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Schüsse aus der Sakristei

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Allen Bemühungen der zur Oktobermitte in Kairo versammelten arabischen Außenminister um eine gemeinsame Initiative zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des inneren Friedens im Libanon zum Trotz, traute in den Küstenstädten Beirut, Tripolis, Saida und Sur, wie droben in den Bergen bis zu den biblischen Zedern hinauf, niemand einer nach wochenlangen Kämpfen notdürftig wiederhergestellten Ruhe. Nächtliche Schießereien sind mittlerweile weiter an der Tagesordnung, und selbst die regelmäßigen Abendsitzungen der von Vertretern aller libanesischen Religionsgemeinschaften gebildeten „Dialogkommission“ im hochragenden maronitischen Bergkloster und Patriarchensitz Bkerke werden häufig vom Feuer automatischer Waffen in der Umgebung gestört. Der gute Wille von Orthodoxen, Katholiken, Protestanten, Sunniten, Schiiten und Drusen allein reicht eben nicht aus, um einen Konflikt zu lösen, der zwar unter religiösen Vorzeichen, aber eigentlich doch nur um sozialer Belange und tagespolitischer Machtfragen willen geführt wird. Ähnlich wie der evangelisch-katholische Gegensatz in Nordirland, dient im Libanon die konfessionelle Zugehörigkeit nur als Aushängeschild zur Verwirklichung ganz anders gearteter Ambitionen. Pseudoreligiöse Organisationen, die ihre Schüsse aus der Sakristei abgeben, ihre Mitglieder aber nie zu christlichen Feiern in die Kirchen führen, spielen hier wie dort die übelste Rolle.

Besonders hervorgetan hat sich bei den bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen dieses Herbstes die sogenannte „Libanesische Phalanx“ des grünbehemdeten Milizführers Pierre Gemayel. Diese, sich auf Arabisch, „Kataib allubnania“ nennende Rechtfcorganisatton war von dem damals noch jungen, und von Mussolini wie Hitler begeisterten katholischen Nordlibanesen 1936 unter dem irreführenden Namen „Libanesische Sozialdemokratische Partei“ gegründet worden. Also zu einer Zeit, als die verschiedenen faschistischen Bewegungen und Regime der Zwischenkriegszeit den Namen „Sozialismus“ für sich gepachtet hatten.

Seitdem haben es die Phalangisten auf die Erhaltung der Vorherrschaft des katholischen Maronitentums im Libanon abgesehen, obwohl die maronitische Mehrheit der alten Volkszählung von 1932 schon längst keine Realität mehr ist. Die Maroniten sind eine westsyrische Konfession, die sich vor mehr als einem Jahrtausend um das Kloster des heiligen Maron herausgebildet und zur Zeit der Kreuzzüge die seitdem beibehaltene kirchliche Gemeinschaft mit Rjom aufgenommen hat. Während aber ihr gegenwärtiger, im Februar 1975 in einer Kampfabstimmung zwischen „Konservativen“ und „Reformern“ gewählter Patriarch Antun Koreisch als tolerant und fortschrittlich bezeichnet werden kann, vertreten die „Phalangisten“ die schlimmste kleri-r kale Reaktion. Dabei versuchen sie die fasehistoiden Praktiken ihrer Miliz- und Jugendverbände mit einem christlich-morgenländischen Sendungsbewußtsein zu verbrämen. Wie hat ihr „Führer“ Gemayel doch erst im September bei dem verhängnisvollen „Kirchweihfest“ erklärt, dem die den Bürgerkrieg eröffnende Attacke seiner Anhänger auf die islamisch-sozialistische Nachbarschaft folgte —?

„Libanon ist eine Seele, ein spirituelles Prinzip. Es könnte materiell vorübergehend von einem syrischen oder arabischen Reich absorbiert werden. Spirituell läßt es sich aber unmöglich mit einer Welt vereinigen, die seinen Seelenzustand, seine spirituellen Werte nicht teilt... Ich, Pierre Gemayel, bin ein Katholik, voll von Stolz auf mein Christentum und ein pflichtbewußter Diener der Kirche. Dabei schätze ich mich glücklich, die schweigende Mehrheit der libanesischen Katholiken hinter mir zu wissen. Wenn nun unsere Regierung ihre Pflicht zur Gewährleistung von Gesetz und Ordnung verabsäumt, dann werden die libanesischen Phalangen auf ihre Weise für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sorgen!“

Das Blutbad von Beirut, das nach den vorausgegangenen Unruhen im nördlichen Tripoli in knapp über einem Monat das Leben von an die 6000 Menschen gekostet hat, war die Folge dieser Mord- und Brandrede. Gemayels in die Defensive . gedrängte Hauptwidersacher waren die Kampfgruppen der überkonfessionellen „Progressiven Sozialisten“ mit ihrer hauptsächlich von Drusen, sunnitischen Muslimen und orthodoxen Christen gestellten Anhängerschaft. Diese Koalition war als gesuchter Kontrast zu den autoritär-konfessionellen Phalangisten von dem Fürstensproß Kamal Dschumblat ins Leben gerufen worden. Sein während des Bürgerkrieges verkündetes und dann in der „Dialogkommission“ von Bkerke recht einhellig gebilligtes Erneuerungsprogramm für den Libanon hört sich ganz anders an als Gemayels pseudochristliche Tiraden:

„Es ist nicht genug; eine Klasse durch eine andere, ein System durch ein anderes, ein Gesetz durch ein neues zu ersetzen, um für den Sieg von Gerechtigkeit, Tugend und Liebe zu sorgen. Gerechtigkeit und Liebe sind Aspekte der Selbstbetrachtung des Menschen als eines Doppelwesens. Die Reform muß sowohl bei den äußeren Lebensverhältnissen, wie im Herzen der Menschen erfolgen. Ein ethischer Sozialismus, der an die Beherrschung der sozialen Gegebenheiten durch den Menschen glaubt, ist allein imstande, uns den richtigen Weg zu führen. Sonst werden wir Maschinen ohne Treibstoff und ein Körper ohne Seele. Wenn sich die Menschheit aber selbst reformiert, indem sie ihre Egozentrik überwindet und indem ihr wahres Selbst zum Durchbruch kommt, werden wir im Libanon weder besondere sozialistische Systeme noch eine neue Sozialgesetzgebung mehr nötig haben!“

Der libanesische Zwiespalt zwischen den Rechtsextremisten katholischer Herkunft und der zahlenmäßig von sunnitischen Muslimen dominierten Linksallianz — es ist also nicht richtig, vereinfachend von einem christlich-islamischen Konflikt zu sprechen — wird dadurch keineswegs vereinfacht, daß Staatspräsident Suleiman Frandschie mehr oder weniger offen die Phalangisten unterstützt, während die Regierung unter Ministerpräsident Paschid Kara-me eindeutig auf seifen der überreligiösen Dschumblat-Koalition steht, wenn man von ihrem Innenminister Camille Schampon, einem Maroniten, absieht.

Die im Bürgerkrieg zunächst von den Phalangisten überrumpelten fortschrittlichen Kräfte wollen heute auf keinen Fall zu den alten Zuständen zurückkehren, wie sie im Libanon fast hundert Jahre lang auf Grund des sogenannten „religiösen Paktes“ geherrscht haben, der jeder Religionsgruppe ein bestimmtes Amt im Staate zusprach: den Maroniten den Staatschef, den Sunniten den Ministerpräsidenten, den Orthodoxen den Außenminister. Karame, Dschumblat, der orthodoxe Metropolit Georges Chodr und andere weitblickende Persönlichkeiten fordern die 'Integrierung der bisher von der libanesischen Gesellschaft politisch und menschlich geächteten Palästinenser in alle Lebensbereiche des Landes, wie das etwa nach dem Ersten Weltkrieg mit den aus Anato-lien nach Libanon vertriebenen Armeniern der Fall war. Als zweite Reform soll die konfessionelle Bindung der höchsten staatlichen Funktionen fallen, wobei Raschid Karame dann 1976 die Wahl zum ersten islamischen Staatsoberhaupt des Libanon gewiß sein dürfte. Von ihm wäre ein im Grunde christlicheres Regiment als von seiten der bisherigen Tauf-scheinpolitiker aus dem Maroniten-Lager zu erwarten.

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