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Schleichende Aushöhlung

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Wenn Recht nicht Recht bleibt und immer öfter zur Durchsetzung politischer Ziele eingesetzt wird, hat dies schwerwiegende Folgen: Zwierecht sät auch Zwietracht.

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Wenn Recht nicht Recht bleibt und immer öfter zur Durchsetzung politischer Ziele eingesetzt wird, hat dies schwerwiegende Folgen: Zwierecht sät auch Zwietracht.

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Der Rechtsstaat steht und fällt mit dem Grunderfordernis, daß die Gesetze des Staates für alle Staatsbürger gleichermaßen gelten und ohne Ansehen der Person oder des Standes exekutiert werden.

Wie soll man aber einem Beset-zer der Donauau bei Hainburg erklären, daß er den Verordnungen einer Bezirkshauptmannschaft unverzüglich Folge zu leisten hat, wenn etwa gleichzeitig die Entsorgungsbetriebe in Wien Sim-mering das Siebzehnfache jener

Schadstoffmenge ausstoßen, die als höchstzulässiges Ausmaß gesetzlich festgelegt wurde?

Das Vertrauen der Österreicher in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates und seiner Einrichtungen ist aber nicht erst seit Hainburg merklich getrübt. Die Wurzeln dieses Mißtrauens reichen vielmehr weit in die Ära Kreisky/Broda zurück.

Damals, als alle Lebensbereiche zwar nicht, wie angekündigt, mit mehr Demokratie, aber dafür mit mehr Toleranz und Großzügigkeit durchflutet wurden, galt ein etwas „schlampiges” Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit geradezu als „fesch”.

Die Ära Kreisky war auch jene Zeit, in der andere Politiker als formalistisch und verzopft bezeichnet wurden, die den Standpunkt vertraten: Recht muß Recht bleiben.

Das Recht war, entsprechend der damaligen sozialdemokratischen Programmatik, Mittel zum Zweck. Es wurde vor den Karren der „Gesellschaftsveränderung” gespannt. In einem solchen Klima war es zum Beispiel auch möglich, mit der „Fristenlösung” eine strafrechtliche Regelung zu schaffen, die in eklatantem Gegensatz zu nach wie vor gültigen Normen des Zivilrechts steht. Aber wen kümmerte schon ein letztlich unauflösbarer juristischer Widerspruch — Hauptsache, das gesellschaftspolitische Ziel wurde erreicht...

Was dabei auf der Strecke blieb, das hat der deutsche Staatsrechtslehrer Gerhard Leibholz einmal den „Eigenwert des Rechts” genannt. Auch in der jüngsten Vergangenheit — gemeint ist die Verfassungsklage der Bundesregierung gegen den Salzburger Landeshauptmann wegen dessen Nichtbefolgung einer Ministerweisung—hat sich der mangelnde Respekt der Politiker vor dem Eigenwert des Rechts gezeigt.

Man wollte ursprünglich eine Ministeranklage einbringen, ihren Inhalt aber auf ein bloßes Feststellungsbegehren reduzieren. Das ist just so, als würde jemand zum Staatsanwalt laufen und gegen einen anderen Anzeige erstatten, gleichzeitig aber den Staatsanwalt bitten, daß er es bei der bloßen Feststellung des Unrechts bewenden lassen und keine Sanktionen beantragen solle.

Daß so etwas bei der Inanspruchnahme rechtsstaatlicher Instrumentarien, die eben einen typisierten Inhalt haben, nicht möglich ist, leuchtet jedem Staatsbürger ein, dessen rechtliches Empfinden noch ungetrübt von politischen Überlegungen ist.

Es ist dem Verfassungsgerichtshof zu verdanken, daß er durch die Zurückweisung des „Feststellungsbegehrens” der Bundesregierung eine Lektion erteilt und damit den Beweis geliefert hat, daß nicht der Rechtsstaat als solcher, sondern vielmehr seine Repräsentanten in einer tiefen

Krise stecken, weil es diesen nicht gelingt, den demokratischen Rechtsstaat glaubwürdig zu vertreten.

Dies ist das Szenario, vor dem Innenminister Karl Blecha auftrat und — im Zusammenhang mit dem Räumungsbefehl für die Hainburger Au — sprach: Recht muß Recht bleiben. Dann ließ die Regierung den Knüppel aus dem Sack.

Schon in Anbetracht der mangelnden Rechtsdurchsetzung in vielen anderen und wichtigeren Bereichen muß der Polizeieinsatz in der Hainburger Au als punktueller rechthaberischer Akt höchst problematisch erscheinen.

Umso peinlicher, daß die Angelegenheit durch das vom Verwaltungsgerichtshof verhängte Verbot der Rodungsarbeiten eine neue und schwerwiegende Dimension erhält: es sieht nämlich ganz so aus, als sei der Polizeieinsatz auch für sich allein betrachtet rechtswidrig gewesen.

Somit bleibt festzuhalten, daß Gerhart Bruckmanns energiepolitische Analyse des Problems („Der entscheidende Irrtum der Verantwortlichen besteht darin, Hainburg für die Krise zu halten, die einer .Lösung' bedarf. Hainburg ist aber nur ein Symptom”) auch für die rechtsstaatliche Problematik der Affäre Hainburg gilt.

Energieverlust

Es ist daher auch und gerade nach Hainburg erforderlich, daß die Bundesregierung ihre Einstellung zum demokratischen Rechtsstaat und seiner Durchsetzung in allen Bereichen überprüft.

Dies inkludiert auch die sicherlich nicht angenehme Fragestellung, ob die „heilige Kuh” Sozialpartnerschaft nicht zu viel grünes Gras frißt. Wenn es nämlich — wie im Fall Hainburg - zu einem Schulterschluß zwischen Gewerkschaftsbund und Industriellenvereinigung kommt, um eine Volksabstimmung um jeden Preis zu verhindern, so stellt sich die Frage, ob eine so verstandene „Sozialpartnerschaft” nicht auf ein für die Demokratie erträgliches Maß reduziert werden muß...

Der Bundesregierung muß klar sein, daß der dem demokratischen Rechtsstaat durch das Kraftwerk Hainburg zugefügte Energieverlust in Wähler- und Nichtwählerstimmen gemessen wird.

Es ist hoch an der Zeit, daß auch der Bundespräsident einmal überlegt, ob er bei seinen — im Ansatz durchaus lobenswerten—Appellen zur Respektierung des Rechtsstaates nicht genauer zwischen diesem und seinen Repräsentanten in der Bundesregierung unterscheiden und auch letztere in den Adressatenkreis derartiger Appelle miteinbeziehen sollte.

Die Stärke, die Bundeskanzler Fred Sinowatz durch seine Lernfähigkeit in den letzten Wochen bewiesen hat, läßt hoffen. Noch kann diese Bundesregierung verhindern, daß vielleicht eines Tages Chronisten von ihr sagen müssen, sie habe dem Rechtsstaat nur einmal einen großen Dienst erwiesen: bei ihrem geschlossenen Rücktritt.

Der Autor ist Assistent an der Juridischen Fakultät der Universität Wien.

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