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Schlußstrich mit Neuwahl

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Die entscheidende Grundlage jeder Regierungstätigkeit ist das gemeinsame Vertrauen in die Fähigkeit, '' Berechenbarkeit und Verantwortlichkeit der politischen Führung dieser Republik.

Dieser unverzichtbare Konsens existiert nicht mehr, schon gar nicht mehr zwischen den Partnern dieser Koalition. Dabei ist nicht einmal die Halbzeit der Legislaturperiode erreicht.

Der Empfang des amnestierten NS-Kriegsverbrechers Walter Reder durch Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager ist nur ein Akt eines österreichischen Trauerspiels, Frischenschlager nur ein tragischer „Held” eines zerrissenen Ensembles.

Um beim Verteidigungsminister zu bleiben: Anerkannt sei seine Bereitschaft, den „schweren politischen Fehler” (Sinowatz) einzubekennen und ihn öffentlich zu bedauern. Das war notwendig, aber unzureichend.

Ernstgenommene Ministerverantwortlichkeit hätte mit dieser Einsicht zum unmittelbaren und freiwilligen Amtsverzicht führen müssen: im Interesse der Republik, im Interesse aber auch des Ressorts.

Im Interesse der Republik: In ihrem Jubiläumsjahr muß der Verteidigungsminister nun quasi unter „Hausarrest” gestellt werden, muß Auslandsbesuche absagen.

Im Interesse des Ressorts: Das Bundesheer braucht nicht nur einen Minister, der zähneknirschend im Kabinett geduldet wird, sondern einen Chef, der hundertprozentigen Rückhalt in der Regierung hat, um die berechtigten Wünsche der Landesverteidigung durchzusetzen. Daher ist Frischenschlager eine Hypothek für das Bundesheer.

Und was wäre passiert, wenn Frischenschlager freiwilllig zurückgetreten wäre?

Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte man diesen Schritt im In-und Ausland akzeptiert.

Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wäre die SPÖ-FPÖ-Koa-lition daran nicht gescheitert, allen Drohungen Norbert Stegers zum Trotz: Er ist nicht der Mann, der sich selbst den Sessel vor die Tür stellt.

Und wenn schon: Was zählt schon der Fortbestand einer Koalition, wenn der Ruf des Landes auf dem Spiel steht?

Nein, wir brauchen nicht in den Spiegel der Auslandspresse zu schielen, der uns vorgehalten wird. Wir sollten uns den eigenen Spiegel beherzt zur Hand nehmen, sollten überprüfen, ob das noch die Republik ist, die auf den KZ-Lagerstraßen begründet wurde. Wir müssen das tun, bevor wir diese Republik in ihrem

40jährigen Bestand feiern.

Und deshalb können wir jetzt nicht einfach — so als wäre nichts passiert - zur Tagesordnung übergehen.

Passiert ist der Reder-Empfang. Passiert sind unentschuldbare Versäumnisse der Regierung, die seit gut vier Wochen darüber informiert war. Passiert sind die skandalösen Beifallskundgebungen der Herren Haider, Stix und Kameraden. Passiert sind die Drohungen der Herren Steger und Sinowatz. Passiert ist, daß ein halbes Dutzend Minister und ein gutes Dutzend sozialistischer Volksvertreter im Parlament gegen ihr Gewissen und gegen ihre Uberzeugung abgestimmt hat.

Der Riß ist nicht mehr zu kitten. Die Kluft zwischen den Regierungsparteien - sogar unmittelbar im Kabinett — ist unüberbrückbar.

Nach der Blamage um den 8. Dezember, nach den Vorweihnachtstagen von Hainburg und nach dem Fall Reder sollte mit Neuwahlen ein Schlußstrich gezogen werden: weil die österreichische Regierungspolitik wieder kompetent, berechenbar und verantwortlich werden muß.

Zwei weitere Jahre diese Koalition: Das hält Österreich nicht aus, weil sich das Kabinett Sino-watz/Steger als nicht lernfähig erwiesen hat.

Diese Regierung ist in dieser Zusammensetzung nicht in der Lage, das internationale Ansehen Österreichs wiederherzustellen.

Dazu kommt die eminente Gefahr, daß extreme Gruppen am linken und rechten Rand des politischen Spektrums Auftrieb erhalten.

Rasche Neuwahlen: Das ist die einzige Chance, die Weichen für eine handlungsfähige Regierung zu stellen.

Es geht darum, die Lebensfragen der Republik zu lösen. Und dazu ist eine Regierung auf breiter Grundlage Voraussetzung.

Zugegeben: Niemand kann absehen, wie solche Neuwahlen ausgehen. Denkbar ist ein dramatischer Rückgang bei der Wahlbeteiligung. Unberechenbar ist das Abschneiden der Grünen. Unabsehbar derzeit ein Ergebnis der FPÖ.

Nein, nicht um parteipolitische Vorteile darf es gehen, nicht darum, die FPÖ aus der Koalition oder die ÖVP durch die Hintertür in eine Regierung zu bringen: Es geht darum, daß die Regierung von neuem Vertrauen getragen werden muß, nicht vom unterdrückten Mißtrauen.

Es geht darum, den kleinstmög-lichen gemeinsamen Nenner der politischen Kräfte durch den größtmöglichen zu ersetzen.

Es geht um die Chance, das Vertrauen in die Politik vor einem weiteren Absturz zu bewahren: Nur das liegt im Interesse der Republik.

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