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Schmelztiegel fast wie New York

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Ob sie einzeln kamen oder in Wellen, gerufen oder ungerufen -Österreich nahm seit je Menschen aus allen Windrichtungen auf. Es verdankt ihnen einen großen Teil dessen, was es ist und gilt. Dieses Dossier handelt hauptsächlich vom Beitrag ausländischer Zuwanderer. Der Dramatiker Pavel Kohout und der Burgschauspieler Pavel Lan-dovsky sind Zuwanderer, nicht aber die einstigen Zuwanderer aus Böhmen, Ungarn und anderen Ländern. Sie kamen ja aus Gebieten, die damals zu Österreich gehörten.

Einwanderer, die uns einfallen: Der erste Burgtheaterdirektor aus Deutschland-Heinrich Laube. Aus dem Bereich der Musik: Zwei Einwanderer aus Deutschland, Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms. Der in Rumänien geborene Dichter Elias Canetti. Ein Burgschauspieler armenisch-italienischer Abstammung: der in Saloniki geborene Raoul Aslan. Die in Kairo geborene Marika Rökk. Die Schweizerin Maria Bill...

Viele Sportler wurden zur höheren Ehre Österreichs gern aufgenommen: Chinesische Tischtenniskanonen (Ding Yi, Quian Quianli), kanadische Eishockeyspieler (Rick Cunningsham), Fußballer aller Nationalitäten, etwa der Exilrusse Jewgenij Milewskij, Zico Krajncar und drei Spieler namens Petrovic.

Basis des gewaltigen Imports an Kreativität und Fleiß, von dem Österreich zehrt, sind die Einwanderungswellen. Österreichs Osten, vor allem Wien, kann es als Schmelztiegel fast mit New York aufnehmen, doch reicht seine Geschichte als Ort der produktiven Vermischung weit zurück. Wolfgang Schmeltzl, Wahlwiener aus der Oberpfalz, hörte hier schon 1548 Deutsch, Griechisch, Latein, Hebräisch, Französisch, Türkisch, Spanisch, Böhmisch, Windisch, Italienisch, Holländisch, Syrisch, Kroatisch, Serbisch, Polnisch und Chaldäisch (was immer das gewesen sein mag). Viele Menschen dieses Sprachenbabels wurden Vorfahren der heutigen Österreicher.

Holländisch hörte Schmeltzl wohl von den „Notten", holländischen Gärtnern, an die die Nottendorf er-gasse erinnert. Sie siedelten in Erdberg, wo sie jahrhundertelang unter sich blieben und erst im 18. Jahrhundert in der Gesamtbevölkerung aufgingen.

Griechischen Kaufleuten verdankte Wien lange fast ein Monopol im Südosthandel. Selbst Londoner Handelshäuser bedienten sich ihretwegen des Wiener Platzes.

Karl VI. holte Katalanen, Prinz Eugen Franzosen, er selbst, Österreichs berühmtester Feldherr, entwischte aus Frankreich der ihm zugedachten geistlichen Karriere. Er besaß zwölf Louisdor, als er 1683 den Kaiser im Feldlager zu Passau um einen Offiziersposten bat. Er war alles andere als eine Eindruck machende Erscheinung, aber Leopold I. gab ihm eine Chance. Viele andere bedeutende österreichische Offizierewaren „Wildgänse": Iren, die wegen ihres Glaubens fortgingen. Feldmarschall Lascy war einer von ihnen, der Rennfahrer Barry stammte von „Wildgänsen".

Von vielen Einwanderungswellen wissen wir wenig. Der Aderlaß des Pestjahres 1679 war kurz nach der Türkenbelagerung von 1683 durch Zuwanderung ausgeglichen. Mit dem Entsatzheer kamen junge Männer. Vermutlich haben nicht wenige hier geheiratet. Auch mancher Soldat Napoleons dürfte in Österreich hängengeblieben sein. Der Nachkomme eines von ihnen hieß Johann Juliet und wurde als Hans Moser berühmt.

Italienische Sänger, Musiker und Tänzer waren im 17. und 18. Jahrhundert Träger der Hofkultur, später „Figurini" (Figurenmacher), Lebzelter, Salami verkauf er („Sa-lamutschimänner"), Bau-, Ziegel-und Erdarbeiter, Scheren- und Messerschleifer. Seit der Zweiten Türkenbelagerung war das Rauch-fangkehrergewerbe fest in italienischer Hand, was sich erst im 19. Jahrhundert durch den Zuzug böhmischer Lehrlinge änderte.

Zwischen 1848 und 1910 machten Zuwanderer Wien zur Zweimillionenstadt. Im 19. Jahrhundert kamen, vor allem aus Böhmen und Ungarn, viele Juden - was ihr Verlust für Österreich bedeutete, haben viele noch heute nicht ganz erfaßt. Daß Wien nach dem Krieg für längere Zeit geistig verprovin-zialisierte, hat damit zu tun. Es kamen Tischlergesellen aus Böhmen und Mähren, böhmische und tschechische Schneider (Fritz Wo-trubas Vater war einer von ihnen). Für zuwandernde junge Frauen wurde der Dienstboten- zum Einstiegsberuf, weil in der Stadt der chronischen Wohnungsnot der Posten ein Quartier bedeutete, wenn auch oft ein winziges und finsteres. Vergessen wir nicht die slowakischen Hausierer und Spielzeugverkäuferinnen, die „Glas-und Zwiefel-Krowoten", die böhmischen Kindermädchen, die Iglauer Ammen und im Ersten Weltkrieg die jüdischen Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina.

Um 1900 machten sich einige hundert bulgarische Saisonarbeiter als Gärtner seßhaft. Der Speisepaprika blieb lang ihre Spezialität. Bosnier kamen vor allem als Soldaten und Hausierer. Letztere standen in Opanken an den Kreuzungen und boten Feuerzeuge, Pfeifenspitzen, Uhrketten, Ringe, und türkische Messer und Dolche feil. Die Wiener nannten den Bosnier scherzweise gern „Bosnieur".

Wieviele Sinti und Roma in Österreich leben, weiß man nicht, sie deklarieren sich nicht gerne. Sind's 1.000 oder 6.000? Wir verdanken ihnen zwei der besten österreichischen Gitarristen, Harri Stojka und Charly Ratzer.

In der Zwischenkriegszeit kamen auch 5.000 bis 10.000 russische Flüchtlinge nach Österreich. Ein Teil „verösterreicherte".

Im Krieg wurden Zehntausende Zwangsarbeiter gepreßt - Milo Dor und Wander Bertoni stehen beispielhaft für jene, %he hier blieben und das Land bereicherten. 1956 kam die riesige Flüchtlingswelle aus Ungarn, 1968 die Welle aus der CSSR, 1980 die Polenwelle-immer zog ein Teil weiter, blieb ein Teil.

Wir sollten uns nicht als Wohltä-Flüchtlinge aus der Türkei geben sich als Gastarbeiter aus, so werden sie eher geduldet.

Am 9. April 1945 schrieb Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Das haben wir von dem sogenannten Wiener Humor, der bei uns in Presse und Rundfunk sehr gegen meinen Willen immer verniedlicht worden ist. Der Führer hat die Wiener schon richtig erkannt. Sie stellen ein widerwärtiges Pack dar, das aus einer Mischung zwischen Polen, Tschechen, Juden und Deutschen besteht." Er ahnte nicht, welches Kompliment er uns damit machte.

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