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Schleichende Diskriminierung

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Realistische Familienpolitik muß nicht nur brauchbare Verbesserungsvorschläge machen, sondern auch sagen, wie sie zu finanzieren sind. Die Antwort auf diese Frage gibt ein Blick auf die Finanzgebarung des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen, der vom Finanzminister verwaltet wird:

Jm Zuge des 1969 einsetzenden Konjunkturaufschwunges stiegen die Erwerbseinkommen und damit die Einnahmen des Beihilfenfonds, weil dieser ja durch einen prozentuellen Betrag vom Einkommen der Erwerbstätigen gespeist wird. Von 1972 bis 1975 wuchsen die Fondseinnahmen um 53 Prozent, die Aufwendungen für die Familienbeihilfen hingegen nur um 44 Prozent, mehr als 6100 Millionen Schilling hortet der Finanzminister seit 1974 im Reservefonds für Familienbeihilfen, eine Summe, die bis- Jahresende auf rund 8000 Millionen Schilling angestiegen sein dürfte.

Der Finanzminister gibt sich mit dem Blick auf diese Reserven als vorsorgender Familienvater, eine Rolle, die ihm bei der Aufstellung des Bundesbudgets selbst in den besten Konjunkturjahren fremd war. Das Familienlastenausgleichsgesetz 1954 wollte dasselbe wie das Pensions-anpassungsgesetz 1965: Kinder und Alte sollten am materiellen Fortschritt der Erwerbstätigen Anteil haben und nicht diskriminiert werden. Die Hortung großer Reserven beim Familienlastenausgleich ist ein Beweis dafür, daß der Finanzminister die Familien nicht im zustehenden Maße am materiellen Fortschritt der Erwerbstätigen teilhaben läßt Anhebung und Altersstaffelung der Familienfoeihilfen wäre noch in viel größerem Maße möglich als die gehorteten Reserven anzeigen, wenn die Sozialisten nicht begonnen hätten, Sachleistungen aus den Geldern der Familien zu finanzieren. (Was hätte man gesagt, wenn bei Einführung der Seniorenkarte die Mittel dazu aus der Pensionsver-sicherung genommen worden wären?)

Sachleistungen für die Familien sind gut und auch nicht neu. Es gab immer schon den Gratisunterricht in den Pflichtschulen und Mitversicherung der Kinder bei der Krankenkasse des Familienerhalters, sehr aufwendige Leistungen für die Familie. Neu aber ist, die Kosten für Sachleistungen, die bisher von jenen Stellen getragen wurden, die sie gewährten, dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen aufzubürden. Bei der Schaffung des Familienlasten-ausglejchsgesetzes stand der Gedanke Pate, durch Geldzuwendungen an den Familienerhalter die Budgets der Familien zu entlasten, nicht aber die Budgets von Bund, Ländern, Gemeinden und Verkehrsbetrieben.

Genau das aber geschieht seit 1972 mit geradezu verschwenderischer Großzügigkeit. 1972 bis 1975 stiegen die Aufwendungen für die Familien-beihilfen um 44 Prozent (von 8178 auf 11.800 Millionen Schilling), die Ausgaben zur Finanzierung der Schulbuchaktion hingegen schnellten um 136 Prozent empor (von 465 auf 1100 Millionen Schilling) und für Schülerfahrten um 142 Prozent (von 541 auf 1310 Millionen Schilling), dies obwohl die Buchpreise den allgemeinen Verbraucherpreisanstieg von etwa 33 Prozent keineswegs mitmachten und die Schülerzahl nicht einmal um 5 Prozent gestiegen ist. Die Tatsache, daß „aus dem Vollen“ des Familienfonds geschöpft wurde,hat die Produktionsfreudigkeit von Autoren und Verlegern ebenso angeregt wie die Bestellfreudigkeit der Schulen. Die Bundesbahnen nutzten ebenfalls die Chance, ihr Defizit auf Kosten des Familienfonds zu reduzieren und setzten die Ermäßigungen für Schülermonatskarten schrittweise bis auf 50 Prozent herab, was der Rechnungshof auch bei den Straßenbahnen kritisch vermerkte.

Als unter der ÖVP-Regierung das Karenzurlaubsgeld um 25 Prozent erhöht wurde, fand es Sozialminister Rehor selbstverständlich, für die Bedeckung in der dazu gesetzlich bestimmten Arbeitslosenversicherung zu sorgen. 1975 holte sich Sozialminister Häuser für denselben Zweck das Geld zu zwei Dritteln (287 Millionen Schilling) aus dem Familienlastenausgleich; weitere 100 MilHonen Schilling sollen ihm 1976 zur Finanzierung einer Schüler-Unfallversicherung entnommen werden. Gesundheitsminister Leodolter erleichterte sich die Einführung des Mutter-Kind-Passes mit 200 Millionen Schilling aus dem Familienlastenausgleich für das Jahr 1975.

Eine Studie der sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft fordert nun, dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen seinen ursprünglichen Sinn wiederzugeben, Bargeld in die Hand der Familienerhalter zu zahlen. Der Fonds müßte von den ihm aufgebürdeten Sachleistungen weitestgehend entlastet werden, nach dem Grundsatz, daß Sachleistungen von jenen Institutionen zu finanzieren sind, die sie gewähren. Das gilt besonders für das Karenzurlaubsgeld, die geplante Schülerunfallversicherung und den Mutter-Kind-Paß, für die Sozialminister und Gesundheitsminister in ihrem Kompetenzbereich zu sorgen hätten. Der Verschwendung bei der Schulbuchaktion wäre wirkungsvoll und sinnvoll dadurch zu begegnen, daß die vom Unterrichtsminister für die einzelnen Schultypen bestimmten Höchstbeträge zugleich mit der Familienbeihilfe im September ausbezahlt werden. Die Familien würden sparsamer wirtschaften und die Bücher würden mehrmals verwendet werden, weil sie jüngeren Geschwistern überlassen, oder gebraucht verkauft werden könnten; in beiden Fällen wäre aber ein Anreiz zur pfleglichen Behandlung und Wertschätzung der Bücher gegeben.

Damit keine Regierung mehr in Versuchung kommt, die Fondsmittel zu etwas anderem zu verwenden als zur Zahlung von Familienbeihilfen, sollte die Regierung erfüllen, was auf einer einschlägigen Enquete der sozialistischen Frauen ihr Hauptsprecher, Weißenberg, 1967 gefordert hat: „Die Verwaltung der Mittel (des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen) hat durch einen mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Fonds zu erfolgen, der ohne Dazwischenschal-ten des Finanzministers die Mittel ;n eigener Gebarung verwaltet.“

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