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Schönheit als Preis

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„Selbstbefreiung“ oder bloßes Geschäft, welches Bild prägen die Massenmedien vom menschlichen Körper? Modelle und Mannequins bestimmen die „Ideale“ unserer Zeit.

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„Selbstbefreiung“ oder bloßes Geschäft, welches Bild prägen die Massenmedien vom menschlichen Körper? Modelle und Mannequins bestimmen die „Ideale“ unserer Zeit.

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Nicht erst durch den „Club 2“ (im Fernsehen) über Pornographie konnte man erkennen, daß eine merkwürdige Reziprozität zwischen Emanzipation oder „Selbsf'-Befreiung und der alltäglichen Ausbeutung des Körpers entstanden ist. Unter Körper werden vorwiegend ergono-misch-sexuelle Funktionen verstanden. Das war nicht das Ziel der Emanzipation, eine „Vermarktung“ des Körpers zu begünstigen, doch sollte es stutzig machen, daß wir im kulturellen Wandel in den Prozeß von Szeno-dramen verwickelt wurden:

In der Werbung, in der Mode, im nude-look und Striptease sind ja nicht bloß Besonderheiten erkennbar, die eine Werbung damit umschreibt „Man merkt gar nicht, daß man etwas an hat“, sondern generell wird fortschrittlich behauptet, eine neue Natürlichkeit stelle sich gegen die Hemmungen des Puritanismus. Unverhüllt werden sowohl die vorgeblich „geheimen“ Erwartungen der Individuen genannt, um Zwänge „abzubauen“, als auch „Entspannungen“ repressionsfrei in Aussicht zu stellen, die einen „reinen“ Lustgewinn aller mit allen erreichbar erscheinen lassen.

Bislang hatten Institutionen (Kirche, Recht) dem Menschen diese Freiheit vorenthalten. Stiefel oder Shorts, Strumpfbänder oder lange Handschuhe, Schminken oder Ketten verkünden eine neue Botschaft: Du bist ein(e) Mann/Frau, bekenne dich dazu. Mit den „Bild“-Medien werden die Demarkationslinien der erotischen Funktionen bewußt durchbrochen — mit Mutproben eine Art „Kultur“-Kampf geführt - und die Offensive gegen den Puritanismus begonnen: Alles ist erotisch! Dieses komplexe Geschehen ergibt zwei Konstellationen: Der Körper scheint auf einen Bereich seines „So-Seins“ festgelegt und gleichzeitig durch erotischökonomische Verfahrensweisen isoliert.

Mit der medialen Aufhebung der Grenzen des Darstellbaren und Sichtbaren wird die Nacktheit und Nicht-Nacktheit des Körpers in Opposition zueinander gebracht, weshalb der Körper einerseits zu einer Art Fetisch erstarrt, andererseits wie ein Syn-thetikum monoton reproduziert (erinnern Sie sich an das „Fräuleinwunder“ der 50er Jahre?) und neutralisiert werden kann. Zwar leben wir in einer sexuellen Treibhausatmosphäre, doch in ihr agieren durch und durch „unerotische“ Menschen.

Das läßt sich leicht erklären: Dem Körper wurden verbesserte Vorbilder in Modellen und Mannequins vorgesetzt. Im technischen Zeitalter legen nicht alternde Modelle die Idealmaße fest (S. Anzeigeteile von Tageszeitungen), die jede Nichtentsprechung als individuelles Versagen und grobe Enttäuschung des jeweiligen Partners desavouieren: das Mannequin (dt. das Männchen) ist wegen seines forciert erotisierten Körpers zum Neutrum „ent-sexualisiert“, dessen Geschlechtlichkeit nur denunziert oder kolportiert werden kann. (Klatschspalten)

Also was bedeutet im Film ein leicht geöffneter Mund mit geschminkten Lippen? Die Lippen sprechen, essen, trinken, spucken oder küssen nicht mehr. Seinen natürlichen Funktionen sichtbar entfremdet, wird aus einem faszinierenden Mund die Negation seiner Fähigkeiten, die dialektisch verlorengehen: je attraktiver der Lippenstift gestaltet, desto größer muß die Kontaktscheu werden; je neugieriger ein Wort aus dem Mund erwartet wird, desto bedrückender ist das Schweigen oder Plappern (Körpersprache?). Das gleiche gilt für das Verhältnis von Augen und Wimperntusche. Endlich haben alle Medusen-Augen, aber sie sehen nichts. Die Sinnesorgane werden durch sinnliche Übertreibungen gelähmt: Eine absurde Variante der „Selbst-Verwirklichung“ des Körpers.

Dieser unerotische Paneurotis-mus trifft besonders Frauen. Der Emanzipationsvorgang ging aber diesem Problem aus dem Weg, denn im demokratischen Selbstverständnis sollte zwar das Selbstbewußtsein der Frauen anerkannt werden, doch es lief in der Forderung nach geschlechtsspezifischen Grundanteilen in eine Nebenfahrbahn gemäß einem Modell des alten „Stände- oder Kurienparlaments“.

Hingegen müssen sich die „Durchschnitts“-Frauen vermehrt mit dem naturalistischen Ideal „ihres“ Körpers herumschlagen (Körper-Pflege) oder sich in eine Egozentrik steigern („das Recht auf den eigenen Bauch“), die im seltsamen Gegensatz zu ansonsten kollektivistischen Gesellschaftsvorstellungen steht.

Es war die Ausgeliefertheit des Menschen nur noch besser zu erkennen: Wir sehen sie entweder als kostenlose Werbeträger in ihren T-Shirts zum Zweck der wahrscheinlich „eigenen“ Vermarktung oder in der Mode als Schausteller ihrer teilweise ahnungslos erworbenen, sexuellobszönen Geschlechtslosigkeit. Der „Vamp“ ist kein Vampir mehr.

Jeder hat „seinen“ Anteil am Striptease. Mag jemand auch von zwanghaften Obsessionen und Manipulationen frei sein, der Körper scheint auf seiner Promiskuität zu beharren und zerstört -seit der Aufklärung—den sakrali-sierten Leib. Natürlich ist nicht jeder Opfer einer Selbstverführung oder in eine polymorphe Perversion verstrickt. Die Merkmale der Verschiebung der Persönlichkeit in Narzißmus und Au-toerotismus zeigen an, daß sich Verhaltensregelungen nach Körpermodellen und Moden durchaus als Kultur aufspielen.

In den Medien, die die Intimität des Menschen aus angeblicher Informationspflicht und ver-schmockter Liebe zum Detail zerbrochen haben, werden die Körper simulatorisch gesteuert. Den Narzißmus erlebt man schon als isoliertes Individuum so, wie man eben Männchen auf Laufstegen, Kasernenhöfen und Fabriken tanzen und hüpfen läßt.

In Unkenntnis dieser Bedingung verstehen die Menschen ihren Körper ohnehin schon hermaphroditisch oder sehen sich im Königreich autoerotischer Zärtlichkeit und Modeverspieltheit. So ist der Mensch, weisen die Medien täglich nach. Wie erwähnt, der isolierte Körper ist von den Mode-„Schöpfern“ und deren Modellen nachgebildet, teils funktional im Sinn der Ökonomie, teils dysfunktional im Sinne der scheiternden Partnerschaften.

Es sind „gespielte“ Körper; die Triebe hingegen werden zu einer Art revolutionärer Quelle verklärt; das Unbewußte wird das Subjekt der Geschichte. Das sind die Folien eines universalen „technischen“ Rassismus. Dieser formt Körper weniger nach anthropologisch-ethnischen Kriterien, sondern nach objektiv-rationalen Maßstäben der Modelle für die künftigen Körper und Glieder. Mit Uberzeugung wird verkündet, nunmehr sind alle Menschen auch Menschen; die „Menschlichkeit“ ist ein erklärtes Ziel der ,(Körper-)Kultur. Aber der Körper hat doch Doppelgänger? - das „Unmenschliche“ oder „Normal-Menschliche“.

Die Emanzipationsbewegungen müssen anscheinend ihre Aufgaben noch vor sich haben, doch wie

Verden sie das universale Ghetto der Fernsehzuseher oder benutzten U-Bahn-Benutzer einreißen? Wie wird man unter der textilen Haut des Mannequins einen Leib vermuten können? Kennen wir unseren Körper ohne Negritude (Bräunung)?, haben wir ihn einmal vor der Sektion gesehen, in der Einheit von Geist-Leib-Seele? Diesem Rassismus haben wir „unsere“ Körper geopfert. Erinnern wir uns noch unseres Körpers?

Der Autor ist Dozent am Institut für Soziologie, Wien.

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