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Schuld ist der „halbierte“ Mann

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Die Rollen der Geschlechter in unserer Gesellschaft sind beschädigt. Diese Tatsache spiegelt auch die Situation der Kirche - einer „Männerkirche“ - deutlich wider.

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Die Rollen der Geschlechter in unserer Gesellschaft sind beschädigt. Diese Tatsache spiegelt auch die Situation der Kirche - einer „Männerkirche“ - deutlich wider.

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Die Halbierung und damit Beschädigung der Männerrolle hat mit dem Entstehen der industriellen Wirtschaftsweise zu tun. Entscheidend war die Trennung von Wohnen und Arbeiten. Konnten die Männer in vorindustriellen Zeiten (wie heute noch in der Landwirtschaft oder im Handwerk) unter einem Dach wohnen und arbeiten, so mußte der proletarische Industriearbeiter aus dem Haus, in dem er wohnte, in die Fabrik zur Arbeit gehen.

Dies hatte zur Folge, daß beim Mann vornehmlich die beruflichen Rollenanteile, bei der Frau hingegen die familiären gut entwickelt wurden. Zugleich gingen Frauen und Männern die anderen Anteile mehr oder minder verloren. Die Rollenhalbierung war nicht aufzuhalten. Halten wir hier auch gleich fest: Es trifft nicht zu, daß dem Mann die „weiblichen Anteile“ in seiner Rolle verlorengingen: Verlustig ging der Mann eigener Rollenanteile.

Nicht nur die Gesellschaft“ wird heute vom halbierten Mann verantwortet. Auch die Kirche ist, zumindest was die Verteilung der Entscheidungsmacht betrifft, eine Männerkirche. Das kirchliche Leben zeigt eine höhe „kulturelle Verwandtschaft“ zu jenen gesellschaftlichen Bereichen (der Wirtschaft, der Politik, der Verwaltung), in denen Männer das Sagen haben. An wenigen Beispielen soll skizziert werden, worin sich dies zeigt.

1. Wer heute die Landschaft der christlichen Männerkirche studiert, stößt auf ein Denken und eine Sprache, die dem „halbierten Mann“ entspricht. Funktionales Denken überwiegt. Es wird gezählt, nicht erzählt. Der Erfolg ist wichtig, der statistische und der ökonomische. Pastoralkonzepte, die die Kirchensteuer in Frage stellen, gelten glattweg als verrückt und kirchenfeindlich. Viele Entscheidungen werden nicht mit der Bibel in der Hand getroffen, sondern mit dem Arbeitgeberrecht. Es geht um die Erfassung der Leute, und wie man wieder an sie herankommt. Gesellschaftlich zu gewinnen, uns durchzusetzen, erfolgreich zu sein, das ist uns wichtig. Dazu entwickeln wir einen gesellschaftlich hochwirksamen Apparat.

Nicht gefragt wird aber, wie die Kirche und ihre Gemeinden wieder „Mütter des Glaubens“ werden können. Wir wollen den Glauben weitergeben wie Bürger ihren materiellen Besitz: gedruckt und pädagogisiert. Daß aber Glaube zu zeugen, auszutragen und hervorzubringen, zu gebären ist, davon ist kaum die Rede. Unsere Männerkirche ist nicht die Mutter des Glaubens. Sie ist daher auch nicht marianisch, wobei eine bestimmte Form der Marienverehrung durch halbierte Männer verhindert, daß unsere Kirche wahrhaft marianisch wird.

2. Wo ein solches Bewußtsein dominiert, haben es die Erfolglosen, die lebensmäßigen Verlierer schwer. Obwohl wir uns immer auf einen Jesus berufen, der gerade zu jenen hielt, die keinen lebensmäßigen Erfolg hatten, geben wir vielen Leuten das Gefühl, daß sie erfolgreich und moralisch perfekt leben müßten. Gewiß, wir bekennen liturgisch feierlich unsere Sünden: Aber wehe, es sündigt wer. Wie schwer tut sich die Männerkirche denn auch mit jenen, die scheitern. Beispielsweise in der Ehe. Wie schwer tut sich die Männerkirche, wenn es um Barmherzigkeit geht. Allgemeines Recht, Prinzipien zählen dann mehr als der einzelne Mensch.

Es ist dann, wie die Katholische Frauenbewegung anläßlich der jüngsten Erklärung der österreichischen Bischöfe vermerkt hat, wichtiger, der übergeordneten Kirchenbehörde gerecht zu werden, denn den belasteten Menschen und Familien. Die Männerkirche tut sich schwer, die vielen Leiden der depressiven kleinen Leute wahr- und ernst zu nehmen.

3. Wo Männer das Sagen haben, herrschen in den pastoralen Uber-legungen Begriffe vor, wie sie in der Wirtschaft laufend vorkommen. Da brauchen wir Pläne und Konzepte, entwickeln Strategien. Nun ist gegen das Planen nichts einzuwenden: Planlosigkeit ist eine Art Verantwortungsverweigerung. Doch vielfach gewinnt man dabei den Eindruck, es gehe mehr um die Fortentwicklung der Institution, weniger um das Wachstum der Menschen und ihres Glaubens. Sollte es Teil dieser Grundhaltung sein, daß wir oft mehr auf starre Formulierungen, Lehrsätze, Katechismen, Rechte setzen, denn auf Barmherzigkeit, Wachstum und Eigenwilligkeit? Wie geht unsere Kirche mit denen um,die in die Ordnungen nicht hineinpassen?

4. Eine Auswirkung des „halbierten Mannes“ ist der Umgang mit der Macht in der Kirche. Von der biblischen Vision einer geschwisterlichen Kirche entfernen wir uns zur Zeit schnell. Die Angst um die Hierarchie wird vorgetäuscht: obwohl die Hierarchie dank der bürokratischen Durchsetzungsmittel noch nie so mächtig war wie heute. Wo aber wird Partizipation wirklich ernst genommen? Wo gilt die Regel, daß keine Entscheidung ohne Beteiligung der von dieser Entscheidung Betroffenen getroffen werden darf? Gilt dies bei der Ernennung von Bischöfen? In der Politik der Hochschulgemeinden? Warum werden Frauen nicht konsultiert, wenn es um die Fortschreibung der Maria-troster Erklärung geht?

5. Ein Teil dieses fragwürdigen Stils der Ausübung kirchlicher Männermacht ist der Mißbrauch der Kirche für politische Zwecke. Es gibt verläßliche Hinweise darauf, daß zur Zeit in der österreichischen Kirche die wichtigen Entscheidungen nicht von den Vertretern der Kirche, sondern von selbsternannten Verantwortlichen in einem neokonservativen Lager getroffen werden. Kirche wurde gewiß immer schon von politischen Kreisen benutzt und mißbraucht. Das Tragische ist, daß auch Verantwortliche in der Kirche — aus Sorge um ein Kirchengebiet, das, wie sie behaupten, vom rechten Weg abgewichen ist — dieses politische Spiel entweder nicht durchschauen oder willfährig mitspielen.

Merken die verantwortlichen Männer in Rom denn nicht, daß die Kirche mißbraucht wird, um einen neokonservativen Kurs in der Gesellschaft kirchlich abzustützen? Merken sie nicht, wieder Papst von diesen konservativen Kreisen halbiert, zu einem Ordnungspapst verstümmelt wird, wobei in raffinierter Weise ausgeblendet werden muß, daß eben dieser Papst sich jüngst wieder äußerst kritisch geäußert hat gegen unsere Art und Weise, zu wirtschaften? Konservative halbieren dabei den Papst genauso wie die liberalen Kreise, die sich anstrengen, ihn zu einem hoffnungslos verzopften Sexualpapst zu verstümmeln.

Die unheilige Allianz der halbierten Männer in Gesellschaft und Kirche kann langfristig dem Wachstum und der Erneuerung der Kirche in diesem Land nur schaden. Was tröstet, ist, daß sich diese Restauration vorhersehbar zu Tode siegen wird.

Wie anders ist doch der Traum der Kirchenväter von der Kirche: Da gibt es keine intransparenten Intrigen, keine unheiligen Machtspiele. Die Kirche wird vielmehr besungen als Instrument in der Hand des Christus-Orpheus, damit in der Welt das Lied des Lachens, der Hoffnung und der Auferstehung nicht verstummt. Einer solchen Kirche werden die Menschen trauen, nicht der kalten Kirche des halbierten Mannes.

Trauen werden nämlich die Menschen einer Kirche, die nicht von Gott redet, sondern von der das Gerücht ausläuft, daß Gott selbst mit uns ist. Und dieses rettende Gerücht von Gott wird nicht laufen, wenn wir noch mehr von Gott reden und den Religionsunterricht und die Erwachsenenunterweisung verbessern, sondern wenn wir so miteinander umgehen, daß sichtbar wird, daß Gott unter uns lebendig ist.

Der Autor ist Professor für Pastoraltheologie an der Universität Wien. Auszug aus einem Vortrag beim Delegiertentag der Katholischen Männerbewegung Österreichs im Mai 1988 in Kremsmünster.

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