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Digital In Arbeit

Schnelles Glück

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Das Licht von gegenüber war nun zu schwach, den Raum zu durchdringen. Durch die Finsternis tappte ich ins Nebenzimmer, mir einen bequemen Stuhl zu holen. Wie ich so dasaß in dem Stuhl, fühlte ich mich kaum. Nur ab und an, wenn ich nach dem Glas griff, spürte ich leise die Fingerspitzen, die Lippe. Ich trank nur wenig von dem Wein. Es freute mich, mir das Rot des Weines, dagegen das Fichtengrün vorzustellen. Jener Freund, der sich dann umgebracht hatte, hatte mir einmal geschrieben:

In dem Rot und Grün nebeneinander, einem gewissen Rot, einem gewissen Grün, drücken sich mir die schrecklichen Leidenschaften der Menschen aus.

Es ist schwer, hierher auf die Welt zu kommen, aber leicht, zu gehen. Der Baumeister des Weltalls wußte, weshalb er die Planeten in der Luft befestigte.

Draußen war ein prächtiger Sternenhimmel. Es war nichts eigentlich Schwarzes an dem Himmel, es war ein aus der Tiefe durchstrahltes Blau. Und die großen Sterne waren Löcher darin, durch die das Licht strahlte. Es strahlte nicht zu weit, aber doch so, daß die hinteren Sterne wie durch Schleier leuchteten, ihr Licht als Punkte auf die Schleier aufsetzten. Das ganze tiefe Gewebe dieses Himmels. Noch im Hintersten, Entferntesten war das Licht, das zugewandt so hell leuchtete. Die großen Sterne.

Gegen Morgen zu, im Hof wurden bereits Autos gestartet, erwachte ich in dem Sessel, und sofort kamen mir Gelddinge in den Sinn. Halb noch bewußtlos, rechnete ich nach, wieviel ich verdient hatte, noch verdienen würde, bis mir einfiel, daß ich ja arbeitslos war. Langsam entkleidete ich mich dann und ging zu Bett. Zum Glück umsurrte mich eine Gelse in der halben Dunkelheit, die im Zimmer war. So konnte ich alle Wut darauf richten, die Gelse zu, fangen. Wie lächerlich''man werden kärtn. Icrl fiel ■gleich in Schlaf.

Die quaderförmige Küchenampel brannte noch. Sie war aus weißem, undurchsichtigem Preßglas. Es war seltsam, sie da brennen zu sehen. Tote Insekten lagen in dem Glaskörper als schwarze Partikel, so als hätte das Licht diesen Grus ausgeschieden. Wie man sagt, der Himmel werfe ein Geflock aus, Schnee. Das Glas war auf einen Sockel montiert, der schwarz war. Um wievieles heller war das Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel! Der Tag! Aber vom Wesen her war's doch nichts andres als das Lampenlicht.

Mit nackten Füßen stand ich auf dem Küchenboden, der sich kalt anfühlte. Auf dem Tisch standen noch das halbvolle Weinglas, die Flasche, die jetzt grünlich leuchtete. Eines Tages wird jemand kommen, meine Schmerzen zu lindern. Ich nahm die Milchflasche aus dem Kühlschrank, in dem sogleich das Licht aufblitzte, goß Milch in eine Schale. Ehe ich noch Haferflocken in die Milch warf, tupfte ich mit dem Finger hinein, um zu prüfen, wie kalt die Milch war. Dann leckte ich den Finger ab. Wie rund und weich die Milch in der Schale war. Ich rührte an die Oberfläche. Wie weiß und nachgiebig; anders als Schnee. Das war mir entgangen. Es wollte mir vorkommen, als sei mein ganzes Leben früher gewesen, als lebte ich nicht länger. Ich bin ja da.

Während des Frühstücks hörte ich Nachrichten. Es war elf Uhr. Als der Sprecher die Arbeitslosenzahl, die wieder gestiegene Zahl der Nichtbeschäftigten durchsagte, machte es mich fast froh, zu denken, daß ich da erfaßt war, dazugehörte. Ich gehörte also noch unter die Menschen. Ich zähle. In dem großen Regierungspalast wird über das Schicksal der Menschen bestimmt, die durch die Straßen der Metropole gehen. Oder sie fahren sehr schnell in glitzernden Autos. Von den Betonbergen wehen Fahnen. Grüne Fahnen. Einstmals, am Ende der Zeiten, wenn die Massen hungernd, frierend, in Lumpen gehüllt an den Glasburgen vorbeistromern, durch Tage des Zwielichts. Die Stille. Das Rascheln wertloser Banknoten. Ein schnelles Glück; oder gar keines.

Seit ich ohne Arbeit war, bewegten sich meine Gedanken wie von selbst. Ich führte das eben auf die Untätigkeit zurück. Es machte mir Angst, die ich durch Tätigkeit, wenn auch sinn-und zwecklose, zu überwinden suchte. So räumte ich die Küche, alle Zimmer auf das Gewissenhafteste auf, putzte die Schuhe, reinigte meine Kleider. Für das Waschen, Rasieren, Zähneputzen verwandte ich Zeit und Sorgfalt. Früher war mir das lästig gewesen, das Herumdoktern, wie ich es nannte, genannt hatte. Mit Bergman war ich in Pocks Restaurant verabredet. Durch den Sommertag ging ich durch die Stadt. Einmal, als ich an einer Kreuzung auf das Umspringen der Ampel warten mußte, blickte ich gegen die Sonne. Ich sah ein Kornfeld, aus dem sich ein Krä-henschwarm erhob. Es war ein riesiges Feld, und schwarz stiegen die Krähen daraus. Pocks Restaurant war Bergmans Lieblingslokal; ich hatte mich daran gewöhnt. Durch eine Doppeltür trat man ins Innere. Da war ein großer Raum ohne Fenster elektrisch erleuchtet. Links sprang die Theke vor, so daß dahinter ein Laufgang war. Die Theke hatte einen Aufsatz aus Glas, hinter dem allerlei Süßigkeiten lagen; in einem anderen Abteil Würste. Im übrigen war die Theke mit Blech überzogen, das glänzte. Der Raum war weitläufig, und in der Mitte war ein großer freier Platz. Nur an den Wänden entlang standen Tische, Sessel darum. In einer Ecke war ein runder Tisch. Neben diesem ging eine Tür in das andere Zimmer. Auch dieses war ohne Fenster elektrisch erleuchtet. Ein Bil-lardtisch stand darin, eine Musikbox. Spielautomaten hingen an den Wän-„den, Sie leuchteten in dem Dämmerungslicht. Tische standen an den

Wänden, in Nischen, die durch halbkreisförmig vorspringende Bänke gebildet waren. Das war Pocks Restaurant. Es war kaum besucht.

Ist das nicht ein schöner Tag, sagte ich zu Bergman, der mit einem Mädchen an einem der Tische im ersten Raum saß.

Ja, du hast recht: Es ist schön, von allerhand zu träumen, auch wenn es das Schreckliche ist.

Du kanntest ihn nicht, fuhr er fort, ich will es dir trotzdem sagen: Lipsky ist tot; er wurde in einem Hotelzimmer gefunden.

Bergmann erzählte die Umstände von Lipskys Tod. Am Oberarm wie auch am Hals nahe der Schlagader hatte man Schnittwunden von unterschiedlicher Tiefe entdeckt. Keine von ihnen hatte aber den Tod verursacht. Lipsky hing in einer Schlinge, die am Zentralheizungskörper befestigt war. Die-Schlinge war so tief in Hals und Nacken eingeschnitten, daß

sie auf den ersten Blick kaum sichtbar war. Bist du traurig?

Ich frage mich, wer Lipsky wohl gewesen ist, sagte Bergman. Dann fuhr er fort:

Wie wir damals mit der Polaroidkamera fotographiert hatten. Erst Lipsky mit Dora, dann Gerda mit Dora, von hinten. Dann kam ich an die Reihe, solo; wir hatten großen Spaß.

Zum letzten Mal sah ich Lipsky im Schalterraum einer Bank. Er war betrunken, fuchtelte mit einem Packen von Geldscheinen herum und wollte mich zum Mitkommen überreden. Ich schlug es aus, ging heim. Wie du gestern meine Einladung ausgeschlagen hast.

Ich sagte: Das Sterben stelle ich mir anders vor. Ich stelle mir vor, im Bett zu liegen, ausgestreckt. Man hält -meine Hand. Ich spreche, sage: Wer weiß, sehen wir einander. Dann spreche ich nicht mehr, schaue nur noch. Und man hält bis zuletzt meine Hand.

Wer soll dich denn halten, sagte Bergman, rief dann eine Bestellung zur Theke hinüber. Wir tranken einige Gläser Schnaps.

Das ist Anna, sagte Bergman schließlich, gefällt sie dir?

Ein Automat insbesondere fiel mir ins Auge. Es war ein rechteckiger Kasten, schwarz gestrichen, der an der Wand hing. Nur ein metallener Hebel stand von ihm ab; sonst war der Kasten geschlossen. An dem Hebel war eine schwarze Kugel aus Gummi. Vorne waren an dem Kasten drei Fenster, hinter denen Rollen rotierten, wenn man den Hebel zog. Auf den Rollen, die weiß waren, waren allerlei Symbole abgebildet, das heißt, man konnte ja die Rollen nicht sehen, nur denken, man sah nur die vorbeifliegenden bunten Bildchen an den Fenstern, hinter ihnen. Im Stillstand sah man bloß eines der Bilder hinter dem Fenster, etwa eine grüne Walnuß oder ein orangefarbenes Bonbon. Ich spielte eine Weile an dem Automaten und verlor mein Geld. Bergman, den ich draußen mit dem Mädchen reden hörte, kam dazwischen immer wieder herein, um die Musikbox zu bedienen. In einem der Lieder, die Bergman spielen ließ, sang der Sänger davon, daß er den Weg zum Himmel finden werde, da er seine Zeit in der Hölle verbracht habe. In einem anderem Lied war von einer Schachtel voller Regen die Rede, und es war ungewiß, wofür sie stand, für die Erlösung oder bloß für die Finsternis.

Während Bergman wieder zu der Musikbox in das andre Zimmer gegangen war, saß ich bei dem Mädchen und schaute es an. Es saß da und lächelte. In dem Blick seiner Augen sah ich, daß es mit mir gehen würde. Ein wenig war ich unsicher. Aber Bergman kam nicht in das Zimmer zurück. Ich war dann sicher, gab dem Mädchen meine Hand, und wir gingen fort. Wir traten auf die Straße hinaus.

Aus dem Roman „Das schnelle Glück" von Peter Rosei, der demnächst im Residenz-Verlag, Salzburg, erscheinen wird.

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