7009893-1988_04_01.jpg
Digital In Arbeit

Schuld und Sühne

Werbung
Werbung
Werbung

Als Christen sollten wir den Mut haben, auch einer nicht rühmlichen Vergangenheit ins Auge zu blicken; sie nicht verdrängen, sie nicht beschönigen, nichts entschuldigen, was nicht entschuldbar ist; sie aber auch nicht schlechter machen, als sie tatsächlich war.

Diesbezüglich haben wir in der Bibel ein festes Fundament. Sie berichtet von den Schandtaten der Väter in ähnlicher Weise wie von deren Großtaten. Sie verschweigt nicht den Ehebruch und Mord König Davids. Sie berichtet von der Verleugnung des Petrus ebenso wie von seinem Bekenntnis zu Jesus.

So brauchen auch wir Katholiken im Gedenkjahr 1988 die „Feierliche Erklärung“ der österreichischen Bischöfe, in der sie die Gläubigen auffordern, ihrem Beispiel zu folgen und am 10. April 1938 auch mit Ja zu stimmen, nicht verschweigen. Wenn Bischof Ferdinand Pawlikowski nach glaubwürdiger Uberlieferung erklärt hat, daß er sich seiner Unterschrift unter dieser Erklärung schäme, dann dürfen sich auch Katholiken mit ihm in diesem Gedenkjahr schämen.

Vergangenheitsbewältigung ist kein biblisches Wort. Es gibt auch zu vielen Mißverständnissen Anlaß. Trotzdem sollen die Christen das, was sich hinter diesem Wort verbirgt, sehr ernst nehmen. Für sie ist die Erinnerung an geschichtliche Ereignisse von größter Bedeutung. Wir wissen uns mitten in einer Heils- und Unheilsgeschichte. Was in der Vergangenheit geschehen ist, an Gutem und Bösem, hat seine Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft.

Jeder Mensch und jedes Volk ist von vergangenen Ereignissen beeinflußt. Wer dies nicht erkennt und anerkennt, kann sich selbst nicht verstehen und wird oft falsch entscheiden.

Die Erinnerung an die furchtbaren Verbrechen des Nationalsozialismus stellt uns vor unlösbare Fragen bezüglich der Schuld. Wer ist schuld? Diese Frage emo-tionalisiert die gegenwärtige Situation. Die einen wehren sich gegen die Anklage, die anderen sind entrüstet über den Freispruch.

Gegen die Kollektivschuld regt sich unser Verständnis von personaler Verantwortung. Die Kategorie von personaler Schuld reicht aber nicht aus, um all diese Verbrechen und Vorgänge zu erklären. Es waren zu viele daran durch Taten und Unterlassungen „beteiligt“, ohne daß man die Betreffenden als schuldig bezeichnen kann; weil sie entweder wirklich nicht gewußt haben, was vorging, oder weil sie „entschuldigt“ weggesehen und nichts dagegen unternommen haben. Und trotzdem sind sie in die Schuld verstrickt.

Vielleicht kann die Lehre von der Erbsünde etwas Licht in dieses Dunkel bringen. Sie spricht von einer Schuldverflochtenheit, die vor und jenseits persönlicher Schuld liegt: eine Lehre, die gerade vom Nationalsozialismus massiv bekämpft wurde.

Das Wissen um diese Schuldverflochtenheit kann davor bewahren, voreilig anzuklagen oder freizusprechen. Es gibt einfach Situationen, wo beides falsch ist.

Vergangenheit ist nicht bewältigt, wenn alle Schuldigen ausfindig gemacht und bestraft worden sind. Wer Unrecht tut, zerstört mehr, als er wiedergutmachen kann. Die Millionen Toten können nicht mehr zum Leben erweckt werden.

In der Schuld und im Versuch, sie wieder gutzumachen, zeigen sich wesentliche Grenzen des Menschen. Es gibt keine Möglichkeit, das Ursprüngliche wiederherzustellen; es bleibt ein Rest, der nicht aufgearbeitet werden kann. Sünden vergeben kann tatsächlich nur Gott allein. Und auch dann bleiben die Narben; sie können wie die Wundmale Jesu verklärt werden, aber sie bleiben.

Vielleicht stehen wir heute auch deswegen vor so vielen Ausweglosigkeiten, weil die transzendenten Dimensionen dieser Fragen ausgeschlossen oder zu wenig bedacht werden.

Ein wesentliches Ziel christlicher Vergangenheitsbewältigung ist die Versöhnung. Versöhnung kann niemand fordern, schon gar nicht der Täter. Versöhnung braucht Sühne. Wir haben das Wort „Sühne“ fast völlig aus unserem Sprachschatz eliminiert. Trotzdem ist die Sache, die dieses Wort bezeichnet, auch heute wichtig.

Sühnehandlungen sind Symbolhandlungen, in denen der Schuldige seine Einsicht, seine Trauer und Reue wie auch seinen Willen, den Schaden nach Möglichkeit wiedergutzumachen, in Taten und Zeichen zum Ausdruck bringt.

Sühne braucht der Täter, um sein Bekenntnis der Schuld und die Gesinnung der Reue und Umkehr zu verleiblichen und so zu vertiefen. Sühne braucht das Opfer, um leichter vergeben zu können. Denn nichts macht das Vergeben schwerer, als wenn der Täter die Schuld leugnet oder bagatellisiert. Dies gilt im Leben der einzelnen und der Völker.

Darum wird mit Recht gefragt: Wo sind die Zeichen der Sühne für die Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus?

Sühne kann auch stellvertretend geschehen. Auch eine spätere Generation kann Zeichen setzen, an denen erkannt werden kann, wie leid es ihr tut, daß ihre Vorfahren Unrecht getan haben. Und sie kann so den Nachkommen der Opfer helfen, den Weg der Versöhnung zu gehen. Wie auch umgekehrt die nachfolgende Generation durch ihr Fehlverhalten die alten Wunden wieder aufreißen kann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung