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Schuld ohne Sühne

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In seinem Stück „Tod und Teufel" läßt Peter Turrini einen Priester zur Suche nach der Sünde aufbrechen. Sünde hängt mit Schuld zusammen. Und das meint der Dramatiker eigentlich: Aus einer werteneutralen Gesellschaft wird die Schuld verbannt, sie wird nicht mehr als solche empfunden. Und wenn es keine Schuld mehr gibt; dann ist auch Vergebung nicht mehr notwendig. Daß da irgendwas nicht mehr stimmt, beunruhigt den Autor Turrini.

In Deutschland wird die Diskussion um die Stasi-Akten immer mehr verdrängt. Der Aufbau der einstigen DDR ist wichtiger, heißt es, und außerdem neigen viele Deutsche mit ihrer Gründlichkeit tatsächlich zur Selbstzerfleischung. Schluß der Debatte verlangen meist solche, die nicht direkt betroffen waren. Die Diskussion stört einfach, weil sie unliebsame ethische Fragen aufwirft.

Im kleinen mittelamerikanischen Staat El Salvador hat jetzt eine Institution mit dem anspruchsvollen Namen „Wahrheitskommission" einen Bericht über Morde vorgelegt, die während des Bürgerkriegs verübt worden waren. Auch das Massaker an den sechs Jesuitenpatres der Zentralamerikanischen Universität in San Salvador wurde genau untersucht. Es kam heraus, was man ohnedies schon wußte. Die Mörder kamen aus der Armee.

Nun ist es auch ganz sicher, daß der ehemalige Geheimdienstoffizier Roberto D'Aubuisson der Auftraggeber für den Mord an Erzbischof Oscar Arnulfo Romero war. Der Erzbischof war während der Messe erschossen worden, nachdem er tags zuvor erklärt hatte, kein Soldat müsse einem Tötungsbefehl gehorchen, „wenn dieser seinem Gewissen widerläuft". Die ARENA-Partei des vor einem Jahr an Krebs gestorbenen D'Aubuisson setzte in der Nationalversammlung auf Antrag des Präsidenten Cristiani (ebenfalls ARENA) eine Generalamnestie durch. Bei der Abstimmung enthielten sich die Christdemokraten der Stimme.

„Die Stunde der gegenseitigen Vergebung ist gekommen", sagte der Präsident pathetisch: „Unser Herrgott und die Geschichte bieten uns Salvadorianern die außerordentliche Gelegenheit, uns zu versöhnen und in Frieden zu leben."

Vergebung ist eigentlich eine Sache der Opfer oder ihrer Verwandten, und die Wahrheit nützt wenig, wenn die Schuld bagatellisiert, vertuscht und ignoriert wird.

In El Salvador wurde wieder ein Priester ermordet. Das war nur eine kurze Meldung. Der Frieden sollte auf einem solideren Fundament aufgebaut werden. Das Erkennen von Schuld, aber auch Sühne, ohne Rache, gehören zu diesem Fundament.

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