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Schlappe wie noch nie

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Zuerst gab man dem lieben, stets äußerst mangelhaft vorhandenen Geld die Hauptschuld, daß der österreichische Skirennsport, der in den Jahren 1956, 1958 und das letzte Mal 1962 das Maß aller alpinen Dinge repräsentierte, 1964 immerhin noch dem „Erbfeind" Frankreich Paroli bieten konnte und in den letzten beiden Jahren infolge des „Phänomens vom Arlberg", Karl Schranz, die vorläufig letzten Prestigeerfolge buchen konnte.

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Zuerst gab man dem lieben, stets äußerst mangelhaft vorhandenen Geld die Hauptschuld, daß der österreichische Skirennsport, der in den Jahren 1956, 1958 und das letzte Mal 1962 das Maß aller alpinen Dinge repräsentierte, 1964 immerhin noch dem „Erbfeind" Frankreich Paroli bieten konnte und in den letzten beiden Jahren infolge des „Phänomens vom Arlberg", Karl Schranz, die vorläufig letzten Prestigeerfolge buchen konnte.

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Seit der erfolgreich angelaufenen Schnorraktion des österreichischen Skiverbandes existiert zwar ein namhaftes Budget, doch das Jahr 1971 bringt in jener Sportart, deren wichtigste Weltcupbewerbe Tausende an den Pisten und mehr als zehn Millionen in Europa vor den Bildschirmen in Spannung versetzen, das wohl schwerste österreichische Debakel seit Ende des zweiten Weltkriegs.

Daran ändert auch der letzte Hoffnungsschimmer, nämlich die kurz vor dem Erfolg in der härtesten und angesehensten Weltcupkonkurrenz stehende Salzburgerin Annemarie Pröll so gut wie nichts.

Erstens, weil Siege in den alpinen Herrenbeweiben immer noch nach allgemeiner Auffassung attraktiver und damit auch werbewirksamer sind und zweitens, weil gerade bei den Damen die Leistungsdichte der Französinnen weltweites Aufsehen erregt hat. Und in der traditionsreichen österreichischen Herrenmannschaft zeichnet sich eine blamable Schlappe, die selbst von Pessimisten nicht ‘befürchtet wunde, ab. Neben der seit Jean-Claude Killys Zeiten erfolggewohnten Mannschaft der Trikolore, die derzeit über den besten Allrounder (Henri Duvillard) sowie in Jean-Noel Augert und Patrick Russell über zwei absolute Siegläufer tft Slalom und Riesentorlauf verfügt, füllt die Dichte der eidgenössischen Abfahrtsequipe diese noch bis vor kurzem österreichische Domäne (Karl Schranz, Karl Cordin, Heinrich Messner) und zieht der im Vorjahr auf gegangene Stem des Südtirolers Gustav Thöni bisher als Durchschnitt bezeichnete Italiener wie Anzi aufs Siegespodest oder in unerwartete Spitzenränge (Michele Stefani und Roland Thöni). Jedenfalls ist unter den ersten zehn der heurigen Weltcupwertung Platz für höchstens zwei Österreicher, und das nur auf den Rängen von acht abwärts. Das französische Spitzentrio Duvillard, Russell und Augert hat sich hinter dem Leader Gustav Thöni ebenso von den österreichischen Assen abgesetzt wie die Schweizer Bernhard Russi und Edmund Bruggmann.

In Österreich suchte man nach anderen Sündenböcken. Wie meist in solchen Situationen, bieten Rennsportleiter und Trainer die beliebtesten Opfer. So warf man beispielsweise dem in der vergangenen Rennsaison gefeuerten Damentrainer Karl Kahr zu große Härte seinen Schützlingen gegenüber vor, um dafür heuer aus dem Munde des französischen Damen-Coach Jean Bėranger staunend das Erfolgsrezept des sogenannten „Ski total-Skn brutal“ zu vernehmen und in der Sportpresse nachzubeten.

Ski-Boß Prof. Hoppichler hingegen soll zu weich sein und sich vor allem den „alten Hasen“ in der Nationalmannschaft gegenüber nicht durchsetzen können, welcher Vorwurf ihn neben dem angeblichen Mangel an psychologischem Einfühlungsvermögen besonders aus dem Kreis der .großen Fünf“, der Umsatz- und einflußstärksten österreichischen Skiproduzenten, erreicht.

Diese Skimarktdominatoren wiederum müssen sich nachsagen lassen, Firmenrivalitäten innerhalb des Nationailkaders und auch des Nachwuchses auszutragen und so den in Österreich stets vorhandenen Kan- tönli-Geist (Machtkämpfe der einzelnen Skilandesverbände) um eine zwie- traohtsäende Variante zu bereichern. Auf dieser Suche nach Fehlem und Verantwortlichen für die Skimisere kommen trotz des zumindest teil weisen Zutreffens obiger Mißstände die wahrscheinlich gravierendsten zu kurz. Infolge des Fehlens einer Nachwuchsförderungs auf breitester Basis können Läufer, die sich einmal in der Spitzenklasse etabliert haben, weitgehend auf erreichten oder vorgeschossenen Lorbeeren ausruhen,

ohne Konkurrenzkampf und Verlust des Teamplatzes fürchten zu müssen. So ist die Nationalmannschaft auf dem besten Weg, zu einem Hort für Talente zu wenden, deren Alter bis zu 25 Jahren reicht Sportreporter schmücken oft Zwanzigjährige mit diesem Beinamen, während in anderen Ländern echte Talente zwischen 14 und 17 Jahren internationale Spitzenplätze erreichen. Hand in Hand damit geht ein latenter Trai- ningsrückstand im Vergleich zu ausländischen Spitzenläufem, der den im Rennen bewiesenen Leistungsunterschied dann leicht erklärlich macht. In der Stunde Null des österreichischen alpinen Rennsports gingen endlich die Fabrikanten daran, zumindest nach außen hin Firmen interessen hinter die gesamtösterreichischen zu stellen. Neben dieser unlängst demonstrierten Einigkeit der .großen Fünf“ sowie einer bald zu erwartenden Vorlage eines Generalkonzepts zur Sanierung des österreichischen Skirennsports durch die Produzenten (Kneissl: „Es existiert ein solches Konzept, doch sind noch einige interne Abstimmungen nötig, ehe wir es der Öffentlichkeit vorlegen wollen“) kann man sich auch durch das gesteigerte Interesse von Bundeskanzler Kreisky und anderen Spitzen aus Politik und Wirtschaft für den alpinen Patienten Genesungshoffnungen machen.

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