Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Schmerzgrenze
Das Ansinnen, Bundeskanzler Vranitzky möge nun nach vielen anderen aus seiner Partei, die er opfern mußte, auch den Finanzminister Ferdinand Lacina fallen lassen, überfördert diesen entschieden und überschreitet die mögliche Schmerzgrenze dieses sonst so abgehärteten Politikers.
Mit Lacinas Abgang würde die Quantität der bisherigen Abgänge in eine neue Qualität, in die der fast völligen personellen Entleerung und der Isolierung des Kanzlers umschlagen. Es wäre in einem solchen Falle nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das Mißtrauen auch an den Bundeskanzler selbst heranwagte. Doch zu einem solchen Mißtrauen auch nur gegen Lacina besteht kein sachlich gerechtfertigter Grund. Was man diesem Politiker allenfalls vorwerfen kann, ist eine gewisse Leichtgläubigkeit, die aber nicht gegen, sondern für ihn spricht; eine Eigenschaft übrigens, von der auch Kreisky nach eigenem Eingeständnis nicht frei war, ohne daß diese liebenswürdige Schwäche seiner historischen Wirkung Abbruch getan hätte.
Der kleinere Koalitionspartner ist daher auch gut beraten, wenn er nicht in den oppositionellen Chor einstimmt, der den Rücktritt Lacinas verlangt. Die ÖVP hätte freilich schon früher gut daran getan, den Koalitionspartner nicht zu überfordern und die Einsetzung eines Noricum- Untersuchungsausschusses nicht zu unterstützen. Ein solcher Beschluß wäre nicht nur mit Rücksicht auf den Koalitionspartner besser unterblieben; der Fall Waldheim, in dem die ÖVP infolge der von Teilen der SPÖ geführten Kampagne gegen Waldheim mit ihrem Kandidaten als Siegerin hervorging, hätte sie lehren können, daß es sich politisch nicht bezahlt macht, durch Skandalisierung und Wühlen in alten Wunden, durch Aufrollung wirklicher oder vermeintlicher Schuld, den Gegner treffen und sich selbst Vorteile verschaffen zu wollen.
So könnte es diesmal der ÖVP passieren, daß sie das Klima vergiftet, ohne den erhofften Erfolg dafür einheimsen zu können.
Freilich hat, wenn man die Analogie weiterspinnt, die SPÖ aus der Niederlage Stey-rers, der den Rücktritt von Sinowatz auslöste, letzten Endes einen Vorteil gezogen, weil es auf diese Art Vranitzky gelang, den antisozialistischen Trend in Grenzen zu halten. So könnte es auch der ÖVP gelingen, bei der Regierungsbildung das nachzuholen, was ihr bei den Wahlen versagt geblieben ist. Aber ob dies, etwa im Fall einer kleinen Koalition, gut für Österreich wäre?
Jedenfalls kann man gespannt sein, wie die Großparteien aus der entfesselten Dialektik des Gegeneinanders herausfinden und zum Wohle Österreichs wieder zusammenfinden werden.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!