6802071-1971_39_13.jpg
Digital In Arbeit

Schon vor der Fahrt in den Tod…

Werbung
Werbung
Werbung

Das Buch, das 1928 erschien, bis heute hicht überholt wurde und nie überholt werden wird, enthält das Leben des Kronprinzen. Die Tragödie von Mayerling bildet nur den Schlußakkord und hier blieb der Weg für weitere Forschungen und Mutmaßungen offen. Professor Wandruszka verfolgt in dem einleitenden Kapitel „Das nur halb gelöste Rätsel“ eingehend und mit scharfsinniger Kritik die überreiche Literatur und die Ergebnisse der Forschung seit dem Erscheinen des Buches von Mitis. Er bietet eine Meisterleistung der Prägnanz in der Übersicht der Deutungen von Mayerling und zugleich eine psychologische Studie höchster Feinfühligkeit Sein Beitrag bedeutet den Abschluß und die Vollendung des von ihm herausgegebenen Werkes.

In der Erweckung der In Archivalien schlummernden Erinnerungen und Gedanken wird der Geschichtsforscher Mitis zum weitblickenden, die ideellen Kräfte politischen Lebens umspannenden Geschichtsschreiber und gestaltenden Künstler. Die Gabe der Intuition läßt ihn schauen, daß das Leben des Kronprinzen die wirkliche Tragödie, das Drama von Mayerling nur die abschließende Szene bildet, die darum nicht weniger erschütternd wirkt.

Jener Kronprinz Rudolf, dessen Lebensbild im glänzenden Aufstieg das Pfand einer glücklichen Zukunft zu bieten schien, hatte schon geendet, bevor er die Fahrt zum Tod in den Wienerwald antrat. Dem Selbstmord ging Selbsttötung voraus. In diesem von Th. G. Masaryk in seiner 1881 veröffentlichten Schrift „Der Selbstmord als soziale Massenerscheinung“ geschaffenen Begriff liegt der Schlüssel zu dem Geheimnis, das über Rudolfs Untergang liegt.

Zehn Monate nach der Geburt Rudolfs starb der Staatsmann, der die Monarchie durch die Gefahren des napoleonischen Weltumsturzes gesteuert und sie noch einmal zur Machthöhe erhoben hatte. Metternichs Glaube an Österreich war in der österreichischen Staatsidee verankert, deren wahres Wesen der große Kanzler erfaßt haben wollte. Die Generation des Kronprinzen hatte für Metternich und sein politisches Gebäude nichts mehr übrig und sah nur mehr die Flecken des Verputzes.

In die Kinderjahre des Kronprinzen fielen die Niederlagen von Magenta, Solferino und Königgrätz die gänzliche Verdrängung aus Italien, die Trennung vom großen deutschen Körper. Aber als Rudolf in das Alter trat, in dem sich die Augen füi die Politik öffnen, hatte sich die Monarchie aus ihrer Demütigung erhoben, es schien, als ginge sie aul dem Boden einer gesunden, breitere Massen befriedigenden, die Vorrechte der Krone wahrenden Verfassung im Lichte der neuen Aufgabe der östlichen Kulturmission einer langer Periode des Friedens und Wohlstandes entgegen.

Wie früh die rationalistische Geistesbewegung, welche die historischen Gebilde zum alten Eisen warf den Kronprinzen ergriff, zeigt eine Stelle aus den „Einzelnen Gedanken“, die er mit fünfzehn Jahren seinem Erzieher Joseph von Latour widmete: „Das Königtum steht da, eine mächtige Ruine, die von heute auf morgen bleibt, doch endlich sinken wird. Jahrhunderte hat es gehalten und solange das Volk sich blind leiten ließ, war es gut, doch jetzt ist seine Aufgabe zu Ende, frei Sind alle Menschen und beim nächsten Sturm sinkt die Ruine.“

Ein glühender Hasser der Feudalen und Klerikalen, sah Rudolf das Heil der Menschheit in einem kosmopolitischen Liberalismus, der Vereinigung aller Fortschrittsfreunde. Seine Gedanken über die Versöhnung der Deutschen und Tschechen, sein Verhältnis zu den ungarischen Staatsmännern waren auf den gleichen Klang gestimmt wie seine Verehrung für Gambetta, seine Abneigung gegen das preußische Junkertum und seine Abscheu vor dem reaktionären Rußland. Angesichts des locker werdenden Gefüges der Habsburgermonarchie verfocht der Thronerbe die These, daß das einigende Band aller Nationen des Reiches das Bekenntnis zum Liberalismus sei: dem reaktionären Block solle ein über das ganze Reich gespannter Bund der Liberalen gegenüberstehen.

Die Briefe und Schriften des Kronprinzen, die Mitis im Anhang veröffentlicht, enthüllen eine außerordentliche schriftstellerische Begabung, einen Schwung des Ausdrucks, der den Flug der Gedanken steigert und sich mit spielender Leichtigkeit über Denkfehler hinwegsetzt, wie es überhaupt Rudolfs Fehler war, nach Art begabter Dilettanten zu sehr an der Oberfläche zu bleiben, statt in die Tiefe zu dringen. Läßt sich auch oft die Abgeklärtheit der Gedanken,’ die volle Erfassung der Probleme vermissen, das Aufgehen im Thema ist so intensiv, daß die Darstellung der politischen Zustände, wie sie sich seiner Betrachtung bieten, mag sie auch zu Widerspruch anregen, nie zu fesseln aufhört. Die Ära Taaffe spiegelt sich im Geiste eines Mannes, dem die Politik nicht nur Beruf oder Beschäftigung, sondern das eigene Schicksal ist, der sich wie alle wirkliche Regentennaturen mit dem Staat identifiziert, dem immer das tua res agitur in den Ohren klingt. Wir können an der Hand des Autors die Eindrücke der inneren und äußeren Politik der dualistischen Monarchie, die fortwährenden Reibungen der vielfachen gegeneinander wirkenden, sich gegenseitig lähmenden, unentwirrbar verflochtenen Strömungen auf den empfänglichen Geist des Kronprinzen deutlich verfolgen. Wir vermögen Österreich-Ungarn durch das Temperament seiner Persönlichkeit sehen, die sich zugehörig fühlt den „echt liberal-fortschrittlichen und republikanisch fühlenden Menschen, die mehr oder weniger Kosmopoliten sind und die auf der ganzen Welt verstreut lebend doch ein und demselben Orden der Ritter vom Geiste angehören“.

Es war der Wunsch des Kaisers, dem Erben des Thrones eine moderne und fortschrittliche Erziehung zuteil werden zu lassen. Das Verständnis für die nationale Denkweise und die Kenntnis der geschichtlichen Wahrheit wurden die Angelpunkte des Erziehungsplanes. Anton Gindely, von dem man wußte, daß ihm „die historische Wahrheit über alles geht“ und Hermenegild Jireček wurden seine tschechischen Lehrer. Der Kaiser, der darauf Gewicht legte, daß der Thronerbe sich eine gute Aussprache des Tschechischen aneigne, teilte ihn 1878 dem in Prag stationierten Infanterieregiment Nr. 36 zu. Durch diesen Schritt, der schon vor dem Einsetzen der Versöhnungspolitik Taaffes erfolgte, sollte die Vernachlässigung der Prager Residenz gutgemacht und das Band zwischen der Dynastie und der tschechischen Nation gefestigt werden.

Rudolf brachte nach Böhmen, wohin ihn schon frühere Reisen geführt hatten, warme Sympathie für die Tschechen mit, die sich, unbekümmert um den kühlen Empfang der tschechischen Blätter, so steigerten, daß er in einem Testament aus dieser Zeit das Prager Regiment seine „eigentliche Heimat" nennt. In Prag hörte der junge Oberst Vorträge über slawische Philologie. Nach einjährigem Aufenthalt in Prag begann Rudolf serbokroatisch zu lernen. Ein Beweis seiner Achtung vor der politischen und kulturellen Persönlichkeit der Volksstämme liegt in seinem Plan, das „Kronprinzenwerk“ („Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild“) nach Nationalitäten zu gliedern, eine Einteilung, die der „staatsrechtlichen“ Gruppierung weichen mußte.

Die Gestalt Rudolfs hat durch Mitis den Weg aus der Sensation zur Forschung, aus dem Kolportageroman zur historischen Literatur gefunden.

DAS LEBEN DES KRONPRINZEN RUDOLF. Von Oskar Freiherr non Mitis. Neu herausgegeben und eingeleitet von Adam Wandruszka mit einem Anhang „Kronprinz Rudolf und Theodor Billroth“. Verlag Herold Wien-München. 447 Seiten, 17 Abbildungen. S 248.—.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung