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Schreiben ist Lebensform

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Die Ahnen der Kerchensteiner kamen aus Österreich; unweit von Budapest, in der erzbischöflichen Stadt an der Donau ließen sie sich nieder und gründeten eine Apotheke. Sie waren stets gute Steuerzahler, geehrte Bürger und glühende ungarische Patrioten, wie sich das einst gehörte. Der jüngste Sprößling der Familie lebt aber schon in einer Welt, in der die der Arbeit und den Mitmenschen entgegengebrachte Ehre schon längst sinnlos geworden ist. Es ist das Ungarn am Ende der sechziger Jahre, ein Stück desintegrierter Erde inmitten des Ostblocks, eine trostlose, jeden Tag mit neuen Entfremdungen drohende geistige Landschaft, an die sich der Held aber noch Jahrzehnte hindurch klammern wird, weil da noch die Großeltern da waren, jene Menschen, „die ewig leben werden, weil ich sie liebe". Um diese Liebe geht es letztlich in Istvan Elmers Buch „Franz Joseph Bitterwasser".

Der Autor, Ende dreißig, ist einer der wenigen ungarischen Schriftsteller, die es wagen, unzeitgemäß zu sein. Zu seinem Roman fällt ihm nichts ein („Da steht wohl alles, was ich sagen kann"), Interviews als Autor verabscheut er (als Redakteur der katholischen Wochenzeitung Uj Ember macht er aber einige immer wieder). Er will weder mit dem Leser noch mit dem Schreiben experimentieren und wünscht sich auch auf keinen „Ismus" in bezug auf den Stil und die Art des Schreibens festzulegen: „Schrei-. ben bedeutet vielleicht eine Lebensform; das Bewahren der persönlichen Integrität und Souveränität."

Das sind Prinzipien, mit denen man im gestrigen Literaturbetrieb Ungarns nicht sehr weit kam, es sei denn, man erhielt die Rolle von der ideologischen Abteilung des Zentralkomitees zugeteilt, freilich im entsprechenden Rahmen - das bedeutete so viel wie keine allgemein anerkannten Tabus anzurühren: Integrität und Souveränität zu wahren. Andere durften experimentierende Literatur betreiben, wieder anderen standen die Softpor-nographie oder gar die Nonsenslyrik zur Verfügung. Die Mehrheit dieser jungen Autoren wußte aber nicht einmal vom wohlkalkulierten Drahtziehen. Manche wunderten sich sogar darüber, erscheinen zu können.

Elmer gehörte nicht dazu; die sogenannten Freistellen in der Literatur waren jedesmal besetzt, wenn er sich meldete. Eine Probe also, auf die gestellt zu werden, ihm erspart geblieben ist. Dafür mußte er sich an die Zurückweisungen gewöhnen: die von anonymen Lektoren verfaßten Briefe zur „Beilage Manuskript" haben schon manchen Begabungen die Kraft genommen, gegen die Phalanx der institutionalisierten Nutzbeziehungen, Vetternwirtschaft und ideologischen Verfilzungen anzukämpfen. Elmer ließ sich nicht entmutigen; als Mitarbeiter einer Betriebszeitung schrieb er jahrelang neben Berichten auch Miniessays und wartete auf den Augenblick. Er kam, als die ersten Privatverlage im Zuge der Demokratisierung Ende der achtziger Jahre erschienen. Der Roman „Franz Joseph Bitterwasser" war in kurzer Zeit vergriffen -die Kritik nahm kaum Kenntnis davon. Die Fortsetzung folgt in Kürze.

Ungarn ist Europa

Von der auch in literarischen Kreisen nur allzu gern wiederholten Phrase von „Ungarns Weg nach Europa" hält er nichts („Wir sind Europa seit der Christianisierung vor tausend Jahren"); der Wiedereinsetzung zivilisatorischer Werte - wie der Ehre und des Anstandes - in ihre Rechte mißt er jedoch eine lebenswichtige Bedeutung bei. Identitätsprobleme hat er nicht, auch die Kerchensteiner-Ah-nen waren des ungarischen Königs Untertanen. Deutsch hat er jedenfalls erst später gelernt; Kinder christlicher Bürgerfamilien, die Deutsch konnten, mußten selbst bis zum Ende der fünfziger Jahre mit zusätzlichen Schwierigkeiten rechnen, insbesondere wenn sie auch noch einen deutschen Namen hatten.

Ein Konservativer? Auf jeden Fall einer, der in seiner Publizistik für die Erneuerung des Katholizismus in Ungarn eintritt und sowohl der dogmatischen Intoleranz als auch dem hypokritischen Relativismus den Kampf ansagt. Ein für viele unbequemer Autor. Und dazu auch noch ein begabter.

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