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Schulden „swapen“

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Nach wie vor zerbrechen sich Experten den Kopf über das internationale Schuldenproblem. Eher unauffällig hat eine neue Methode Furore gemacht -der Schuldenswap.

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Nach wie vor zerbrechen sich Experten den Kopf über das internationale Schuldenproblem. Eher unauffällig hat eine neue Methode Furore gemacht -der Schuldenswap.

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Unter den gegebenen Bedingungen und ohne eine wesentlich günstigere Wirtschaftsentwicklung, als derzeit absehbar, können die Schulden der lateinamerikanischen Länder, die derzeit etwa 380 Milliarden Dollar betragen, auch auf längere Sicht nicht zurückgezahlt werden.

Zu dieser Ansicht gelangte dieser Tage die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) auf einer Sonderkonferenz in Mexiko.

Trotz enormer innerer Anstrengungen vieler Länder, die teils

auch einen hohen politischen und sozialen Preis dafür entrichtet haben, so heißt es, sei keine Besserung eingetreten (Tabelle 1). Der einzige Weg zu einer dauerhaften und weltweiten Lösung der Schuldenkrise bestehe in dringend notwendigen politischen Verhandlungen zwischen Gläubigern und Schuldnern. Die Zahlungen von Zinsen und Tilgungen müßten von der tatsächlichen Zahlungskraft der Schuldnerländer abhängig gemacht werden, heißt es in der „Erklärung von Mexiko“, die von den 40 Mitgliedsländern der Cepal beschlossen wurde.

Unnötig, darauf hinzuweisen,' daß die Vereinigten Staaten und Großbritannien als Hauptgläubiger dieser Region die Erklärung aufs heftigste kritisierten.

An der Schuldenfront demnach nichts Neues? So scheint es: Im gemeinsamen Bemühen von internationalen Organisationen, Geschäftsbanken, Industrie- und Entwicklungsländern wurde seit Beginn der größten Schwierigkeiten im August 1982, als Mexiko seine Zahlungsunfähigkeit erklärte, zwar einiges unternommen, um die hochverschuldeten Länder wieder auf die eigenen Füße zu stellen. Doch die Beziehungen zwischen den Gläubigerund Schuldnerländern tragen immer noch den Charakter eines Krisenmanagements. Die privaten Banken geben freiwillig so gut wie keine Kredite mehr. Den Anstrengungen des Internationalen Währungsfonds ist es zu danken, daß der private Kreditfluß nicht völlig austrocknete; dafür nimmt der Fonds aber für sich in Anspruch, die Wirtschaftspolitik der betreffenden Länder in seinem Sinn zu beeinflussen.

Aber Skepsis und Widerstand gegen die bisherige Handhabung der Problembewältigung wachsen.

Manche Experten glauben nicht einmal mehr daran, daß selbst die beste wachstumsorientierte Strukturpolitik in den Entwicklungsländern das Schuldenproblem lindern könnte, wenn nicht

laufend neue Kredite bereitgestellt werden.

Die Schuldner wehren sich zunehmend, die Fiktion einer Zahlungsfähigkeit vorzugaukeln, die nur durch die andauernde Bereitstellung neuer Geldmittel aufrechterhalten wird.

Auf der anderen Seite sind jene Banken, die ihre dubiosen Forderungen zu größeren Teilen schon abgeschrieben haben, auch nicht mehr bereit, den Geldhahn weiter aufzudrehen. Dabei handelt es sich aber nur um einen Teil des internationalen Bankensystems — jedenfalls nicht um die amerikanischen Banken mit ihren riesigen Forderungen vor allem in Lateinamerika.

Damit zeichnen sich auch Interessengegensätze innerhalb des internationalen Bankenapparats selbst ab.

Die Schuldenproblematik erweist sich demnach zunehmend als konflikt- und konfrontationsträchtig. Kein Wunder also, daß seit etwa eineinhalb Jahren eher unauffällig eine neue Umschul-dungstechnik Furore macht, bei der dem Einfallsreichtum der internationalen Finanzmärkte gelingt, was man zunächst nicht für möglich halten würde: Alle drei dabei involvierten Parteien — Gläubigerbank, Schuldner und ein ausländischer Investor — können sich als Gewinner fühlen. Darüber hinaus wird dabei auch ein — im Volumen zwar vorläufig beschränkter — Beitrag zum Schuldenabbau selbst geleistet.

Um die Technik zu verstehen, muß zuerst ihre wichtigste Voraussetzung erläutert werden. Es existiert ein sogenannter Sekundärmarkt für Kredite und Schulden. Dabei handelt es sich allerdings um etwas Altbekanntes, nämlich um die Weitergabe oder genauer, den Handel mit Forderungen, wie es ihn in den vielfältigsten Formen seit jeher gibt.

Jetzt handeln die Banken eben Länderforderungen. Die Motive sind verschieden: Entweder wollen die Banken ihre „schlechten“ Forderungen endgültig abstoßen, oder sie haben plötzlich Liquiditätsprobleme.

Natürlich ist im Falle von Problemländern der Käufer nicht bereit, den vollen Nominalwert der erworbenen Forderung zu bezahlen, da er damit ja ein hohes Risiko eingeht. Es bildeten sich daher auf diesem Sekundärmarkt Abschlagssätze (discounts) heraus, zu denen die jeweiligen Käufer bereit sind, die Forderungen zu übernehmen. (Die Abschläge vom Sommer 1986 siehe Tabelle 2.)

Diese Abschläge auf die dubiosen Forderungen sind nun der Angelpunkt der neuen „debt-for-equity-swap“-Technik, für die sich im Deutschen der etwas unpräzise Ausdruck „Schuldenswap“ eingebürgert hat. Gemeint ist jedenfalls der Tausch — oder besser die Umwandlung — einer Schuld in eine Beteiligung.

Die Grundstruktur eines solchen Geschäfts-ist folgende: Ein international tätiges Unternehmen, das seine Aktivitäten in einem der Schuldnerländer ausdehnen möchte, wendet sich an eine Gläubigerbank eben dieses Landes und erwirbt von ihr im Umfang des geplanten Investitionsvolumens eine auf Dollar oder sonstige harte Währung lautende Forderung gegen das jeweilige Land. Dies natürlich unter Abzug des jeweils gültigen, vorhin erwähnten Abschlags.

Die so erworbene Forderung „swapt“ das investitionsfreudige Unternehmen zurück in die Landeswährung des Schuldnerlandes. Das heißt, es verkauft die Forderung an den Schuldner zurück, zum Beispiel an diesen Staat selbst.

Dabei wird meist ein abermaliger Abschlag ausgehandelt, der sich üblicherweise um etwa zehn Prozent bewegt. Dieser Abschlag ist sozusagen die Prämie dafür, daß dem Unternehmen gestattet wird, die Beträge für Beteiligungen, Kauf von Produktionsanlagen oder Erweiterungen zu verwenden.

Es mag verwundern, daß dafür eine Prämie zu entrichten ist, doch waren gerade lateinamerikanische Länder bezüglich des .Eindringens von Auslandskapital

in der Vergangenheit mitunter recht restriktiv. Die erwähnten rund zehn Prozent sind nun der Preis für etwas mehr diesbezügliche Konzilianz.

Ein Beispiel mag den Geschäftsvorgang illustrieren: Der japanische Autoproduzent Nissan erwarb im Sommer 1986 einen Mexiko-Schuldtitel im Nominalwert von 60 Millionen Dollar zum Preis von 40 Millionen Dollar. Die abgebende Bank war 60 Millionen dubiose Forderungen aus ihren Büchern lös und hätte immerhin 40 Millionen gerettet, allerdings gegen eine endgültige Abschreibung von 20 Millionen Dollar. Nissan löste nun — natürlich nach einer vorhergehenden entsprechenden Abmachung — diesen Schuldtitel bei der mexikanischen Notenbank ein und erhielt dafür Pesos im Gegenwert von 54 Millionen Dollar. Dieses Geld nutzte der Konzern zur Aufstockung der Beteiligung an der schon existierenden Tochtergesellschaft. Die Auslandsschuld Mexikos hatte sich aber um 60 Millionen Dollar reduziert.

Nach diesem Schema liefen im Prinzip alle bisher bekannt gewordenen Schuldenswaps ab. Die ersten Versuche mit dem neuen Instrument haben den Anstieg der lateinamerikanischen Schuld vorläufig allerdings nicht aufhalten können. Doch sind alle potentiell Beteiligten an einer Entwicklung des Marktes interessiert, wenn auch das Potential, das sich für derartige Geschäfte anbietet, nicht überschätzt werden darf. Für viele Experten überwiegen aus nationalökonomischer Sicht jedoch die Pluspunkte. Andere sprechen vom „Ausverkauf“. Pro- und Kontra-Argumente zu diesem Instrument werden sicherlich noch für heiße Diskussionen sorgen.

Der Autor ist Referent in der volkswirtschaftlichen Abteilung der Osterreichischen Nationalbank.

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