Schlechte Zeugen für die Eintopfschule
Es gibt für alles ein Pro und ein Kontra - selbstverständlich auch für und gegen die integrierte Gesamtschule. Aber unter allen Argumenten, die derzeit angeboten werden, ist eines - „Nicht nur in’sozialistisch regierten Ländern, sondern auch in Amerika gibt es sie“ - das schiechtestmögliche: Die Eintopfschule in den USA ist am Rande eines Chaos gelandet.
Es gibt für alles ein Pro und ein Kontra - selbstverständlich auch für und gegen die integrierte Gesamtschule. Aber unter allen Argumenten, die derzeit angeboten werden, ist eines - „Nicht nur in’sozialistisch regierten Ländern, sondern auch in Amerika gibt es sie“ - das schiechtestmögliche: Die Eintopfschule in den USA ist am Rande eines Chaos gelandet.
Von allem Anbeginn hat das amerikanische Schulwesen auf eine stärkere 4 Differenzierung verzichtet. Heute gehen neun von zehn Jugendlichen in die High School, die sicher als Gesamtschule anzusprechen ist - die meisten sogar bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Aber die Zustände an den meisten öffentlichen Schulen der USA sind besorgniserregend.
Offizielle Statistiken verraten, daß 17 Prozent der 18jährigen Schulabgänger „functional illiterates“ sind, also faktische Analphabeten, die mit Lesen, Schreiben und Rechnen Schwierigkeiten haben. An jeder Verkaufskasse eines Drugstores kann man sich davon überzeugen.
Unter- und überdurchschnittlich Begabte in ein und derselben Klasse behindern trotz aller Stütz- und Fördermaßnahmen einander immer wieder. Die Folgen: Die einen langweilen sich, die anderen sind frustriert. Folgen der Folgen: Die einen schwänzen, die anderen randalieren.
Schulschwänzquoten bis zu 30 Prozent sind in vielen öffentlichen Schulen keine Seltenheit. Vandalismus ist es auch nicht. Für die Beseitigung von Schäden, die gewalttätige Jugendliche aus purem Mutwillen an
Schuleinrichtungen und -gebäuden verursachen, mußten 1978 ganze 600 Millionen Dollar aufgewendet werden.
In der Bundeshauptstadt Washington geht ein Viertel des gesamten Schulsachaufwandes für die Ausbesserung von Vandalismusschäden auf. Kein Wunder, daß neugebaute Schulen mit ihren Eisentoren, Alarmanlagen,
Plastikfenstem (oder gar keinen) und offenen Installationen eher wie Gefängnisse oder Festungen aussehen.
Lehrer setzen sich immer weniger durch. Auch das Disziplinierungsmittel der Notengebung haben ihnen „fortschrittliche“ Ideologen aus der Hand geschlagen. Weil Noten „Leistungsdruck“ und „Diskriminierung
Unterprivilegierter“ erzeugen, hat man sie zurückgedrängt. Weil jeder ohnehin durchkommt, wird immer weniger gelernt.
Diane Ravich vom Pädagogik-College der Columbia University New York seufzte kürzlich: „Eine sehr große Zahl von Studenten ist Jahr für Jahr aufgestiegen ohne sich auch nur Grundkenntnisse angeeignet zu haben. An einem bestimmten Punkt müßte man endlich sagen: Stopp! Dieses Kind bekommt kein Zeugnis, weil es nicht lesen und nicht schreiben kann. Der 17jährige wird es das ganze übrige Leben hindurch zu büßen haben, daß wir die
Rolltreppe des unaufhaltsamen Aufstieges für ihn nie zum Stehen gebracht haben!“
Eine der Ursachen des Qualitätsverfalls ist auch die Überladung des Unterrichts mit immer mehr Gegenständen, wie sie für jede Eintopfschule typisch ist, die sich irgendwie um Differenzierung bemüht. Amerikanische
Schulen besorgen die Geschäfte von Fahrschulen und Wanderklubs, sie unterrichten Sexual-, Alkohol- und Drogenkunde, Energiekonservierung, Umweltschutz, sie führen Spezialkurse für Talentierte und Behinderte und
Wanderarbeiterkinder, mit einem Wort: Sie unterscheiden nicht mehr zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem.
. Folge: Nur einer von zehn Amerikanern kann sich in einer Fremdsprache ausdrücken, hat eine Prasi-
dentenkommission festgestellt. Oder: Nur vier Prozent der High- School-Abgänger haben eine Fremdsprache wenigstens zwei Jahre lang gelernt.
Kein Wunder, daß die Eltern unzufrieden sind. Eine Umfrage der Fernsehgesellschaft CBS ermittelte heuer, daß 76 Prozent der Eltern für ihre Kinder mehr Unterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen verlangen („Back to
Basics“); 83 Prozent fordern die Wiedereinführung des Ausleseprinzips und der Prüfungen; 84 Prozent rufen nach mehr Schuldisziplin.
Zehn Prozent leisten sich für ihre
Sprößlinge eine der 20.000 Privatschulen, von denen 86 Prozent von verschiedenen Kirchen (70 Prozent der katholischen) betrieben werden. Die Frequenz an katholischen Privatschulen ist seit 1972 stark zurückgegangen.
Jetzt steigt sie wieder.
Aber Privatschulen sind teuer. Umgerechnet 2600 Schilling kostete 1978 eine private Volksschule pro Schüler im Jahresschnitt, an die 8000 Schilling eine private High School (Schulbücher und anderes Lemma- terial noch nicht inbegriffen). Für ein privates College mußte man 1978 im Durchschnitt schon 70.000 Schilling hinblättern (30.000 für ein öffentliches). Kein Wunder, daß sich viele US-Familien durch die Aufnahme teurer
Bankkredite für den Schulbesuch auf viele Jahre hinaus verschulden.
Aber Privatanstalten können nicht die Lösung für die Masse der US- Schüler sein. Deshalb ist man seit Jahren bemüht, durch neue Lehr-
und Lernmethoden den Trend umzukehren: „offene Klassen“ je nach Kenntnisstand der Schüler, Teamunterricht. Eine (schwarzhäutige) Schuldirektorin in Oakland (Kalifornien) empfiehlt den von ihr mit großem Erfolg ausprobierten „Rechenschaftsvertrag“: Lehrer, Eltern und Schüler verpflichten sich schriftlich am Beginn eines Schuljahrs, um Disziplin, Aufmerksamkeit, Aufgabemachen bemüht zu sein.
„Ohne Mithilfe der Eltern sind wir am Ende“, bekennen Amerikas Erzieher. Sie sind die denkbar schlechtesten Zeugen für den Ruf nach einer Eintopfschule.