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Schriftsteller im Gefängnis"

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Vermutlich war Paul Tabori, ein ungarischer Schriftsteller, der in London lebte, das erste PEN -Mitglied, das auf die Idee verfiel, daß sich der PEN um Kollegen im Gefängnis annehmen solle: nämlich als Institution und über die Initiative des einzelnen hinaus, den die Charta hiezu ohnehin verpflichte. Er formulierte seine Vorstellungen in den späten fünfziger Jahren, und im Jahr 1958 setzte David Carver, damals der Internationale Generalsekretär, die erste, protokollierte Intervention zugunsten eines Schriftstellers. Es handelte sich um den eingekerkerten griechischen Schriftsteller Manolis Glezos, und das Protestschreiben wurde nach dem PEN-Kongreß von Frankfurt abgesandt.

Am 4. April i960 brachte.das PEN-Zentrum Suisse Romande einen Antrag ein, der zur Gründung des „Writers in Prison Committee" (WiPC) führte. Er lautete wie folgt:

„Im Hinblick auf die stetig anwachsenden Gefahren, von denen die Prinzipien der PEN -Charta bedroht werden, beauftragt die Internationale Exekutive das Internationale Sekretariat

1)nbsp;bei jedem Zusammentreten der Internationalen Exekutive und bei jeder Exekutivsitzung eines Internationalen Kongresses über die Lage von inhaftierten Schriftstellern in allen Ländern zu berichten, sofern entsprechende Informationen von den verschiedenen Zentren beigebracht werden,

2)nbsp;ein ständiges Komitee von drei Mitgliedern einzurichten (wovon eines der Internationale Generalsekretär sein muß), das in der Zeit zwischen den Sitzungen nach bestem Eigenermessen jenen Schriftstellern beistehen soll.

Anmerkung: Unter dem Begriff Schriftsteller im Gefängnis werden alle Schriftsteller verstanden, die sich wegen ihrer Schriften oder wegen ihrer Meinungen in Haft befinden, weil Freiheitsberaubung aus solchen Gründen eine Verletzung der Charta darstellt."

Diese Resolution wurde angenommen, und die ersten beiden Mitglieder, die gewählt wurden, um mit dem Internationalen Generalsekretär zusammenzuarbeiten, waren Storm Jameson (Englischer PEN) und Victor van Vriesland (Holländischer PEN).

Es mag nicht ohne Interesse sein, daß der Internationale PEN mit dieser Initiative zum Vorläufer von Amnesty International wurde. Am 4. Mai 1961 schrieben zwei der Begründer von Amnesty, die Rechtsanwälte und Schriftsteller Eric Baker und Peter Benenson, an David Carver und erläuterten ihr Projekt, mit dem sie „für Freiheit und Religion" eintreten wollten und baten um eine kurze „Beschreibung der jüngsten i Aktivitäten Ihrer Organisation, die wir gerne unseren Freunden in möglichster Ausführlichkeit zugänglich machen wollen".

Das Motto der Gruppe, die Amnesty International zur Existenz verhalf, schrieb Benenson, bestand in einem Wort von Voltaire: „Selbst wenn ich deine Ansichten verdamme, bin ich doch bereit, für dein Recht zu sterben, sie auszudrücken." In seinem Bericht über das Geleistete konnte David Carver unter anderem auch berichten, daß ein Appell des Internationalen PEN, unterstützt vom Griechischen PEN, dazu beigetragen habe, Manolis Glezos vor der Hinrichtung zu bewahren.

In den ersten Jahren war die Zahl der Schriftsteller, um die sich das WiPC annahm, nur klein. Dennoch gab es auch da schon die Frage nach einem Procedere, und im Jahr 1963 sagte Paul Tabori, daß das WiPC nicht in der Lage sei,.juristisch zu argumentieren, sonst müsse sich der PEN eine Rechtsabteilung zulegen. Man würde vielmehr auf Begnadigungen abzielen, auf Wiederaufnahmen und auf Verfahrensprüfungen in einem besseren Lichte.

Zur selben Zeit wurde ein System entwickelt, die nationalen PEN-Zen-tren besser in die Komitee-Arbeit einzubinden. Gewöhnlich wurde das jeweils in Frage kommende Zentrum befragt. Sodann erfolgten Proteste bei der Regierung, entweder durch das PEN -Zentrum des Landes direkt oder durch andere nationale Zentren; und schließlieh wurden die Proteste der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und auf das Schicksal der eingekerkerten Schriftsteller publizistisch eingegangen.

Im großen Ganzen wird auch heute noch so verfahren. Der Tonfall aller Kommunikationen ist eher sanft. Telegramme und Briefe an Staatsoberhäupter werden betont höflich formuliert, auch Schmeichelei ist nicht verpönt, und dahinter steht die Absicht, sich als vertrauenswürdig zu erweisen und von vorneherein den gegenseitigen guten Willen vorauszusetzen. Es wird peinlich darauf gesehen, den Empfänger zu keiner Abwehrhaltung zu provozieren, und zur publizistischen Anprangerung greift man nur als allerletztes, sehr selten angewandtes Mittel.

1964wurde Rosamund Lehman (Englischer PEN) Vorsitzende des WiPC und blieb bis 1971. Arthur Miller (US-PEN) wurde vom ursprünglichen Komitee kooptiert; 1967 wurde Paul Tabori zugewählt. Im selben Jahr wurde Peter Eistob (Englischer PEN) nach Nigerien entsandt, um nach dem Aufenthalt von Wole Soyinka zu forschen, der verhaftet worden war. Gerüchtweise hatte es geheißen, er sei gemartert worden, sei schwer krank oder gar umgekommen.

Eistob gelang es, den Behördendschungel zu durchdringen und das Engagement des PEN mit Deutlichkeit zu formulieren. Er konnte schließlich berichten, daß Wole Soyinka zwar immer noch im Gefängnis war, aber nunmehr einigermaßen menschlich behandelt wurde, und daß man zugesagt habe, ihn nach Beendigung des Bürgerkrieges zu entlassen. Eistob wurde daraufhin gehindert, Lagos zu verlassen, von einer nigerianischen Polizeisondertruppe verhaftet und tagelang verhört, bevor ihm die Ausreise gestattet wurde.

Obwohl Unternehmungen wie diese höchst selten direkt eine Entlassung bewirken, vermögen sie doch oft, wenigstens die Lebensumstände der Verhafteten zu verbessern. Und wenn die Behörden wissen, daß der PEN sich für einen Gefangenen interessiert hat, zögern sie mit Hinrichtungen und vermeiden es, jemand einfach durch Vernachlässigung zugrunde gehen zu lassen.

David Carver übernahm den Vorsitz des WiPC, als Rosamund Lehman 1971 zurücktrat, und nach dem Tod von Carver wurde Peter Eistob interimistischer Vorsitzender. Ihm folgte, kurzzeitig, Maurice Cranston (Englischer PEN) 1975. Der nächste Vorsitzende war Per Wästberg (Schwedischer PEN, gegenwärtig Präsident des Internationalen PEN), der sich immer sehr aktiv um das Schicksal eingekerkerter Schriftsteller angenommen halte und dem es gelungen war, das Schwedische PEN-Zentrum zu einem der schlagkräftigsten zu machen, wenn es um entsprechende Interventionen ging.

Nach dem Tod von Paul Tabori (1974) setzten sich besonders Hermann Kesten (Bundesdeutscher PEN), Bob den Doolard (Holländischer PEN), Peter Eistob zusammen mit Maurice Cranston (Englischer PEN) und Hilde Spiel (damals österreichischer PEN) in der Komitee-Arbeit ein.

Die Arbeit aber wuchs und wuchs. 1976 wurde Per Wästberg Herausgeber von „Dagens Nyheter", einer führenden schwedischen Zeitung, und mußte, infolge von Arbeitsüberlastung, seine Position im Komitee zurücklegen. An seine Stelle trat ein Mitglied des Englischen PEN, Michael Scammell.

Auf dem Kongreß von London (1976) regte Michael Scammell eine neue Form intensiver Zusammenarbeit zwischen den einzelnen PEN-Zentren und dem WiPC an, und schon im Jahr darauf hatten sich bei sechs nationalen Zentren weitgehend selbständig arbeitende, aber ständig in Konsultation mit der Londoner Zentrale befindliche WiP-Subkomitees gebildet. Gegenwärtig sind es 17 Zentren, die ihre Mitarbeit in dieser Organisationsform ausüben und 32 Gefangene ständig betreuen; abgesehen von den verschieden-sen Einzelinterventionen.

Die Vorsitzende des österreichischen Subkomitees ist Stella von Musu-lin, federführend sind weiters, ex officio, der Präsident des österreichischen PEN -Clubs, Erik G. Wickenburg, und Peter von Tramin, Delegierter des österreichischen PEN-Zentrums beim Internationalen PEN.

Ständig betreut werden die argentinischen Schriftsteller Horacio Ciafardini und Guillermo Alfieri; letzterer wurde mittlerweile in Hausarrest entlassen, hat aber noch immer Berufsverbot und bringt seine Familie und sich als Kinobilleteur fort. Ciafardini sitzt, trotz Freispruchs, seit vier Jahren in Beugehaft ein, weil er es ablehnt, sich ins Ausland abschieben zu lassen; er habe sich nichts vorzuwerfen, sondern sei nur für die demokratischen Grund- und Menschenrechte eingetreten.

Da er in Rawson, Patagonien, untergebracht ist, gehen die dringendsten Bemühungen dahin, seinen Transfer in ein günstiger gelegenes Gefängnis zu erwirken, weil ihn seine Familie infolge der gewaltigen Distanzen und der damit verbundenen Reisekosten seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr aufsuchen konnte.

Der österreichische PEN konnte, zusammen mit dem Israelischen PEN, den russischen Schriftsteller Mikhail Kheifets betreuen und hatte die große Freude, ihn, nach endlich erwirkter Ausreise, auf dem Flughafen Wien-Schwechat vor seiner Weiterreise nach Israel begrüßen zu können.

Die dringendsten Fälle im Augenblick sind aber die des tschechischen Schriftstellers und Bürgerrechtskämpfers Jaromir Savrda, der schwerkrank im Gefängnis von Ostrov einsitzt und jener der gleichfalls schwerkranken tschechischen Journalistin Otta Bedna-rova, die 1978 das Komitee zur Verteidigung zu Unrecht Verfolgter begründet hat und im Mai 1979 verhaftet wurde. Sie wird im Gefängnis von Opava festgehalten.

In beiden Fällen besteht akute Lebensgefahr, weil weder in der Anstalt von Ostrov noch in jener von Opava die erforderliche Pflege, Diät und Betreuung gewährleistet ist; vielmehr wird die Bednarova als Näherin eingesetzt. Bis jetzt sind alle Bemühungen und Appelle erfolglos geblieben, und es steht zu befürchten, daß sich beide Fälle demnächst „von selber" erledigen werden.

Am 9. Mai 1980 wurde auf der Internationalen PEN-Konferenz von Bled ein Antrag des'französischen Zentrums einstimmig angenommen, daß jedes Zentrum einmal im Jahr, nach Möglichkeit am ersten Donnerstag im Oktober, den „Tag des Schriftstellers im Gefängnis" begehen solle.

Der österreichische PEN-Club begeht diesen Tag am 21. Oktober 1980 durch eine Lesung von Literatur gefangener Schriftsteller in Anwesenheit des Generalsekretärs des Internationalen PEN, Peter Eistob (Concordia, 1010 Wien, Bankgasse 8,17 Uhr).

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