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Schrumpfen der Kirdien?

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Mehr als 80 Prozent der heimischen Bevölkerung gehören derzeit der Katholi- schen Kirche an. Sind im Jahr 2045 noch zwei von drei Österreichern oder nur noch einer von 25 Katholik?

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Mehr als 80 Prozent der heimischen Bevölkerung gehören derzeit der Katholi- schen Kirche an. Sind im Jahr 2045 noch zwei von drei Österreichern oder nur noch einer von 25 Katholik?

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Die Szenarien, welche die Demo- graphen Wolfgang Lutz und Chri- stopher Prinz vom Internationalen Institut für Angewandte System- analyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien unlängst vorgelegt haben, lassen aufhorchen. Sie prognosti- zieren aufgrund der Kirchenaus- trittszahlen der letzten Jahrzehnte einen kräftigen Aderlaß der Katho- lischen Kirche. Nur über das Aus- maß herrscht Ungewißheit.

Eine „Milchmädchenrechnung" ist eine solche Studie nicht.Da bedarf es der Einsicht in die „kom- plexeren Mechanismen der Bevöl- kerungsdynamik" (Lutz), etwa, wie sich die Lebenserwartung entwik- kelt und in welchem Alter Eltern Kinder bekommen.

Lutz hat kurz vorher auch die Evangelische Kirche unter die Lupe genommen und festgestellt, daß deren Zukunft - bis 2030 im Be- reich von drei bis fünf (so wie jetzt) Prozent Anteil an der Bevölkerung - vor allem davon abhängt, wieviele der Kinder aus Mischehen (80 Pro- zent der Evangelischen heiraten einen nicht-evangelischen Partner) evangelisch getauft werden.

Lutz und Prinz gingen bei allen drei Modellrechnungen (siehe Gra- phik) von der - optimistischen - Annahme aus, daß katholische El- tern ihre Kinder taufen lassen, also Kinder von Kirchenmitgliedern be- ziehungsweise die Hälfte der Kin- der bei gemischten Ehen wieder der Kirche angehören.

Szenarium 1 prognostiziert eine exponentiell steigende Austrittsra- te. Es rechnet mit einer Fortsetzung des langfristigen Trends, wonach sich die Austrittsraten seit den fünfziger Jahren im Laufe eines Jahrzehnts jeweils verdoppelten. Fazit: 2045 gehören nur mehr vier Prozent der Österreicher der Ka- tholischen Kirche an!

Szenarium 2 geht davon aus, daß die Austrittsrate bei einem halben Prozent jährlich konstant bleibt, wodurch bei einer sinkenden Ge- samtzahl von Katholiken auch die Zahl der Austritte abnimmt. Diese Variante ist optimistisch, da 1989 bereits mehr als 0,6 Prozent aller Katholiken (37.154) aus der Kirche austraten. Ihr zufolge würden im Jahr 2045 noch fast zwei Drittel der Österreicher katholisch sein.

Szenarium 3 halten die Demo- graphen für realistischer. Hier werden bis zum Jahr 2000 steigen- de Austrittsraten angenommen, danach konstante. 31,6 Prozent, also nicht einmal ein Drittel der Öster- reicher würde sich dann 2045 noch als Katholiken bekennen, das wä- ren - bei allgemein abnehmender Zahl der Einwohner - kaum noch anderthalb Millionen.

Bei solchen Prognosen geht es, wie Lutz selbst meint, „nicht um realistische Voraussagen", aber um eine Verdeutlichung gegenwärtiger Trends, um ein Zeigen dessen, „was passiert, wenn nichts passiert".

Daß man diese Entwicklungen ernst nehmen muß, hat der Kärnt- ner Diözesanbischof Egon Kapellan in der ORF-Sendung „Religion ak- tuell" bestätigt und Wolfgang Lutz mit anderen Experten nach Kla- genfurt eingeladen, er will „den Schrecken, den das verbreitet hat, nicht einfach verjähren lassen".

Kapellari hebt die Gefahr her- vor, „daß Österreich durch eine niedrige Geburtenrate, ganz unab- hängig davon, ob es katholisch ist, sich so reduziert, daß große Zahlen von Immigranten die Kultur, auch religiös, verändern. Das istdiegroße Frage, die wir nüchtern stellen soll- ten, ohne irgendeine Religion oder Rasse auch nur im geringsten aus- zugrenzen. Die zweite Frage ist, glaube ich, die, ob dann in diesem umfassenden Kontext die Kirche, zumal die Katholische Kirche, noch einmal radikal schrumpft."

Daß ein solches Schrumpfen die ganze finanzielle Grundlage der Kirche gefährden könnte, ist für Kapellari (wie auch für seinen Vorarlberger Amtskollegen Klaus Küng) kein vorrangiges Problem: „Ich muß klar sagen, daß die Kirche primär die Sorge um den Glauben hat und Wirtschaftssorgen in dem Maß interessant und legitim sind, als die Wirtschaft dem Glauben und den guten Werken, die der Glaube uns zu tun anweist, dient. Ich wür- de in einem solchen Fall, die Mög- lichkeit der Kirche, soziale und kulturelle Leistungen zu erbringen, die eine breite, auch nicht-kirchli- che Öffentlichkeit von ihr erwar- tet, drastisch reduzieren."

Kapellaris Fazit: „Wir wollen uns wirklich mit offenen Augen einer komplexen Realität zuwenden. Ich möchte nur nicht haben, daß wir unter dem vielleicht schadenfro- hen Blick einer kirchenfremden Öf- fentlichkeit uns wie das Kaninchen vor der Schlange von solchen Hoch- rechnungen über die Zukunft läh- men lassen."

Bischof Küng meinte gegenüber der FURCHE, er kenne die IIASA- Studie nicht, betonte aber: „Jeder Kirchenaustritt ist eine schmerz- . hafte Tatsache, und wir müssen alles tun, um den Menschen die Hand zu reichen. Ich glaube, daß das eine ganz große pastorale Frage ist. Wir müssen uns gerade jenen, die sich innerlich von der Kirche und vom Glauben entfernt haben, in beson- derer Weise zuwenden und auch Konzepte entwickeln."

Die wesentlichen Ursachen für Kirchenaustritte müßten, so Küng, genau analysiert werden: „Ich habe den Eindruck, daß Unwissen eine große Rolle spielt, auch das Kon- sumverhalten und die ganze Atmo- sphäre heute". Er meint, daß hier ein Prozeß wie in anderen Wohl- standsländern von Generation zu Generation um sich greift: „Wenn die Eltern wenig oder kaum prakti- ziert haben, dann sind die Kinder noch weniger eingeführt in den Glauben. Da besteht dann die Ge- fahr, daß die Kinder nicht mehr teilnehmen und die Kindeskinder gar nicht mehr der Kirche angehö- ren wollen."

Für Küng ist klar, daß man dieser Entwicklung nicht zuschauen darf: „Ich glaube, daß das Entscheiden- de darin besteht, daß wir eine wirk- liche Neuevangelisierung versu- chen, wie es Papst Johannes Paul II. immer wieder betont. Ich sehe als ganz besonders wichtig die Pasto- ral mit der Jugend, aber auch die Pastoral mit den jungen Familien."

„Wellenbewegungen" wie heute habe es im Laufe der Geschichte der Kirche immer wieder gegeben, oft habe dann ein einziger großer Heiliger eine riesige Veränderung bewirkt. Langfristig zeigt der Feld- kircher Bischof Zuversicht: „Ich hin immer optimistisch!" Ebenso Ka- pellari: „Ich bin überzeugt, daß die schlimmste Variante dieser Hoch- rechnung nicht eintreffen wird. Ich bin sehr gelassen, was die Situation der Kirche und ihre weitere Ent- wicklung betrifft."

Befragt nach seiner Meinung zur IIASA-Studie, nimmt Hugo Bo- gensberger, Direktor des Wiener Instituts für kirchliche Sozialfor- schung (IKS), Lutz (siehe oben) beim Wort: „Es handelt sich hier nicht um realistische Voraussagen..." Laut Bogensberger läßt sich seriös nur sagen: „Es entbehrt nicht einer gewissen Wahrscheinlichkeit, daß die Konfessionsanteile der Kirchen in Österreich abnehmen werden. Aber ich glaube, niemand kann sagen, wo das liegen wird."

Lichter am Horizont könnten zwei Meldungen aus jüngster Zeit sein. Sowohl die Erzdiözese Wien verzeichnete von Jänner bis August 1990 einen Rückgang der Austritte um mehr als 14 Prozent (12.506 gegenüber 14.612 im gleichen Zeit- raum 1989) als auch die Diözese Linz (3.329 gegenüber 3.808). Für den Linzer Finanzkammerdirektor Josef Wöckinger zeigen hier die In- formationskampagne zum Kirchen- beitrag und der persönliche Ein- satz der Beitragsberater in den Pfarren Wirkung.

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