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Schrei nach Gott

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Die Gottesfrage ist keine rein akademische Frage. Auch das Reden vom Tod Gottes oder seiner Abwesenheit im Leben des heutigen Menschen, wie auch davon, daß man nach Auschwitz nicht mehr an Gott glauben kann, berührt den Menschen in seiner Existenz. Das Fragen nach Gott kann zum Schrei nach Gott werden.

„Nach jüdischer Lehre gibt es drei Arten des Gebets, von denen jede jeweils stärker ist als die vorhergehende, Gebet, Geschrei und Tränen“ (Eugen Biser). Die Gottesfrage führt in Abgründe. Sie findet ihren stärksten Ausdruck im Schrei Jesu am Kreuz: .Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk 15]34). ,JSo sammelt sich im Tod dieses Leben zu einer einzigen, zum Äußersten gesteigerten Anfrage an Gott, an seine Gerechtigkeit, an seine Liebe, an seine Existenz“ (Eugen Biser).

Eugen Biser spricht vom „epochalen Nachhall“ dieses Schreis Jesu. Es gilt, diesem Nachhalt in unserer Zeit nachzuspüren.

Wo so existentiell nach Gott gefragt wird, dort kann nicht mit Auskünften und Argumenten geantwortet werden, dort muß der Gefragte selbst die Antwort geben. Und der Mensch muß ganz „Ohr“ werden, um diese Antwort vernehmen zu können. -Aber wie gibt Gott die Antwort, und wie kann sie der Mensch erfahren?

Eine Antwort Gottes zeigt sich im Leben Jesu. ,J.n den Tagen seines Erdenlebens richtete er unter Wehgeschrei und Tränen Bitten und Flehen an den, der ihn vom Tod erretten konnte. Und er ist erhört und aus seiner Todesnot errettet worden“ (Hebr 5,7).

Im Leben Jesu verschärft sich die Gottesfrage und wird auch für den zum Glauben Bereiten eine Antwort sichtbar. „Wenn nun der Notschrei des Gekreuzigten dadurch .erhört' wird, daß sich ihm Gott als der alle menschlichen Erwartungshorizonte übergreifende Inbegriff von Heil und Rettung erweist, kommt nunmehr auch ans Licht, wie die vom Menschen aufgeworfene Gottesfrage an ihr Ziel gelangt. Nach allem, was das Hebräerwort erkennen läßt, geschieht dies durch Fühlungen jenes letzten Grundes, von dem Gertrud von Le Fort in denkwürdigem Zusammenhang sagt, daß er ,kein Fallen mehr' zuläßt, weil er ein ewiger Grund ist, weil er ,ein göttlicher ist'“ (Eugen Biser).

Die Antwort ist Gott selbst, der sich in der Auferstehung Jesu stärker als Sünde, Leid, und Tod erweist und so zum Fundament des Vertrauens wird. Und so kann aus der Dissonanz des Schreis nach Gott eine Konsonanz erstehen.

Zwölfter Teil einer Serie zum Buch „Die glaubensgeschichtliche Wende“ von Eugen Biser.

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