7213611-1992_41_03.jpg
Digital In Arbeit

Schmerzhafter Todeskampf

Werbung
Werbung
Werbung

Gestorben ist die Tschecho-Slowakei noch nicht. Ihren 74. Geburtstag am 28. Oktober erlebt sie aber nur mehr in Agonie.

Vergangene Woche bot die Debatte im Prager Föderalparlament der Welt ein jämmerliches Schauspiel letzter Zuckungen eines Staates, den die Tschechen 1918 mit großem Jubel begrüßt hatten. Vladimir Meciars „Bewegung für eine Demokratische Slowakei" (HZDS) taktierte weiter mit der Zustimmung zum oppositionellen (kommunistischen, sozialdemokratischen) Vorschlag, eine Art tschechischslowakische „Union" zu bilden.

Der Angelpunkt bei allen Trennungsverhandlungen ist die wirtschaftliche, zum Teil auch die militärische Frage. Solange es noch Probleme mit der Aufteilung des Vermögens gibt, bleibt die Slowakei lieber bei den Tschechen, denn nachher kann man keine Ansprüche mehr geltend machen.

Schlimm für beide Landesteile ist, daß sich nach jetziger innenpolitischer Lage drei Meinungen gegenüberstehen, die kaum unter einen Hut zu bringen sein dürften: da gibt es die Befürworter einer sauberen Trennung (auch in militärischer Hinsicht, ein Sicherheitsbündnis wird abgelehnt), die momentan eher auf der tschechischen Seite zu finden sind; dann die „alte Garde", die mit einer Union liebäugelt (ohne auf das Wie eingehen zu können), und schließlich die Taktierer, die sich einige Optionen offenhalten, obwohl sie die Unabhängigkeit der Slowakei längst besiegelt haben.

Niemand fragt die „Völker", was sie denn eigentlich wollen: bei Wahlen im Frühjahr wurden gerade jene Vertreter gewählt, die jetzt diese Politik betreiben. Also ein Referendum: aber mit keiner Frage kann man die Komplexität des Trennungsvorganges einfangen. Denn Trennung Ja oder Nein steht nicht mehr zur Debatte. Jetzt geht es um Ansprüche: und diese sind begreiflicherweise auf slowakischer Seite, die wirtschaftlich ins Hintertreffen zu geraten befürchtet, besonders groß.

Eine verfassungsgemäße Scheidung scheint vorläufig aussichtslos. Wird die Tschecho-Slowakei ein friedliches Auseinandergehen demonstrieren, was bisher keinem zerfallenden europäischen Staat gelungen ist?

Das „große Chaos", das Vaclav Havel „seinem" Land prognostiziert, darf Europa nicht kalt lassen: behutsame Hilfen im Demokratisierungsprozeß, unterstützt durch verstärkte wirtschaftliche Kooperation, könnten die bevorstehenden „bitteren Zeiten" (Havel) mildern und dem alten Kontinent einen weiteren Brand ersparen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung