auch mit dem „Naziproblem“ früher konfrontiert als die vier Besatzungszonen ohne Regierung auf deutschem Boden. Bereits am 28. April 1945 lesen die Wiener die vom Provisorischen Staatskanzler Karl Renner und von Adolf Schärf für die SPÖ, von Leopold Kunschak für die ÖVP und von Johann Koplenig für die KPÖ unterzeichnete Proklamation mit der Liste einer Provisorischen Staatsregierung. Aber mit dem Grundstein der Zweiten Republik wird auch schon der ihrer ersten großen Lebenslüge gelegt: Die Parteiführer proklamieren

Österreichs Unabhängigkeit „angesichts der .Tatsache, daß die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers... das macht-und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war, zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wahrer Österreicher jemals Gefühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat“.

Einen Tag später ist in der Regierungserklärung auch bereits vom künftigen Schicksal der Nationalsozialisten die Rede, jenen, die „nur aus Willensschwäche, infolge ihrer wirtschaftlichen Lage... und ohne an den Verbrechen der Faschisten teilzuhaben, mitgegangen sind“ und „in die Gemeinschaft des Volkes zurückkehren“ sollen — und jenen, die „auf keine Müde rechnen können“.

Daß sie zu dieser Kategorie zählen, erfahren die Illegalen am 4. Mai. Innsbruck, hört man am selben Tag in Wien, hoffe auf kampflose Ubergabe, die Schlacht um Berlin sei seit zwei Tagen beendet. Der Arm der Provisorischen Staatsregierung reicht noch kaum bis zu den Stadtgrenzen, während die Regierungsmitglieder über das Verbotsgesetz beraten. Darüber, daß die Illegalen, die trotz des damals bestehenden Verbotes zwischen 1. Juli 1933 und 13. März 1938 der NSDAP angehört und unter dem NS-Regime Ansehen und Privilegien genossen hatten, nicht zu jenen gehören sollten, die nichts zu befürchten hatten, waren sich offensichtlich alle einig. Und sie wußten auch, daß mit Zehntausenden Betroffenen zu rechnen war.

Es war die Idee des späteren Bundespräsidenten Adolf Schärf, die in den Karteien der NSDAP gespeicherten Personen, „die sich selbst mit Unterschrift des Hochverrates an Österreich gerühmt hatten,... statt durch individuelles Urteil unmittelbar durch Gesetz zu bestrafen“, die Verbüßung dieser Kerkerstrafe auszusetzen, sie aber mit deren Rechtsfolgen zu belasten.

Leopold Figl (ÖVP) wollte die Registrierungspflicht für alle Parteimitglieder auch auf die Parteianwärter ausgedehnt sehen, deren Zahl etwa einem Drittel der Vollmitglieder entsprach. Hitler wünschte, daß die NSDAP eine „Elite“ blieb, der nicht mehr als ein Zehntel der Bevölkerung angehören sollte. Daher war 1938 wegen des großen Andranges der Status des Parteianwärters als Mitglied mit beschränkten Rechten geschaffen worden.

Die Kommunisten sahen, wenn sich auch die Anwärter registrieren lassen mußten, keinen Grund, die Wehrverbände (SA, SS...) auszusparen. Auch die Volksgerichte, die fortan die NS-Straftaten behandeln sollten, wurden von ihnen vorgeschlagen.

Alle Illegalen, als Hochverräter, „deren Tat vorläufig nicht verfolgt wird“, trugen „für die Dauer von fünf Jahren vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an die gesetzlichen Wirkungen einer Verurteilung zu einer Strafe von fünf Jahren schweren Kerkers wegen Verbrechens des Hochverrates“, öffentlich Bedienstete waren entlassen. Ruhebezüge (auch für Hinterbliebene Illegaler) wurden eingestellt. Dazu kam eine ganze Reihe weiterer empfindlicher Belastungen und Auflagen: Sie durften ihr Vermögen weder veräußern noch belasten, durften keine Betriebe führen und kein Gewerbe betreiben, Miet-, Pacht- und Dienstverhältnisse mit ihnen konnten aufgelöst werden.

Diese Sühnefolgen traten automatisch ein, während in Deutschland die Spruchkammern individuell entschieden. Am selben 8. Mai, an dem in Berlin die deutsche Kapitulationsurkunde unterschrieben wurde, beschloß der österreichische Kabinettsrat bereits dieses Gesetz. Der erste österreichische Kriegsverbrecherprozeß (der mit mehreren Todesurteilen endete) begann im August — lang vor dem ersten deutschen, und bis zur Gründung der Bundesrepublik 1949 urteüten deutsche Gerichte über NS-Straf-täter unter der Oberhoheit der je-weüigen Besatzimgsmacht.

Ohne die Unvollkommenheit der österreichischen Rechtsprechung gegen NS-Täter beschönigen zu wollen - daß ihre „harte Phase“ so in Vergessenheit geriet, wie dies der Fall war, mag zum Teil schon damit zusammenhängen, daß sie so früh einsetzte.

Die Haft war nur für einfache Illegale ausgesetzt und eine Strafe von fünf bis zehn Jahren schweren Kerkers, verbunden mit dem Verfall des Vermögens zugunsten der Republik, auf jeden Fall fällig, wenn zur Illegalität ein weiteres Delikt hinzukam: die Ausübung einer Nazifunktion vom Ortsgruppenleiter oder Untersturmführer der SA oder SS aufwärts (einschließlich der „Gleichgestellten“), der „Blutorden“ oder eine andere der bombastischen Naziauszeichnungen.

Einer der Vorwürfe, die man der österreichischen Justiz machen kann und muß: Sie hat ausgerechnet eine Anzahl hochkarätiger Untersuchungshäftlinge für jene Jahre aufgespart, in denen „Befriedung“ angesagt war und das außerordentliche Milderungsrecht oft auch wahren Bestien zugute kam, vorher aber manchen Angeklagten von der harmloseren Sorte hart angefaßt, und die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft hat dabei sehr oft eine noch dubiosere Rolle gespielt als so manches unabhängige Gericht.

Auf diese Weise bekam:

Ein Mann, der 1931 der Nazipartei in der Hoffnung beigetreten war, Arbeit zu bekommen, nach dem NSDAP-Verbot von 1933 offenbar keine Beiträge mehr gezahlt, aber auch keinen formellen Austritt bekanntgegeben hatte, von 1938 bis 1945 Ortsgruppenleiter war und nach Zeugenaussagen „seine Position nicht zu eigenen Gunsten ausnutzte“: 10 Jahre.

Ein 1932 eingetretener Illegaler, der Juden bei jeder Gelegenheit verhöhnte und beschimpfte und aus der Straßenbahn warf und Straßenbahner-Kameraden denunzierte: 11 Jahre.

Ein Nazi-Generalstaatsanwalt (und Illegaler), der 1945 44 zum Teü noch gar nicht rechtskräftig Verurteilte erschießen ließ: 8 Jahre.

Ein Gestapo-Spitzel, der einen Mann, der ihm einen Hauskauf vermittelt hatte, fälschlich (!) wegen Abhörens feindlicher Rundfunksender anzeigte, um sich um die Zahlung der Provision zu drücken (der Geschäftspartner wurde in Buchenwald ermordet): 2 Jahre.

Herauszufinden, was da hinter den Kulissen gespielt wurde, wäre eine wichtige zeitgeschichtliche Aufgabe. Wer auf die Suche nach den Wurzeln unseres weitverbreiteten schlamperten Verhältnisses zu unserer Vergangenheit geht, stößt bald auf ein schlampertes Verhältnis zu Recht und Gerechtigkeit.

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