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Schuld oder Unschuld der entfremdeten Basis

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Demokratie ist bisweilen eine Sache von Angebot und Nachfrage: Wenn den demokratischen Gepflogenheiten entsprechende Mitsprache und Mitentscheidung von der Minderheit nicht nachgefragt wird, dann müßte die Mehrheit eigentlich auf den Kopf gefallen sein, wollte sie von ihren Einflußmöglichkeiten - die nicht immer Einfluß rechte sind - freiwillig etwas abtreten. Das war der markanteste Eindruck, den man von der vom Kummer-Institut veranstalteten „Ge- werkschaftskundlichen Tagung” am vergangenen Wochenende mit nach Hause nehmen konnte.

Diese Erkenntnis, die für das Gewissen so manches geeichten Gewerkschafters als verläßliches Ruhekissen herhält, gab auch dem leitenden ÖGB-Sekretär Alfred Ströer die Sicherheit, gleich in die Offensive überzugehen. Was werde nicht alles am Gewerkschaftsbund kritisiert? Da werde einmal das „zuviel Benya” gegeißelt, dann hätten die Sekretäre zuviel Macht, schließlich hätten der „Apparat”, die „Verwaltung” und die „Bürokratie” des ÖGB zuviel Einfluß, ganz zu schweigen von den Wahlen und der Kontrolle.

„Die großen Organisationen scheitern immer an ihrer Größe”, folgert Ströer, nachdem er sich selbst mit dem Stichwort ,U wählen” den Baili aufgelegt hat. „Andere Organisationen haben ja auch keinen demokratischeren Aufbau.” Ströer meint damit die Parteien, meint auch die Kammern. Eine Feststellung, die einerseits nach fauler Ausrede riecht, anderseits aber auch nicht ernstlich widerlegt werden kann.

Die wirkliche Gefahr für die weitere Entwicklung des ÖGB sieht der leitende Sekretär in der drohenden Entfremdung von der Basis. Vielfach herrsche der Eindruck vor, „das machen so der Sallinger und der Benya ohne Parlament”. Demnach gelte es weniger, rein formal neue Mitspra- .chemodelle zu schaffen, als die 1,6 Millionen ÖGB-Mitglieder aus ihrer Lethargie zu reißen und sie dazu zu bewegen, mehr von den demokratischen Einrichtungen Gebrauch zu machen.

Als Widerpart zu Ströer hatte es Zentralsekretär Hans Klingler als FCG-Mann einigermaßen schwer. Zum einen hatte er seinen Part als glaubwürdiger ÖGB-Funktionär zu spielen, zum anderen aber erwartete man sich gerade von ihm als Vertreter der Minderheitsfraktion, daß er nach qualitativ verbesserten Mitsprachemöglichkeiten verlange. Klinglers Feststellung zum Thema Uwählen verlockt dazu, als für viele interfraktionelle Vorgänge repräsentativ angenommen zu werden. Grundphilosophie: „Haust du meinen Bauer, hau’ ich deinen Bauer..

Hans Klingler („ … ich bin überzeugter Gewerkschafter und daher nicht interessiert, bewährte Einrichtungen des ÖGB in Frage zu stellen!”) sieht zwei Möglichkeiten als Ursache für die demokratischen Schwächen des Monster-Arbeitnehmerapparates: Entweder dringt zuwenig Information von oben nach unten durch öder es mangelt bei den Mitgliedern an der nötigen Diskussionsbereitschaft: „In Hinblick auf die Demokratisierung kommt es nicht so sehr auf die Spitzenfunktionäre als auf die Mitglieder und Betriebsräte an.”

Auch in der anschließenden Diskussion klang immer wieder durch: Die Funktionäre des ÖGB sollten mehr an die Mitglieder denken, ihnen verstärkt Möglichkeiten geben, ihre Meinung zu äußern, sie sollten einkalkulieren, daß auch aus den Reihen der Mitglieder der eine oder andere gute Vorschlag kommen kann, ein gerüttelt Maß an Selbstkritik ließ Klingler in der Frage des Verhältnisses zwischen Minder- heits- und Mehrheitsfraktion erkennen: „Ich kann von der Mehrheit nicht Wohlwollen verlangen, wenn niemand da ist, dem dieses Wohlwollen angedeihen sollte.” Bei der Minderheit im ÖGB vermisse er Eigenschaften wie Courage, Selbstvertrauen, Sachkenntnis oder Artikulationsfähigkeit. Das Hemmnis: Die Minderheit sei zuerst teil des ÖGB, sie könne sich nicht als Opposition verstehen und müsse in Hinkunft auf alle Fälle von ihrem weinerlichen Image wegkommen. Ein ungewöhnlicher, vom Standpunkt der Demokratie aber sicher vertretbarer Vorschlag: Die Mehrheit in den Kon- trollgremien des ÖGB sollte grundsätzlich von der Minderheitsfraktion gestellt werden.

Für die insgesamt eher oberflächlich-vordergründige Diskussion, in deren Verlauf sowohl Gewerkschaftskritiker als auch Gewerkschaftsverteidiger großteüs darauf verzichteten, in eine emotionsfreie und sachliche Diskussion einzusteigen, lieferte ÖVP-Abgeordneter Herbert Kohlmaier einiges an Zündstoff: Jegliche Kritik an der Gewerkschaft werde sehr oft als Gewerkschaftsfeindlichkeit denunziert, zahlreiche Gewerkschaftsfunktionäre seien immer wieder bereit, ihre Tätigkeit als Gewerkschafter parteipolitischen Interessen unterzuordnen, viele Gewerkschafter seien heute bereits in eine Arbeitgeberrolle hineingerutscht. Mit seiner Antis teuersenkungs-Stellungnahme habe Benya schließlich „ganz bestimmt nicht die Meinung der Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder vertreten”.

Allseitiges Einverständnis herrschte hinsichtlich der Kritik, im Parlament seien die Vertreter von „pressure groups” überrepräsentiert. Womit die einen Gewerkschaftsfunktionäre und AK-Mandatare meinen, die anderen Repräsentanten der Handelskammern, der Landwirtschaftskammern und der Industrie. Wer letztlich im Parlament wirklich noch die Wähler seines, Wahlkreises vertritt, blieb als bange - aber nicht neue - Frage im Raume stehen.

Das Thema „innergewerkschaftliche Demokratie” hatten vor Ströers und Klinglers Auftritten Universitätsassistent Gertraud Horke und Chefre- daktreur Franz-Ferdinand Wolf aufzubereiten versucht. Horke kritisierte insbesondere, die Funktionärstätigkeit entwickle sich zusehends zurMana- gerarbeit, bei der das Mandat der Arbeitnehmer zurücktrete. Wolf stellte das Vereinsstatut des ÖGB aus 1945 in Frage und brachte die Variante einer Verrechtlichung des ÖGB aufs Tapet.

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