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Digital In Arbeit

Schönheit auch aus dem Computer?

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Linien, konzentrische Kreise, ineinander verschachtelte Striche, Ringe, mathematisch genau geordnete, sich wiederholende Bildelemente, Spiralen, ver- schichtete, scheinbar plastische Objekte, Farben, die metallisch kalt, abstoßend wirken - Computergraphik. Das sind Bilder - auch gegenständliche -, die faszinieren, trotz der Distanz, die sie vermitteln. Schöne Bilder, scheinbar zufällig entstanden und doch exakt. Kunst aus dem Computer. Kunst nach einem vorgegebenen Programm, das man in eine Maschine füttert, das dann als Graphik oder auch als plastisches Objekt aufscheint. Auf einem Bildschirm, einem Zeichenblatt. Graphik auf Abruf sozusagen, die in unbegrenzt hoher Auflage erscheinen kann.

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Linien, konzentrische Kreise, ineinander verschachtelte Striche, Ringe, mathematisch genau geordnete, sich wiederholende Bildelemente, Spiralen, ver- schichtete, scheinbar plastische Objekte, Farben, die metallisch kalt, abstoßend wirken - Computergraphik. Das sind Bilder - auch gegenständliche -, die faszinieren, trotz der Distanz, die sie vermitteln. Schöne Bilder, scheinbar zufällig entstanden und doch exakt. Kunst aus dem Computer. Kunst nach einem vorgegebenen Programm, das man in eine Maschine füttert, das dann als Graphik oder auch als plastisches Objekt aufscheint. Auf einem Bildschirm, einem Zeichenblatt. Graphik auf Abruf sozusagen, die in unbegrenzt hoher Auflage erscheinen kann.

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Aus einer technischen Revolution hat sich - gewissermaßen als „Abfallprodukt” - eine Kunstform entwickelt. Die Computergraphik. Entstanden - wie so viele Stile und Richtungen - aus einer Spielerei, in diesem Fall von gelangweilten Mathematikern. Es begann als optisches Jonglieren mit Graphiken, Statistiken. Man wollte gar nicht Kunst machen, sondern spielerische Möglichkeiten des Computers ausprobieren. 1963 greift die Fachzeitschrift „Computer and Automation” diese Spielereien auf. In einem Preisausschreiben werden die besten Graphiken gesucht. Die Einsendungen übertreffen jede Erwartung. Ein richtiger Computerkunstboom bricht aus. Die Künstler selbst zeigen sich zunächst reserviert gegenüber der Vorstellung, nicht mehr Herr der eigenen Werke zu sein, protestieren, tun das Ganze als Scharlatanerie ab. Bis der

Kunstmarkt sich auf die neue Richtung stürzt, eine neue Ästhetik propagiert, Massen von Käufern sich um Computergraphik balgen. Jeder will „ein Stück Technologiekunst” im Hause haben. Als Wandschmuck des zwanzigsten Jahrhunderts. Da werden auch die bisher so ablehnenden „Konventionellen” munter. Aus ökonomischem Interesse vor allem. In Amerika stürzt sich alles, was Rang und Namen hat, ins Computerabenteuer und die „neue Kunst” findet reißenden Absatz.

Dabei ist diese „neue Kunst” gar nicht so neu. Schon in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts hat man mit - mechanischen - Schnellrechnern experimentiert, ließ die Geräte Chiffrenkolonnen zu Figuren zusammenstellen. Mit der Einführung des Computers ging das Ganze dann viel schneller und besser vor sich. Statt der Ziffern und Chiffren konnte man nun auch Linien und Flächen wiedergeben.. Auf recht einfache Weise. Auf „programmgesteuerten Tischen” hebt und senkt sich ein Stift, zieht je nach dem eingegebenen Programm Linien, Strukturen, zeichnet auch Porträts, gegenständliche Bilder. Und durch die Weiterentwicklung der Computertechnologie kamen immer raffiniertere Techniken hinzu. Die Farben wurden verbessert, mit dem elektronischen Display kann man heute Bilder direkt auf einen Schirm projizieren, sie dann auf Papier übertragen. Blitzschnell werden noch während des Programmablaufs Änderungen eingegeben, ein Zufallsgenerator stört auf Wunsch die mathematische Strenge der Komposition. Die Graphiken bekommen gerade dadurch einen besonderen Reiz, Spannung, als kämpften Prinzipien gegeneinander. Der Zufall aber blieb der entscheidende Impuls. Man kann nicht voraus bestimmen, wie eine Graphik im Endzustand aussehen wird, ein Programm sich verändern wird. Eine neue Dimension hat die Monotonie aufgebrochen.

So entstehen phantastische Konstruktionen, wilde, einander überlagernde Linien, schwarze Flächen, die im Kontrast zu weichen, sinusförmigen Strukturen stehen, die Graphiken wirken nicht stelten fast bedrohend, angsteinflößend, dann wieder harmonisch bis zur Langeweile.

Man hatte auch bald ein theoretisches Konzept zur Hand. Die „generative Ästhetik”, die der deutsche Kunstmandarin Max Bense entwickelt hat und die er jahrelang präsentierte, als habe er der Weisheit letzten Schluß gefunden. Die Mathematik ist bei Bense Grundprinzip aller Künste:

„Die generative Ästhetik faßt als Theorie mathematische Schemata und technische Prozeduren zusammen, die ein kreative und eine realisierende Phase unterscheiden.” Auf die Computergraphik umgelegt, heißt das:- Aufstellen eines Programms und dessen Umsetzung durch den Computer.

„Kunst soll in das naturwissenschaftliche Weltbild eingebaut werden”, sagt der Künstler und Kunst theoretiker Herbert W. Franke, aber das ist nur einer von vielen Kernsätzen, die nichts anderes sind als Plattitüden, die am Kern der Sache Vorbeigehen.

Ist Computerkunst als Kunst zu bezeichnen? Wie weit sprengt sie den Rahmen eines traditionellen Kunstbe- .griffes? Ist hier wirklich fundamental Neues geschaffen worden? Oder ist das Ganze nur eine weitere formale Spielerei, die an andere, längst akzeptierte Praktiken anschließt?

In Amerika gab es schon in den dreißiger Jahren eine „systematisch konstruktive” Kunst: Strukturen von Linien und geometrischen Elementen, die streng nach mathematischen Formeln aufgebaut sind. Bilder, die den Computergraphiken aufs Haar gleichen. Die man oft gar nicht von ihnen unterscheiden kann.

Fundamental neu ist das „Ausführungsorgan”. Statt der Hand des Künstlers eine Maschine, die vom Künstler programmiert wird. Das Moment des Zufalls kommt hinzu. Ein Moment, das zwar die Spannung in den Bildern erhöht, deren Expressivität steigert, aber auch die Frage nach dem Stellenwert der Computerkunst noch einmal aufwirft. Denn auf dieses Moment hat der Künstler und Programmierer keinen Einfluß mehr. Das Bild wird gewissermaßen von alleine fertig. Ästhetische Momente verselbständigen sich.

Als 1969 zehn nahmhafte Künstler, die in ihren Arbeiten jene systematisch konstruktive Kunst verfolgen, befragt wurden, ob die einen Teil ihrer Arbeit auch vom Computer ausführen lassen könnten, antworteten neun darauf mit ja. Sie konnten sich auch nicht länger dagegen sträuben, - wollten sie nicht leugnen, daß sie „eine ganz neue Produktionsweise von Kunst erschlossen” hätten.

Damit scheint eine „Kunstrevolution” bestätigt. Noch nie hat Technologie so vehement und bestimmend in die Fertigung von Kunst eingegriffen. Der Urbild des Künstlers als Individualist wurde durch eine Maschine ersetzt, die seine Befehle brav, folgsam und immer präziser ausführt. Die Entfremdung des Produzenten von seinem Produkt scheint perfekt. Kann da noch „Kunst” entstehen? Gewiß, die Graphiken gefallen, wurden zeitweise in den USA von einer gigantischen Verkaufsmaschinerie hochgeputscht. Ist das aber Kunst? Oder technische Spielerei, bei der Zufall eine immer größere Rolle spielt? Sind die naturalistischen Porträts, die man mit dem Computer simulieren kann, mechanische Abbildungen oder mehr? Wo bleibt die schöpferische Leistung des Künstlers? Fragen, vor denen jede Kunstkritik kapitulieren muß. Man kann sich aber fragen, welche neue Qualität die Computerkunst gebracht hat.

Fundamental neu ist an ihr nichts. Weder der Produktionsprozeß noch das Produkt. Daß Künstler Programme ihrer projektierten Arbeit liefern, ist bekannt. Daß bei der Realisierung des Kunstwerkes Änderungen auftreten, ebenfalls, und das Moment des Zufalls in der Computergraphik kann man - auf seinem niedrigeren, mechanischen Niveau - mit dem technischen Experiment in der „konventionellen” Kunst vergleichen. Jede ästhetische Theorie hat immer wieder betont, daß ein mathematisch genau strukturiertes Kunstwerk kein gutes Kunstwerk sein könne. Daß in allen großen Werken unlogische, zufällige, irrationale Momente eine große Rolle spielen.

Die Computerkunst zeigt anderseits überdeutlich, daß industrielle und technische Errungenschaften schon immer Eingang in die Kunst gefunden haben und daß Kunst, die auf der Höhe ihrer Zeit sein will, sich diesen Errungenschaften nie entziehen kann. Das gilt für die Verwendung des Schweißgerätes in der Metallplastik ebensp wie für die Nutzung der Bronzegußtechnik in der Ähtike Ösr leicht das raffinierteste und präziseste Ausführungsorgan, das künstlerische Produktion bis jetzt verwendet hat.

Trotzdem ist man versucht, dem Computer eine künstlerische Leistung zuzuschieben. Den Traum von einem vom Menschen geschaffenen, selbständig denkenden, kreativen Wesen zu verwirklichen. Deshalb fasziniert Computergraphik auch so. Weil ein Rest von Mythos haften bleibt, ein Rest des nicht Erklärbaren. Deshalb hat man in allen Diskussionen um diese Kunstform auch den Zufall so sehr betont.

So gerechtfertigt auch die Theorie eines Bense sein kann, so viele wichtige Momente er erkannt hat, der Versuch, „Kunst in die Naturwissenschaften heimzüholen”, kann nie gelingen, weil Kunst nicht aus der Naturwissenschaft hervorgegangen ist. Wer von einer solchen „Heimholung” spricht, postuliert einen gefährlichen Absolutheitsanspruch der Naturwissenschaft. Die Überfrachtung mit Theorie hat der Computerkunst bestimmt nicht gut “getan Weil’ sie rdadürfch > fetischiert wurde, “als etwas angepriesen wurde, was sie nicht ist: Revolution der Kunst oder eines Kunstbegriffes. Deshalb hat man auch nie Kriterien zur Beurteilung von Computerkunst aufstellen können, außer, daß man die Bilder schön, faszinierend oder interessant findet. Nicht die Technologie hat eine neue Kunst geboren, sondern die Kunst hat sich bei ihren Versuchen einer formalen Ausweitung einer neuen Technologie bedient.

Der Boom ist abgeklungen, eine Mode vorbei. Computerkunst ist nicht mehr „in”, weil man überhaupt vom mathematischen Experiment in der Kunst abgekommen ist. Geblieben ist der Mythos einer mathematischen Zufallskunst.

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