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Schmutzige Hände

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Arpad", hatte die Frau gerufen, ,„du hast ja schrecklich schmutzige Hände!"

Der Mann blickte auf seine Hän- de und stellte fest, daß sie fast grau waren. Die Fingernägel zeigten einen schwarzen Rand und auf den Handrücken zeichneten die Adern dunkle Linien, gewunden wie Strö- me im Bergland.

Wie wäre es aber auch anders möglich gewesen in dieser Stadt? Diese schmalen Gassen! Sie waren so schmal, daß es schien, als wür- den sich die verwaschenen Häu- sermauern mit denen der Ge- genüberseite am Ende der Zeile berühren. Die Passanten mußten sich an die Wände drücken, wenn eine der dicken Frauen mit ihren großen Körben vorbeikam, sie mußten den Eseln, die mit riesigen Strohbündeln beladen daher- schwankten, aus dem Wege gehen. Immer war jemand unterwegs, der Platz brauchte. Es war also kein Wunder, wenn man schmutzig wurde. Noch dazu, wo der Weg über unzählige Stiegen hinauf- und hinunterführte, über Stiegen, de- ren Steine glatt und zum Teil von den, aus den benachbarten Häu- sern sickernden Abwässern glit- schig waren, sodaß man sich an den klebrigen Holzgeländern, abgegrif- fen von vielen teerigen, nach Fisch und Zwiebel stinkenden Händen, festhalten mußte.

„Und du Alwine, du vielleicht nicht?" fragte der Mann.

Die Frau hob ihre etwas fleischi- gen Hände zur Höhe der Brust. Beide betrachteten die Finger. Natürlich waren auch diese grau. Die Nägel, mit ihren dunklen Rän- dern und matten, zum Teil abge- sprungenem Lack, ungepflegt.

Während sie noch so dastanden, fielen die weichen Exkremente einer Taube, die sich oben auf dem Gesimse sitzend entleert hatte, knapp neben die beiden zu Boden.

„Das hätte noch gefehlt", sagte die Frau und zog Arpad weiter. „So können wir unmöglich zum Präsi- denten gehen", meinte sie nach einigen Schritten.

„Nein", sagte er, „unmöglich!"

Nach einiger Zeit, sie waren wie- der weitergegangen, fragte er aber: „Warum eigentlich nicht? Ja, war- um nicht? Er muß doch den Weg durch diese Stadt kennen. Er muß doch wissen, wie diese Straßen beschaffen sind und wem man da überall begegnet. Er muß doch wissen, daß man sich da an die Häuser drücken muß."

„Ich glaube, man wird uns erst gar nicht einlassen", meinte die Frau ängstlich.

„Wer?" fragte der Mann.

„Der Diener, der Hausmeister oder wer immer am Tor ist."

„Immer diese dumme Diener- schaft", brummte Arpad.

„Sie werden ihre Weisungen haben", erwiderte die Frau. •

„Dann wird er allein in seinem Schloß sitzen können." Die Stimme Arpads klang auftrumpfend. „Die anderen werden schließlich auch nicht anders aussehen wie wir. Wenn ich denke, die Taube, stell dir vor Alwine: manche triffts!" Er lachte.

„Einen Brunnen müßten wir fin- den", seufzte die Frau, ohne auf seine Vorstellung einzugehen.

Als sie über einen kleinen, mit katzenbuckeligen Steinen gepfla- sterten Platz schritten, auf dem eine große Menschenmenge versammelt war, die verschiedene Dinge feil- bot, sahen sie einen Burschen mit zwei bauchigen Krügen. Die Gefä- ße hingen an einer Stange, 'die der junge Mann über die Schulter ge- legt hatte. Er verkaufte Wasser. Es war natürlich Trinkwasser und die beiden zögerten einen Augenblick, ob sie davon kaufen sollten, um ihre Hände zu reinigen. Mit Trink- wasser? Aber es war hier offenbar kein anderes zu bekommen.

Als sie sich mit einem Kopfnik- ken verständigten, der Lärm der feilschenden und gestikulierenden Menschen war groß, war der Bur- sche hinter einer Gruppe Frauen, die Vogelkäfige verkauften, in denen Singvögel von Stab zu Stab sprangen, verschwunden. Als sich Arpad und Alwine endlich zwischen den Feigenhändlern, einer Gruppe Schmiede und einer anderen von Teppichknüpferinnen, über einen Haufen Zwiebel, alte Fetzen, Re- genschuhe und von Fliegen um- summten Zuckerwerk den Weg zu den Vogelbauern gebahnt hatten, war der Wasserträger nicht mehr zu sehen. Die beiden hielten ent- täuscht an. Schließlich wies die Frau auf die hochaufeinandergestapel- ten Käfige: „Ob wir ihm nicht ein solches Vögelchen kaufen sollten?"

Der Mann lachte hämisch. „Er hat sicher genug davon. Was soll er auch damit anfangen? Stell dir vor, wenn ihm jeder einen Vogel brin- gen würde. Dieser Spektakel im Haus!"

„Natürlich", sagte die Frau. „Du hast recht, das wäre zu viel. Aber jeder bringt ja keinen Vogel mit."

Der Mann war schon weiterge- schritten. Er war über einen Haufen Feldfrüchte gestiegen und hörte nur undeutlich den Einwand. Er reagierte nicht darauf, sondern strebte einer auf das Plätzchen mündenden Straße zu. Seine Frau folgte ihm notgedrungen.

Fast hatten sie schon das Gewühl der lauten Menge hinter sich ge- lassen, als die Frau Arpad an einem Ärmel zupfte. „Schau, die schönen Blumen."

In alten, verrosteten Kübeln und Konservenkanistern standen zu Gruppen geordnet leuchtende Gla- diolen: rot, wie brennende Schwer- ter, violett, wie die Flügel südlicher Nächte und weiß, wie die Wolle neugeborener Lämmer. Auch Nel- ken waren da, langstielige, die ein wenig ihre schweren Häupter wieg- ten, Rosen in allen Farben, geschlos- sen und sich eben öffnend, auch frühe Astern, mit tausend Sternen. Frauen, die ihre Kopftücher tief in die Gesichter gezogen hatten, prie- sen sie den Vorübergehenden an.

„Ob wir ihm nicht Blumen mit- bringen sollten?" fragte Alwine.

„Na ja, schön", sagte Arpad und betrachtete die ausgestellten Blu- men. Die Frauen hielten ihm ver- schiedene Sträuße entgegen und sprachen auf ihn ein. Schon griff er nach der Geldbörse, doch dann wies er seine schmutzigen Hände seiner Gefährtin. „Was nützt das? Es wäre gescheiter, wir hätten die Möglich- keit, uns die Hände zu waschen. Und überhaupt, hast Du nicht gele- sen, was der für einen Garten hat?" Arpad machte eine wegwerfende Handbewegung, „da ist das gar nichts". Bei den letzten Worten zog er seine Frau hinter sich her.

Sie hasteten weiter, passierten noch einige Gassen, die etwas brei- ter waren, und standen schließlich vor dem Eingang des Anwesens, in dem das Haus des Präsidenten stand. Durch die Gitterstäbe des Tores konnte man schon die Fülle der Blunfen und Ziergewächse er- blicken. Brunnen plätscherten und kiesbestreute Wege führten zur Treppe der Empfangshalle. Die beiden Ankömmlinge dachten beim Anblick der Brunnen sofort daran, bei einem von ihnen die Hände zu reinigen.

Als sie jedoch dem Bedienten ihre Einladung vorwiesen, lachte dieser nur kurz auf und schüttelte den Kopf: „Mit solchen Händen wollen Sie zum Präsidenten gehen? Nein, da kann ich Sie nicht hereinlas- sen!"„Ich hab' es dir ja gesagt", meinte die Frau vorwurfsvoll. „Jetzt sind wir den weiten Weg ganz ver- geblich gegangen."

„Er muß aber doch die Zustände in der Stadt kennen!" rief Arpad gereizt.

Sie standen vor dem Eingang und einer gab dem anderen die Schuld an ihrem Mißgeschick, da- bei- bemerkte der Mann gar nicht, daß immer wieder Menschen das Tor passierten. Erst als Alwine ihm vorwarf, daß er sich geirrt habe, wurde er auf die Eintretenden auf- merksam. Sie konnten nun feststel- len, daß auch die anderen schmut- zige Hände hatten. Doch sonder- bar, der Bediente schien es bei je- nen nicht zu bemerken.

Der sonst so ruhige Arpad geriet darüber in Zorn. Er stürmte zum Tor, schrie und schimpfte auf den Mann, der ihm den Eintritt ver- weigert hatte. Er wies auf seine Einladung, nannte es eine Unver- schämtheit, die einen einzulassen und die anderen nicht und gebär- dete sich dabei so laut und heftig, daß er schließlich von zwei herbei- geeilten Polizisten abgeführt wur- de.

Während des ganzen Auftrittes passierten etliche Menschen den Eingang. Dem zankenden Paar war es nicht aufgefallen, daß jeder etwas mit sich trug, das die schmut- zigen Hände zum Teil verdeckte. Der eine ein Perlhuhn, wie sie auf dem Markt verkauft wurden, der andere einen schönen Strauß Nelken, der dritte ein buntes Ge- webe und der vierte einige große Zwiebel. Der Diener streichelte das Perlhuhn, roch an den Nelken, rieb, wie prüfend, das Gewebe zwischen Daumen und Zeigefin- ger. Als er aber die Frau vom Lande, mit den Zwiebeln sah, lä- chelte er nur still vor sich hin und gab den Eintritt frei.

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