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Schlüsselloch durch die Zeit

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Die Tagebücher von Klaus Mann: Zeitdokument, Leidensdokument

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Die Tagebücher von Klaus Mann: Zeitdokument, Leidensdokument

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Am 25. August 1939 vertraut Klaus Mann, ältester Sohn Thomas Manns, seinem Tagebuch an: „In ein paar Stunden, nimmt man an, wird alles entschieden sein... Der moralische Schock der Hitler-Sta-lin-Alliance, nachhaltiger und tiefer, als im ersten Moment geahnt... Von welcher Plattform aus sollen wir nun kämpfen?"

Tagebücher: Eingefrorerens Leben. Oder: Was einen Menschen erregte, erhob, drückte, erschütterte - konserviert wie der in Hallstatt gefundene Mann im Salz. So lebendig. Und doch so tot.

Beverly Hills. Lunch mit Aldous Huxley, „der viel dicker geworden ist, und jetzt ein bißchen Byronhaft aussieht". Die weißhaarige Mama von John Huston hat aus Kriegsangst geweint. „Fritz Lang deprimiert. (,Wir liegen also schon wieder auf der falschen Seite!')"

Alte Tagebücher haben immer etwas gespenstisches, vor allem aber die aus Zeiten, die uns noch im Magen liegen. Je weniger sie nach der Nachwelt schielen, je spontaner sie das trivial Alltägliche einfangen - desto gespenstischer wirken sie. Wie ein Schlüsselloch durch die Zeit.

Das gilt für die jüngst erschienenen Tagebücher der eben erst dahingegangenen Hilde Spiel, für die kürzlich publizierten oder wieder aufgelegten Tagebücher der Hitlergegner Ulrich von Hassell und Helmut James von Moltke und ganz stark für die von Klaus Mann, welche die edition spangenberg (München) derzeit in sechs Bänden vorlegt.

„Abendessen bei Franks, mit Marcuse. Liesl verzehrt sich beim Radio-hören... Diskussionen: Wird er?? Wird er nicht???... Aber er will nicht!! Aber er MUSS!! - Muss er?... Kriegsvorbereitungen... Peace messages... Qual des Wartens... Vortragsabend von Viertel; mit Franks und Marcuses hier. Sehr ,familiantes' kleines Auditorium. (Kortner, Rudolf Forster, Fritz Lang, Gottfried Reinhardt, Hercek, Ali Huber und so weiter) Ich sitze neben der Thimig, hold und streng. (Verklärte protestantische Gouvernante.)... Wird Danzig geopfert?... Muss Hitler verzichten?*Was brütet Mussolini?... Wie reagiert Japan?"

Klaus Mann über sein Leben: „Der flitterhafte Glanz, der meinen Start umgab, ist nur zu verstehen - und nur zu verzeihen...-, wenn man sich dazu den soliden Hintergrund des väterlichen Ruhmes denkt. Es war in seinem Schatten, daß ich meine Laufbahn begann, und so zappelte ich mich wohl etwas ab und benahm mich ein wenig auffällig, um nicht völlig übersehen zu werden."

1. September 1939: „Die letzten zwölf Stunden - von gestern abend, als ich auf dem Hollywood Boulevard die Zeitung mit der Riesen-Überschrift ,WAR!' gekauft habe bis jetzt (nach dem Anhören der Chamberlain-Rede aus London) -sie scheinen fast wie geträumt... Nacht um 1 Uhr, die Hitler-Rede aus Berlin. Matter, schäbiger, elender noch als zu erwarten war... Angst. Hoffnung. Beben. Äusserste Spannung. Immer am Radio. Oft den Tränen nah. Sorge um E und Eltern - den nach Schweden Verschlagenen.. . Ungewiß auch wegen der eigenen Pläne..."

Ein Leben in Tagebüchern: E, die Schwester Erika - das eigentliche Zentrum. Eine Übermacht, gegen die er nie aufkommen wird und mit der er sich nur arrangieren kann: Die Sucht. Eine akzeptierte Gegebenheit: Die Homosexualität. Immer wieder: Der lockende Ruf aus dem Nichts - dem er am 21. Mai 1949 in Cannes nachgeben wird. Der Grundton: Eine oft fast hellsichtige Klarheit. Äußerste Knappheit. Aber messerscharfe Formulierungen, etwa, wenn er Gerhart Hauptmann den „Hindenburg der Literatur" nennt.

Zum Namen Klaus Mann ist viel mehr zu assoziieren als der Roman „Mephisto". Die Tagebücher sind eines seiner Hauptwerke. Und ein Schlüsselloch durch die Zeit. Er wurde nicht berühmt wie sein Vater, aber bei ihm ist, so Hans Mayer, zu finden, „was bei Thomas Mann fehlt - tiefe Betroffenheit".

TAGEBÜCHER. Von Klaus Mann. Band 1-5, Band 6 in Vorbereitung, edition spangenberg, München. Pro BSnd Ln. öS 374,40, Pb. 232,44.

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