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Schock aus Graz

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Seit der Gründung der Republik waren die Landeshauptleute die „Kaiser" in Osterreich. Das hat sich nicht immer zum Vorteil des Gesamtstaates ausgewirkt, und Bundeskanzler Doktor Seipel stimmte oftmals ein Klagelied darüber an. Nun ist diese föderative Struktur der ÖVP nach dem zweiten Weltkrieg durch die Bündekonstruktion »war verwässert worden, doch starke Landeshauptleute geben der OVP auch weiterhin das Gepräge. Von den Landeshauptleuten gingen auch sämtliche Reformbestrebungen innerhalb der ÖVP nach 1945 aus. Von den Ländern — das heißt, vom Westen und Süden Österreichs, weil Niederösterreich stets als Hort des Konservativismus gewertet wurde.

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Seit der Gründung der Republik waren die Landeshauptleute die „Kaiser" in Osterreich. Das hat sich nicht immer zum Vorteil des Gesamtstaates ausgewirkt, und Bundeskanzler Doktor Seipel stimmte oftmals ein Klagelied darüber an. Nun ist diese föderative Struktur der ÖVP nach dem zweiten Weltkrieg durch die Bündekonstruktion »war verwässert worden, doch starke Landeshauptleute geben der OVP auch weiterhin das Gepräge. Von den Landeshauptleuten gingen auch sämtliche Reformbestrebungen innerhalb der ÖVP nach 1945 aus. Von den Ländern — das heißt, vom Westen und Süden Österreichs, weil Niederösterreich stets als Hort des Konservativismus gewertet wurde.

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Der Oberreformer der ÖVP ist zweifellos Josef Krainer. Seit 22 Jahren Landeshauptmann in der Steiermark, steht er trotz seiner 68 Jahre immer noch an der vordersten Front, wenn es gilt, zu schockieren und der ÖVP-Bundesparteileitung Dampf zu machen. Die Steiermark fühlte sich schon immer als ein Land der Reform, von der Reformationszeit angefangen bis zur Zwischenkriegs-zeit. Hier fanden die schwersten Kämpfe zwlsdien Heimweihr und Schutzbund statt und hier kam es zu den härtesten Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern eines unabhängigen Österreich und den Nationalsozialisten. Graz durfte sich die Stadt der Volkserhebung nennen, eine Auszeichnung, die allerdings durdi die weltgesdiiditlichen Ereignisse wertlos geworden ist. Auch der Zug der Steirer nadi Wien, um hier die Herrschaft zu übernehmen, geht durch die Geschichte, war allerdings von wenig Glück begleitet, wie der Aufstieg und Fall des Steirers Dr. Rintelen in der Zwischenkriegszeit bewies. Der einzig erfolgreiche

Steirer in Wien — und das ärgert viele Steirer heute noch — war Ferdinand II., der die Gegenreformation in den habsburgischen Erblanden durchsetzte. Krainer stand an der Spitze der reformfreudigen ÖVP-Landeshauptleute, als es um die Ablöse Raabs ging. Dank Krainer kam damals der Steirer Dr. Gorbach zum Zug. Als dieser alber bei den Nationalratswahlen 1962 nur knap.p die absolute Mehrheit verfehlte, dodi bei den Regierungsvertiandlungen mit der SPÖ keine sichtbaren Erfolge erringen konnte, hatte er sidi Krai-ners Sympathien verscherzt. Der steirische Landeshauptmann war damals bei den Sitzungen der ÖVP-BundesparteUeitung in Wien einem Zusammenbruch nahe. Gorbadi bekam aber nodi ein zweites Mal den Eigensinn seines Landsmannes zu spüren. Bei der Bundespräsidentenwahl 1965 fehlte ihm zum Sieg gerade der Prozentsatz an Stimmen, mit dem die Wähler Steiermarks gegenüber dem Bundesdurchschnitt zurückgeblieben waren. Wenn n\m, Krainer anläßlich der

Auistellung des Bundespräsidentschaftskandidaten der ÖVP, Doktor Waldheim, in Graz die Meinung vertrat, der Bundespräsident würde bässer durch die Bundesversammlung gewählt werden, stellt sich doch die Frage, wem solch ein Gerede nützen soll? Der ÖVP und Waldheim bestimmt nicht. Erstens würde in der Bundesversammlung, in der die SPÖ derzeit die Mehrheit, wenn auch bloß einer Stimme, besitzt, nur ein sozialistischer Kandidat gewählt werden, womit die ÖVP nicht einmal die Chance einer Korrektur durch das Wählervolk erhielte, und zweitens waren es die bürgerlichen Parteien samt den faschistischen Bewegungen, die gegen schwerste Bedenken von Seiten der Sozialdemokraten im Jahre 1929 die Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk durchsetzten. In ähnliche Richtung zielt übrigeas auch Krainers Vorschlag einer Konzentrationsregierung nach dem Muster der Schweiz und der meisten österreichischen Bundesländer. War es nicht die Reformgruppe mit Krainer an der Spitze, die die große Koalition verteufelte? Soll nun auf einmal der totale Proporz besser sein als der große Proporz? Wirklich besser als alle derartigen politischen Burggespräche wäre der totale Einsatz der ÖVP in den Bundesländern, somit auch in der Steiermark, Waldheim zum Sieg zu verhelfen. Dann würde sich mit einem Schlag die politische Landschaft in Österreich ändern und an Stelle des Geplauders mit Journalisten könnten ernste politische Verhandlungen treten. Aus den Bundesländern ist derzeit sowieso kein großer Anstoß zu einer Reform der ÖVP zu erwarten. Krainer senior ist als Motor einer derartigen Bewegung schon zu alt und Krainer junior noch zu jung. Niederösterreich stellte zwar mit RaaTj und Figl die populärsten Kanzler der Zweiten Republik, an der Spitze von Reformen aber stand noch kein Niederösterreicher. In Oberösterreich kann Dr. Gleißner als Landeshauptmann noch immer niciit abtreten, weil sein Nachfolger von den Stimmen der FPÖ abhängt. Und die Freiheitlichen werden von Monat zu Monat teurer. In Salzburg geht der Kampf um die Nachfolge Glasers als Landesobmann, und in Tirol soll bereits ein Streit um die Nachfolge des Landeshauptmannes Wallnöfer, der noch gar nicht albtritt, zwischen dem Bauembund und dem ÖAAB ausgebrochen sein. Vorarlberg, Kärnten und Burgenland haben auf Bundesebene wenig Einfluß und machen selbst Krisen durch. Und über die ÖVP Wien ist nur der gütige Mantel des Schweigens zu breiten. Die ÖVP kann augenblicklich gar nicäits tun, als alle ihre Kräfte auf die Wahl des Bundespräsidenten zu konzentrieren. Hier liegt ihre einzige Chance. Selbst wenn sie nicht gewinnen kann, müßte sie doch so viele Stimmen erringen, daß ihre Wähler und Anhänger die Hoffnung schöpfen: Mit der ÖVP geht es wieder aufwärts. Nicht nur auf dem solches verkündenden Plakat.

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