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Schlechte Aussichten

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Gegen eine starke Opposition zu regieren, ist mühsam. Geradezu widersinnig wird dies jedoch, wenn sich die Opposition in den eigenen Reihen befindet: vor allem dann, wenn die eigentliche Oppositionsfraktion statt zu opponieren die Regierung stützt. In einer solchen absurden Situation befinden sich derzeit die Bonner Regierungsparteien SPD und FDP. A uf wichtigen Problemfeldern der deutschen Politik hat die Bundesregierung die sie tragenden Parteien nicht voll hinter sich.

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Gegen eine starke Opposition zu regieren, ist mühsam. Geradezu widersinnig wird dies jedoch, wenn sich die Opposition in den eigenen Reihen befindet: vor allem dann, wenn die eigentliche Oppositionsfraktion statt zu opponieren die Regierung stützt. In einer solchen absurden Situation befinden sich derzeit die Bonner Regierungsparteien SPD und FDP. A uf wichtigen Problemfeldern der deutschen Politik hat die Bundesregierung die sie tragenden Parteien nicht voll hinter sich.

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Vor allem gilt dies für die SPD. Bundeskanzler Helmut Schmidt, von Teilen der Sozialdemokratie mehr ertragen denn getragen, konnte aus dieser Erkenntnis heraus nicht länger entsprechende Konsequenzen vermeiden, wollte er sich nicht in der eigenen Genossenschaft isolieren.

Vor zwei Landeskongressen seiner Partei in Bayern und in Nordrhein- Westfalen sprach er nach langer Schweigeperiode endlich einmal Klartext. Wenn die SPD durch Revision früherer Beschlüsse es ihm unmöglich machen wolle, den von Schmidt für richtig gehaltenen NATO-Doppelbe- schluß weiter zu vertreten und danach zu handeln, werde er das Handtuch werfen.

Wie weit die Renitenz in der Sozialdemokratischen Partei freilich schon gediehen ist, zeigten die bayerischen Parteifreunde. Sie hörten die drohenden Worte - und bequemten sich lediglich dazu, die eigentlich schon für diesmal vorgesehene Beschlußfassung gegen die Nachrüstung erst einmal zu verschieben.

Andere Parteigliederungen sind da weniger rücksichtsvoll. Der Landesverband Bremen zum Beispiel beschloß nahezu einstimmig, den NATO-Be- schluß auf dem Bundesparteitag der SPD im nächsten Frühjahr mit dem Ziel der nachträglichen Ablehnung überprüfen zu lassen. Der Parteivorsit- zende Willy Brandt saß dabei und zog gegen das Wettrüsten vom Leder - sehr zur Freude der Bremer Genossen und sehr zum Mißvergnügen des Kanzlers.

Die baden-württembergische SPD hatte den Vorreiter gemacht. Sie waren die ersten, die vor wenigen Wochen dem Kanzler-Kurs in der Außen- und Sicherheitspolitik quasi das Mißtrauen aussprachen.

Aber Helmut Schmidt hat sich inzwischen entschlossen zu kämpfen. Zwar versuchte er bei einem Besuch in Washington vergeblich, Präsident Ronald Reagan noch stärker zur Eile bezüglich der Aufnahme von Verhandlungen über die Reduzierung des Mittelstrek- kenraketen-Potentials in Europa zu verpflichten. Aber an Deutlichkeit ließen die gemeinsamen Erklärungen Schmidts und Reagans nichts zu wünschen übrig - dies wiederum zum Mißvergnügen weiter Teile der SPD. t

Als der Kanzler in der vergangenen Woche dem Deutschen Bundestag von seiner Amerikareise berichtete, spendete die CDU/CSU-Fraktion eifrig Beifall, während sich in den Koalitionsfraktionen die Hände lange nicht so heftig rührten. Es mag Helmut Schmidt wie eine schallende Ohrfeige vorgekommen sein, als Oppositionsführer Helmut Kohl ihm die Unterstützung der Union bei der Verwirklichung seiner Sicherheitspolitik anbot.

Wie sehr der Kanzler dies möglicherweise bald schon braucht, zeigte sich, als vor der Abstimmung über einen den NATO-Doppelbeschluß bekräftigenden Antrag reihenweise linke SPD-Abgeordnete persönliche Erklärungen abgaben, um ihr Abstimmungsverhalten zu begründen. Die einen wollten gegen den eigenen Kanzler stimmen, weil sie die Politik für falsch hielten, andere sich enthalten, wiederum andere zwar für den Antrag stimmen, aber nur, um Schmidt nicht in die Situation zu bringen, seine Rücktrittsdrohung einlösen zu müssen.

Allein diese Dinge würden der Regierungskoalition von SPD und FDP schon genügend Schwierigkeiten bereiten. Doch damit nicht genug. Denn auch die FDP gerät zunehmend in Unruhe.

Immer mehr Teile der Freien Demokraten, vornehmlich aus dem linksliberalen Spektrum, beziehen ebenfalls Stellung gegen den NATO-Doppelbeschluß. Auf dem FDP-Parteitag in Köln flogen am vergangenen Wochenende die Fetzen, als die Delegierten über einen Leitantrag des Parteivorstandes diskutierten - der den Doppel beschluß nachdrücklich begrüßt. Schließlich sah auch Parteichef Hans- Dietrich Genscher sich genötigt, eine Rücktrittsdrohung auszusprechen.

Der Bundesaußenminister machte seiner Partei unmißverständlich klar, daß er die NATO-Strategic für absolut notwendig und richtig halte. Sollte die Partei anderer Meinung sein, könne er nicht länger Außenminister und auch nicht Parteivorsitzender sein. Die Drohung wirkte, und trotzdem versagte mehr als ein Drittel der Delegierten dem Vorsitzenden die Gefolgschaft.

Inzwischen allerdings zeichnete sich ab, daß die Nagelprobe für die sozialliberale Koalition nicht so sehr die Nachrüstung ist, sondern ein anderes Problem, über dessen Dimensionen sich die wenigsten im klaren sind. Schon jetzt ist sicher, daß der Bundeshaushalt für 1982 nicht zu finanzieren ist, ohne daß Einsparungen vorgenommen werden, die ans Eingemachte gehen.

Vor allem die Leistungsgesetze, die unter sozialliberaler Regie teilweise geradewegs zu wahren Monstern aufgeblasen wurden und die Hauptschuldi gen dafür sind, daß bei den Bundesbürgern ein ungesundes Anspruchsdenken gegenüber dem Staat eingerissen ist, werden drastisch beschnitten werden müssen.

Dann aber steht die SPD vor der für sie fast existentiellen Entscheidung, entweder gegen die Gewerkschaften mit der FDP die schmerzhaften Schnitte am sozialen Netz anzubringen, oder sie rettet das eigene Fell und riskiert den Staatsbankrott, was eine entsprechende Quittung der Wähler unausweichlich macht.

Allenthalben also unerfreuliche Aussichten, die von Tag zu Tag düsterer werden. So hatte die zynische Bemerkung eines SPD-Abgeordneten am Rande der letzten Bundestagssitzung vielleicht prophetische Bedeutung:

„Eigentlich kann uns nichts Besseres passieren, als wenn die Koalition jetzt platzt. Dann hat nämlich die Union den ganzen Schlamassel am Hals.“

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