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Schon bald der nächste Coup?

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Am 29. Juli, auf den Tag genau neun Jahre nachdem er selbst durch einen Militärputsch an die Macht gekommen war, wurde Nigerias Staatschef, General Yakubu Gowon, von seiner putschenden Armee gestürzt. Gowon befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Lande. Er war zwei Tage zuvor zur Teilnahme an der Gipfelkonferenz der Organisation für Afrikanische Einheit nach Kampala geflogen.

In Lagos hatten in der Nacht vom

28. auf 29. Juli meuternde Offiziere das Gebäude der „Nigerian Broadca-sting Corporation“, den internationalen Flughafen Ikeja, die Hauptpost und die Zentralbahn besetzt. Sämtliche Nachrichtenverbindungen wurden unterbrochen. Der Komimandant der Garde, Oberst „Joe“ Garba, der als enger Vertrauter Gowons gegolten hatte, war kurz zuvor in das Lager der Putschisten übergegangen, und damit waren die Dodan Bar-racks, Heereshauptquärtier und Residenz General Gowons, in ihren Händen. Die Aktion lief reibungslos und nach einem von langer Hand vorbereiteten Plan ab. Bis zum Mittag des

29. Juli war sie auch in den entferntesten Teilen des Landes erfolgreich und vor allem ohne Blutvergießen abgeschlossen.

Die Bevölkerung der Hauptstadt erfuhr erst um 6 Uhr früh über den Rundfunk, was geschehen war. Anstatt der gewohnten Frühnachrichten ertönte die Stimme von Oberst Garba, der knapp und lakonisch mitteilte, daß sich die nigerianische Armee infolge der Ereignisse der letzten Monate entschlossen habe, einen Wechsel in der Führung der Militärregierung durchzuführen. Der 29. Juli wurde zum arbeitsfreien Tag erklärt und die Bevölkerung aufgerufen, Ruhe und Ordnung au bewahren. Die Grenzen und Flughäfen seien bis auf Widerruf gesperrt und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Der Rundfunk sendete dann den ganzen Tag über Marschmusik, nur halbstündlich durch immer wieder dieselbe Erklärung von Oberst Garba unterbrochen.

Das sonst so hektische Lagos war wie ausgestorben. Es lag eine Stimmung der Unsicherheit und des ängstlichen Abwartens über der Stadt. Die Spannung löste sich erst um 20 Uhr, als über Radio Nigeria die Namen des neuen Staatsoberhaupts und Oberbefehlshabers der Streitkräfte sowie der neuen militärischen Führungsspitze bekanntgegeben wurden. Die Militärgouverneure der 12 Bundesstaaten sowie alle zivilen Bundesminister wurden ihrer Ämter für enthoben erklärt.

Der neue starke Mann in Nigeria ist Brigadier Murtala Ramat Mohammed, 1938 in Kano, der Hauptstadt des nördlichsten Bundesstaates geboren, ein Hussa und strenger Muslim, militärische Ausbildung in Sandhurst, diente wie Gowon im nigerianischen UN-Kontingent im Kongo. Durch seine Position als Kommandant der Nachtrichtentruppe und als Minister für Kommunikationswesen hatte er eine strategische Stellung in

Armee und Verwaltung inne. Dem aus überwiegend nordstämmigen Offizieren zusammengesetzten neuen Obersten Militärrat gehört unter anderen auch Oberst Garba an, der als voraussichtlicher neuer Außenminister gilt. Neuer Generalstabschef ist Brigadier Obasanjo, bisher Kommandant der Pioniertruppe und Bundesminister für öffentliche Bauten. Stabschef der Armee ist Brigadier Danjuma, der, wie Mohammed selbst, bereits im Coup vom Juli 1966 eine führende Rolle gespielt hatte.

In einer über alle Rundfunk- und Fernsehstationen des Landes übertragenen Rede gab Murtala Mohammed am nächsten Tag die Gründe für den Staatstreich bekannt. Er sprach von Disziplinlosigkeit, Korruption, Nichtachtung traditioneller Institutionen und Amtsmißbrauch, wodurch das Land an den Rand des Chaos getrieben worden sei. Gowon persönlich warf er vor, er habe den Kontakt zu seiner Armee und zum Volk verloren und sei dem Rat seiner engsten Mitarbeiter gegenüber taub gewesen.

Die Struktur der Regierung wurde nur insofern geändert, daß neben dem Obersten Militärrat und dem Bundesexekutivrat (Bundesministerien) nun auch ein „Nationaler Rat der Bundesstaaten“ gebildet wurde. Dies könnte auf ein größeres Gewicht des föderalistischen Elements hindeuten. I jr

Zu den von Mohammed weiters verfügten Maßnahmen gehören unter anderem die Verschiebung des „Weltfestivals für Afrikanische Kultur und Kunst“, das im November in Nigeria hätte stattfinden sollen und mit dessen Vorbereitungen man hoffnungslos in Verzug war. Das Festival war Zielscheibe schwerer Kritik weiter Kreise der Bevölkerung gewesen, die der Ansicht waren, das Land könne es sich nicht leisten, für ein Prestigeprojekt 500 Millionen Naira (2 Milliarden DM) auszugeben. Ebenso positiv wurde Mohammeds Verfügung kommentiert, durch welche die Ergebnissie der mit großem Aufwand durchgeführten, aber sehr umstrittenen Volkszählung des Jahres 1973 für ungültig erklärt wurden. Auf Grund dieser Volkszählung hätte Nigeria eine Bevölkerungszahl von 80 Millionen, was sicher zu hoch gegriffen ist.

Der neue Staatschef sicherte Ausländern sowie ausländischem Kapital und Investitionen ausdrücklich den Schutz der Regierung zu und garantierte, daß alle von der gestürzten Regierung eingegangenen Verpflichr tungen und Verträge vom neuen Regime honoriert würden.

Bereits zwei Tage nach dem Putsch wurde die Ausgangssperre wieder aufgehoben. Nach weiteren zwei Tagen, am 2. August, wurden auch die Grenzen wieder geöffnet und der internatiorue Flugverkehr wieder aufgenommen. Die infolge der politischen Ereignisse in Nigeria gestrandeten rund 2000 Passagiere konnten durch Sonderflüge der internationalen Fluggesellschaften relativ rasch ausgeflogen werden.

Die neuen Machthaber scheinen fest im Sattel zu sitzen. Die Bevölkerang hat in ihrer überwiegenden Mehrheit den Putsch — der erste in der Geschichte der Republik Nigeria, der völlig unblutig verlief — begrüßt, wenn auch nicht bejubelt.

Gowon hatte tatsächlich schwere Fehler begangen. Der lange versprochene Wechsel der Militärgouverneure, von denen jedermann wußte, daß sie sich in den neun Jahren des Gowon-Regimes immens bereichert haltten, war von ihm immer wieder hinausgeschoben worden. Eine in Lagos erscheinende Tageszeitung beschrieb das gestürzte Regime treffend als „Kleptokratie“. Vieles ist tatsächlich faul im Land: Die Verstopfung des Hafens von Lagos, vor dem zur Zeit eine stattliche Armada von 280 Schiffen meist vier Monate auf Entladung warten muß. Die Teuerung und die galoppierende Inflation. Die chronische Benzinknappheit, in einem Land, das der sietot-größte Erdölproduzent der Welt ist. Die chaotischen Verkehrsverhältnisse in Lagos, die einen normalen Geschäftsgang unmöglich machen. Die schlechte Stromversorgung. Das völlig unzureichende Telephonnetz. Die größtenteils noch fehlende Infrastruktur. Das sind nur einige der Dinge, die den Unmut der Nigerianer vor allem in den letzten Monaten hatten wachsen lassen, und die die Wirtschaft dieses ölreichen afrikanischen Riesen zu lähmen drohen. Dazu kommt die Korruption, die in Nigeria ein Ausmaß erreicht hat, das kaum anderswo seinesgleichen findet.

Nigeria ist ein reiches Land, reich an Rohstoffen und reich an Menschenmaterial. Die Nigerianer sind ein begabtes und geschäftstüchtiges Volk. Der heuer jm Mai veröffentlichte dritte Fünf jahresplan sieht Ausgaben in der Höhe von 30 Milliarden Naira £20 Milliarden DM) vor, tti«'^»»iif^. sen ambitionierten Entwicklungsplan auch zur Gänze selbst zu finanzieren.

Zwei grundsätzliche Probleme machen jedoch diesen Riesen so verwundbar. Das ist erstens der Umstand, daß der ölreichturn zu plötzlich kam, und der Aufbau vor allem der nötigen,Infrastruktur nicht ebenso plötzlich möglieh ist. Und das ist zweitens das tiefwurzelnde Problem der ethnischen und kulturellen Unterschiede zwischen den drei wichtigsten Völkern, aus denen dieser Bundesstaat zusammengesetzt ist: Zwischen den konservativ-feudalen mohammedanischen Haussa im dichtbevölkerten Norden, den geschäftstüchtigen städtischen, heidnisch-christlichen Yorulbas und den europäischen Einflüssen gegenüber am weitesten aufgeschlossenen Ibos im Süden. Der Gegensatz zwischen diesen drei großen Volksgruppen und die Urangst einer jeden, von der anderen dominiert zu werden, lag und liegt der unruhigen Geschichte dieses Landes stets zugrunde; eines Landes, dessen

Grenzen, wie fast überall in Afrika, von den europäischen Kolonialherren Ende des vorigen Jahrhunderts nur auf Grund eines imperialistischen Machtkalküls gezogen worden waren, ohne Rücksicht auf vorgefundene Traditionen, Kulturen und Religionen.

Dieser Gegensatz war es, der diese ehemals britische Kolonie, die so gründlich auf die Unabhängigkeit vorbereitet schien, schon kurz nach Erlangung der Selbständigkeit immer wieder auf Zerreißproben stellte.

Der jüngste Coup war der dritte, seit Nigeria im Oktober 1960 unabhängig geworden war. Der erste Putsch fand im Jänner 1966 statt. Damals wurden Sir Abubakar Tafa-wa Balewa, Premierminister der Föderation, Chief Akintole, Premier der West-Region, der Sultan von So-koto, Premier der Nord-Region, sowie zahlreiche hohe Offiziere ermordet. Die Opfer waren sogenannte „Northerners“, Angehörige des Stammes der Haussa oder diesem verwandter Stämme. Die Verschwörer waren Ibo-Majore. Diese furchtbaren Ausschreitungen, brachten das Endender längst diskreditierten Zi-vilteglerürig'' in Nigeria. General' Ironsi, ein sehr fähiger Offizier mit sehr weng politischer Begabung, übernahm damals die Macht im Staat. Ironsis Militärregime. hielt sich allerdings nur turbulente 200 Tage.

War der Jänner-Coup ein Ibo-Coup gewesen, so folgte bereits am 29. Juli desselben Jahres der Gegenschlag der Haussa beziehungsweise der „Northerners“. Dieser zweite Staatsstreich verlief um nichts weniger blutig als der erste. Die Haussas machten nun Jagd auf Ibos. Ironsi wurde von dem heutigen Stabschef der Armee und damaligen Major Danjuma verhaftet und erschossen. Einer der starken Männer des Juli-putsches 1966 war — ebenso wie diesmal — Murtala Mohammed. Mohammed drängte 1966 auf ein Ausscheiden des Nordens aus der Föderation. Sein gemäßigter Gegenspieler, der damalige Oberst Gowon, konnte jedoch schließlich die Mehrheit seiner Offizierskollegen für die Erhaltung der Einheit der Föderation gewinnen und wurde Chef der neuen Militärregierung. Gowon war damals auch insofern ein Kompromißkandidat, als er zwar „Norther-ner“ aber nicht Haussa war, und daher auch für die anderen Stämme dieses Vielvölkerstaates akzeptabel.

Die beiden Coups des Jahres 1966 waren bereits die erste Runde des Bürgerkrieges, der ein Jahr danach ausbrach und dessen Grausamkeit und Härte noch frisch im Gedächtnis der Weltöffentlichkeit ist.

Genau neun Jahre nach dem Juliputsch 1966, der Gowon an die Macht gebracht hatte, war nun diesmal Mohammed am Zug. Die Gefahr einer Sezession besteht heute nicht mehr, man hat bereits zu viel Gemeinsames. Vor allem wollen alle Gruppen am neuen ölreichtum teilhaben. Dennoch, auch diesem dritten Coup lag bis zu einem gewissen Grad jenes Urproblem der rivalisierenden Völker zugrunde. Er brachte ein noch stärkeres Übergewicht der „Northerners“ in der. Militärjunta.

Der Hauptgrund für den jüngsten Putsch dürfte allerdings darin liegen, daß neun Jahre, in denen das Team GÄMÄll^l^er.Mafchtlind damit 4äM^'r€ichl3^eßenii^^'d^iieI-len saß, einfach zu lang waren. Die jüngeren Offiziere wollten es ihren Vorgesetzten endlich gleichtun. Es bleibt daher abzuwarten, wie ernst es den heuen Machtbabern mit ihrer Forderung nach mehr Disziplin und Opferbereitschaft ist. Wieweit sie darüber hinaus inder Lage sein werden, die wirtschaftliche Paralyse des Landes aufzuhalten, das nun fast einen Zustand erreicht hat, in dem es mit seinen ölmilliarden nichts mehr anfangen kann, weil es an den grundlegenden infrastrukturellen Einrichtungen fehlt, und weil die Inflation das Geld in den Händen zerrinnen läßt Nigeria hätte das Potential, ein Brasilien Afrikas zu werden. Nur, wird es Murtala Mohammed gelingen, die großen und komplexen Probleme, die mit einer viel zu raschen Entwicklung verbunden sind — wie etwa die hoffnungslose Verstopfung des Hafens von Lagos — zu lösen? Wenn nicht, dann wird man wohl nicht lange auf den nächsten Coup warten müssen.

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