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Schönheit und Verfall

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Schlösser und Burgen sind nicht nur schöne Kulissen, sondern auch Zeugen hoher Kultur. Kann man sie im Geiste unserer heutigen Lebensform nutzbar machen?

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Schlösser und Burgen sind nicht nur schöne Kulissen, sondern auch Zeugen hoher Kultur. Kann man sie im Geiste unserer heutigen Lebensform nutzbar machen?

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Ein junger Oberleutnant, so wird uns aus dem Ersten Weltkrieg berichtet, stand mit seiner Haubitzenbatterie wenige hundert Meter vor einem prachtvollen Barockschloß in Galizien. Damals gab es noch die weitausgreifende Österreichisch-Ungarische Monarchie. Franz Joseph I. war nicht nur Kaiser von Österreich, sondern nach der offiziellen Nomenklatur auch „König von Ungarn und Böhmen, König von Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien, usw., usw.“ Seine Armee aber stand im Kampf gegen das gewaltige Rußland, dessen Truppen bereits über die Landesgrenzen gedrungen waren.

„In dem Schloß vor uns“, sagte der junge Batteriechef zu seinem Kameraden, und er sagte es mit einen gewissen Nonchalance, „schau, dort sitzt ein russischer Stab, den wir ausräuchern müssen. Die schönen Pappeln! Der liebe Brunnen. Es hilft nichts. Es war unser Stammschloß … hoffentlich muß es nicht lange leiden.“ Und dann rief er mit überlauter Stimme ins Feldtelephon: „Direktion Planquadrat X., alle Rohre Feuer!“ und hob den Arm vor seine Augen.

Schlösser und Burgen üben nach wie vor einen eigentümlichen Reiz auf den Beschauer aus, der zumal Burgen unwiederbringliche Romantik unterlegt. Kein Zweifel, daß eine malerische Ruine im Efeuschmuck auf verwittertem Felsen, zu dessen Füßen blaue und gelbe Blumen sprießen, eine ästhetische Freude ist. Darüber wird gern vergessen, wie martialisch der Zweck solcher fester Häuser war, wieviel Blut hier geflossen ist und wer in den tiefen, fensterlosen Verliesen — das Wort deutet unendliche Verlassenheit an - verschmachtet ist.

Heute ist so eine Burg die ideale Kulisse für ländliche Romanzen. Ist sie aber noch erhalten und bewohnt, bedeutet sie für den Besitzer alles andere als einen Ort billigen Vergnügens. Sie fordert ihn durch ihr Alter, ihre Gebrechlichkeit, die Ungunst der Hygiene, das Fehlen moderner Installationen; fast ununterbrochen sind Dachreparaturen nötig, die Fensteröffnungen sind viel zu klein, die Stiegen knarren, es fehlt allerorten an Komfort, und dennoch werden diese unpraktischen, umständlichen, dunkel-kühlen Behausungen von ihren Besitzern unsinnig geliebt.

Der Außenstehende beneidet die Bewohner, läßt sich gern von

einer Weißen Frau erzählen, die nächtens umgeht, oder einem Geköpften, der mit Ketten rasselt. Und wenn man diese Vorstellung auch in das Reich der Phantasie verbannt, so bleibt doch eine ganz eigene Atmosphäre, der sich keiner entziehen kann.

Jahrhunderte flüstern aus dem Gemäuer, die Stimmen längst Verstorbener haben ein unhörbares Echo hinterlassen, man raunt sich schaudererregende Legenden zu wie die von der Gräfin Nä- dasdy, die im Blute ihrer leibeigenen Mädchen gebadet hatte. Und welche Poesie strömt aus dem blaßblauen Plätschern des Brunnens im Hofe!

Kaum mehr dem Wehrgedanken verpflichtet sind hingegen Schlösser. Ihre Aufgabe war die Repräsentation, die Lebensverschönerung, vor allem auch die Gastlichkeit. Schloßbesitzer besuchten einander ununterbrochen, was den oft in weiter Einsamkeit gelegenen Häusern fröhliches Leben verlieh, Geselligkeit blühte, man kannte einander von klein auf.

Die umliegenden Güter warfen genügend ab, um die luxuriösen Häuser zu erhalten, allerdings vorwiegend in den Agrarländern wie Böhmen und Ungarn, wogegen die innerösterreichischen Schlösser weitgehend auf Zuschüsse von dort angewiesen waren. Das aber ist ein Grund, weshalb heute vielen Schloßbesitzern in Österreich das Leben schwerfällt. Die Landwirtschaften sind meist zu klein, um die unter neuen Soziallasten gestiegenen Kosten zu tragen.

Ein riesiger, zimmerreicher Bau wie ein Schloß verlangt viel Personal. Personal ist aber nicht nur unerschwinglich geworden, es findet sich auch kaum mehr, zumal für ein einsames Schloß, und selbst das verlockende Angebot von Balkon- und Badezimmern, Farbfernsehern und einer auf ein Minimum reduzierten Arbeitszeit kann nur schwer moderne Menschen zu Dienstleistungen veranlassen, die ehemals gern erfüllt wurden und meist zu einem patriarchalischem Verhältnis zwi

schen Personnage und Herrschaft geführt hatten.

Wobei nicht außer acht zu lassen ist, daß offensichtlich die allgemeine Auffassung von Pflicht und Leistung anders gewesen ist, daß die Menschen noch im ehrlichen Dienen eine Erfüllung sahen und ihnen offenbar der Umgang mit Schloßbesitzern nicht bloß Neidgefühle erweckte. Die allgemeine Lebenssicht war eine andere, auch bei den bevorzugten Herrschaften selbst, während jetzige Schloßherren nichts mehr von dem ehemaligen strengen Lebensstil wissen wollen.

Natürlich führte dergleichen manchmal ins Extrem, auch gab es die bekannten „mauvais su- jets“, die justament das Unziemliche taten, aber das waren die Ausnahmen. Unverbrüchlich war der Ehrenkodex. Das ist nun alles anders geworden, wird aber in den Familien, die auf sich halten, in Maßen immer noch geübt: was das Leben gewiß nicht leichter macht, wenn es gilt, sich dem modernen Dasein zu stellen, dessen Moralgrundsätze lockerer geworden sind; und ohne das Polster der sicheren Einkünfte, die ehemals aus dem jetzt verlorenen Landbesitz in Ungarn oder Böhmen kamen.

Manche Schloßbesitzer, wie die Khevenhueller oder Waldbott, haben den Weg eingeschlagen, ihr Haus dem Staat für Ausstellungen zur Verfügung zu stellen, andere, wie die Kinsky oder Collore- do, haben ihre Galerien dem Publikum geöffnet. Eine beliebte Methode, die noch manches von der ehemaligen gastfreundlichen Tradition in sich trägt, ist die Umwandlung in Gastschlösser v (z. B.

Sieghartstein), deren es schon sehr viele gibt. Wobei ihre Besitzer naturgemäß heute nicht nur aus alten Familien stammen, da Schloßbesitz und das Flair, das ein solcher gibt, immer schon Menschen angezogen hat. Manche Schloßbesitzer helfen sich unter den erschwerten Umständen mit der Einrichtung von Reitställen für die Besucher, andere ermöglichen ihnen die Jagd oder den Fischfang, und nicht wenige sind es, die es mit der Kultur halten, so Greillenstein oder Grafenegg.

Ein Schloß muß, um vor Ämtern zu bestehen, zu 75 Prozent wirtschaftlichen Zwecken dienstbar sein. Denn der Staat schmückt sich zwar gern mit ihnen, aber im Grunde lehnt er sie und ihre Besitzer ab. Vielleicht, so denken wir, sorgt er sich wegen des fortschreitenden Verfalls der vorhandenen Ruinen und will für die Zukunft vorbauen, wie das Beispiel von Schloßhof im Marchfeld zeigt, welches zuerst den Habsburgern enteignet und dann dem Verfall anheimgegeben wurde.

Der Staat schmückt sich natürlich gern mit Schlössern, aber er macht keine Anstrengungen, zu ihrem Bestand beizutragen. Nach einer Umfrage ist die öffentliche Meinung zu 47 Prozent für eine Erhaltung der wertvollen Bauten, besteht aber darauf, daß sie für Besucher zugänglich sein müssen. Werden Führungen, womöglich durch den Burgherrn selbst, veranstaltet, so kann sogar ein Gewinn herausschauen, an dem dann natürlich das Steueramt partizipiert.

Einmal hat ein Spötter gesagt, der Staat sei ja gar nicht an der Revitalisierung von Burgen und Schlössern interessiert, sorge er sich doch wegen des voraussehbaren Einsturzes vieler Ruinen schon heute um Nachwuchs. Das also, nein, stimmt nicht. Der Staat hat eine ganze Anzahl teils baufälliger, teils gefährdeter Objekte erworben oder langfristig gemietet, glänzend wiederhergestellt und einem kulturellen Zweck zugeführt.

In ganz Österreich gibt es rund 1700 Burgen, Schlösser und Ruinen; sie gehören einfach zur Landschaft, aber leider sind — nach einer Veröffentlichung des Burgenvereins - 30 Prozent davon über kurz oder lang vom Verfall bedroht. Umso erfreulicher, daß sich immer wieder mutige Einzelgänger, oft Künstler, finden, die mit persönlichem „hündischen“ Einsatz an der Wiederherstellung eines der wegen der zu erwartenden Kosten oft recht billigen Objekte arbeiten. Österreich ist ein Land der Improvisation, die mit wahrer Kunst ausgeübt wird und mitunter überraschende Lösungen bringt.

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