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Schriftstellerleben

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Über etwas zu schreiben - was bedeutet das? Nichts. Eine Menge Eseleien, die Einheit von Inhalt und Form, Gottesbeweise, gesellschaftliche Entwicklungen, Macht über die Natur, einen Stempel der Gewerkschaft. Der Schriftsteller mußte über Hrabal schreiben. Bohumil Hrabal, ein Tscheche, fünfundsiebzig Jahre alt. Schreibt Prosa. Er hat einen Namen! Er ist der weltliche Statthalter von Hasek. Zahlen, die größer als fünfzig und durch fünf dividierbar sind, und so eine ist die Fünfundsiebzig, lösen in Literaten eine merkwürdige Manie aus, man könnte sagen, daß sie dann betrunken sind, und gegen ihre mit aller Sicherheit begründeten Gewissensbisse setzen sie sich an die Abfassung beruhigender, vehementer, feierlicher Schriften oder überreden gewitzt andere dazu.

Eine niveaulose Versuchung ist keine Versuchung. Die wirkliche Versuchung ist erstklassig und auf den Körper zugeschnitten. Sie ist eine Herausforderung, eine Kraftprobe, auf die Achtung vor sich selbst zielt sie ab und auf asketische (meist verdrängte) Sehnsüchte; eine gute Erfindung. Kurz gesagt, der Schriftsteller hielt Bohumil Hrabal für einen Giganten. Ein Ungar zu sein beziehungsweise irgend so ein Ost-, Mitteleuropäer, ein mittelöstlicher Europäer zu sein, ist einem landläufigen Scherz zufolge: ein Pech. Dieser Hrabal aber sagt, dachte der Schriftsteller, daß es nicht so, daß es kein Pech sei, sondern eine Tragödie, hier geboren zu sein, ist eine Tragödie, sogar mehr als das: eine Komödie. Ein Drama ist es also. Hinzufügen möchte ich, daß es sich hier um das gleiche Drama handelt, wie sonst überall auf der Welt, aber um das zu verstehen, gibt es hier bessere Bedingungen, die Bedingungen sind höflicher, und unablässig bringen sie einem alles in Erinnerung. Daher liegt die Donau in der Nähe des Himmels. Von der Beziehung zwischen Beobachter und Beobachteten möchte ich vorläufig noch absehen... Und entsprechend will ich einstweilen auch von dem latenten mitteleuropäischen Hochmut absehen... Wieso denn in der Nähe des Himmels! ? Man macht sich gegenseitig verrückt.

Die Arbeit ging schwer voran, auch auf das Wollen kann das Stöhnen folgen, aber man kann sagen, daß alles schwer vorangeht; das, was geht, ist schwer, denn wäre es nicht so, würde es höchstwahrscheinlich überhaupt nicht gehen, denn das, was ginge, das wäre nicht wirklich „das”. Lassen wir es, das soll jeder für sich selbst lösen.

Man kann sagen, daß der Schriftsteller den Vorort und dessen Gesetze und Sprache gut kannte, jedoch wäre es unzutreffend, ihn einen Plebejer zu nennen. Nein. Mit der Tradition des Plebejers ist die ungarische Literatur schlecht umgegangen, was ich außerordentlich bedaure. Einerseits meinte der Schriftsteller, Hrabal sehr gut zu verstehen, und er stellte fest, wobei hier noch nicht von Eitelkeit die Rede sein kann, daß sie sich weitestgehend unterschieden. Konkreter gesagt: sie unterschieden sich grundsätzlich. Wie zwei Eier, so unterschieden sie sich. Doch gerade auch darum ging es, der Schriftsteller betrachtete sein eigenes Anderssein, seine eigene Fremdheit. Genauer: nun betrachtete er diese mögliche Fremdheit an sich. Und das könnte man vielleicht schon als Größenwahn gelten lassen. Diese Fremdheit, die der tschechische Kollege in ihm hervorgerufen hatte, wog er ab, er wog sie ab, und das heißt zugleich, daß er in allem auch das Bekannte suchte, das heißt, alles interessierte ihn wahrlich nur in dem

Maße, wie es für die Produktivität nützlich war. Der Schriftsteller war ein solcher Schriftsteller, der zwischen Leben und Literatur ohne Bedenken die Literatur wählte, weil er meinte und sogar glaubte, das sei sein Leben. Die Fakten der Welt sind nicht die Fakten der Literatur. Aber die Wahrheiten der Welt sind die Wahrheiten der Literatur. So sprach er und schämte sich dessen nicht. Und beinahe hätte ich es zu sagen vergessen, er war darauf auch nicht stolz.

Anna lebte das einfache Leben der Literaturwitwen.

Es kam vor, daß der Schriftsteller den ganzen Tag schwieg, er saß einfach in seinem Zimmer, und Anna wagte nicht, zu ihm hineinzuschauen, er schnitt fürchterliche Gesichter, fletschte die Zähne und ähnliches mehr. Und er kaute auch an den Nägeln, was Anna widerlich fand, bei einem Vierzigjährigen war das ungehörig. (Zumindest war das eine Tätigkeit, und in Ungarn hat man eine hohe Meinung von Tätigkeit, womit jedoch strenge Muskelarbeit gemeint ist, wenn ein Denker also denkt, ein Schriftsteller schreibt, wird das nicht, beachtet, wenn er jedoch, sagen wir, in der Freizeit Bäume pflanzt, ist das eine Tätigkeit. Und dann liegt der Nutzen der Literatur darin, daß der Leser im Schatten des Baumes sitzen kann...) Manchmal kaute er am Ende seiner Feder, wie irgend so ein Tierchen. Abergläubisch hing der Schriftsteller an seinen Federn. Früher besaß er einen Parker, den er so oft betastete, daß dessen Mitte beinahe schon eingedellt war; er hatte ihn in der S-Bahn verloren. (Für Anna bedeutete Parker etwas anderes, für sie war das der große „Bird” Charlie... Hier möchte ich bemerken, daß Parker seinerseits Saxophone in den Metros liegenzulassen pflegte.) Der Schriftsteller saß, darum war er ein Schriftsteller, den ganzen Tag hinter seinem Schreibtisch, und haßerfüllt schichtete, betastete er und streichelte sogar seine Zettelchen, seine Blättchen, sein Schreibtisch war wie eine Gegend, sagen wir wie eine menschenleere, toskanische Senke oder wie eine bewohnte Wüste, freundlich, ein sanfter Raum-Ausschnitt aus einem Film Tarkowskis, also ziemlich beängstigend. Erwar dicht beladen, immer voll, es hatte sich unvorstellbar viel Material angesammelt, Berge und Täler, Buckel, zerknüllte Briefumschläge, Manuskriptseiten, Zeitungsausschnitte, bunte Filzstifte, Kastanien, Verträge, Gekritzel, abgelaufene Visumformulare, Bustickets, Bleistifte, Hefte, Kalender mit Abgabeterminen, Liebesbriefe (ein Pulverfaß an abgelaufenen Liebesbriefen), Heftklammern, Schokoladenpapiere, Notizen, Bücher, Briefe, eine ungeschlachte (oder aber unmäßige, also bunt gesprenkelte) Sauwirtschaft, mit anderen Worten: eine innere Ordnung - und das in Schichten, in mehreren Stockwerken, sandwichartig, mit Tunnels, mit geheimen, tiefen Gräben, die seit zwei Monaten nicht beantworteten Briefe lagen auf einer anderen Ebene als die, die erst in zwei Monaten seit zwei Monaten nicht beantwortet sein werden! Der Schriftsteller hatte einen Freund, dessen Schreibtisch das Gegenteil war: Eine ruhige Ebene, da lagen saubere Manuskriptpapiere mit ausgerichteten Kanten, zwei Füllfedern. Auf jenem Schreibtisch gab es nur rechte Winkel. Ohne Arbeit kein Brot und auch keine Geometrie, soll Euklid gesagt haben. Und daß zur Geometrie kein königlicher Weg führe. Ein anderer Freund hingegen hatte nicht einmal einen ständigen Tisch, er schrieb auf seinem Schoß. Wo war da der königliche Weg?

Es kam vor, und zwar immer häufiger, daß Anna von Hrabal träumte. Darüber schwieg sie, da doch auf diese Weise (oder anders) gerade ihr Gatte hätte träumen sollen. Er, der in Nöten war. Das sah sie. Und sie tat, als würde sie das nicht erkennen. Jenen Augenblick jedoch, in dem sie erkennen sollte, daß er in Nöten war, mußte sie sehr genau erkennen. War sie dabei schneller als verlangt, wurde ihr Mißtrauen vorgeworfen, war sie zu langsam, hieß es, sie sei unaufmerksam. Er stockte, stolperte. Übergangsweise natürlich. Er sagte, ihm falle nichts ein, oder das wäre etwas übertrieben, aber ein Gedanke, ein origineller Gedanke, fehle ihm tatsächlich, fehle ihm ohnehin oft - womöglich war der Schriftsteller sogar stolz darauf -, und überhaupt habe er auch sonst nichts zu sagen, ausschließlich seine Bücher hätten etwas zu sagen. „Laß nur, mein Lieber, spar dir das für die Journalisten auf.”

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