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Schuldig trotz Gesetzestreue

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Kann Recht Schuld sühnen? fragte Alt-Bundespräsident Kirchschläger in seinem Vortrag und legte den Finger auf eine Wunde unserer Zeit: das Problem von Schuld und Sühne, Leid und Rache.

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Kann Recht Schuld sühnen? fragte Alt-Bundespräsident Kirchschläger in seinem Vortrag und legte den Finger auf eine Wunde unserer Zeit: das Problem von Schuld und Sühne, Leid und Rache.

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Das Geheimnis des Bösen Zu erhellen, entzieht sich wohl einer letztgültigen Erklärung. Sein Ursprung im schuldhaften Versagen der Freiheit scheint mir nicht nur lehrmäßig anerkannt, sondern auch in der täglichen Lebenserfahrung bestätigt.

Wenn wir auch viel von gesellschaftlichen Umwelteinflüssen, Zwangssituationen und Zwängen sprechen, die auf den Menschen einwirken, die letzte Entscheidung für das Tun oder Lassen trifft doch immer der Mensch. Der Mensch und nicht die Gesellschaft ist es auch, der die letzte Verantwortung für sein Tun und Unterlassen, aber auch für sein Wollen trägt, der also neben einem allfälligen Machtgeber vor allem sein Gewissen auf die unausbleibliche Frage nach dem Warum und nach dem Wie seiner Entscheidung Antwort geben und damit diese auch rechtfertigen muß. Verantwortung ist nun einmal der Preis der Freiheit.

Die zusätzliche Verantwortung, die wir als Christen tragen, sei in diesem Zusammenhang als Erinnerungspost angemerkt. Daß unsere Welt zwei Jahrtausende, nachdem Christus Mensch geworden ist und der Menschheit die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes begreifbar gemacht hat, noch so aussieht, wie wir sie tagtäglich erleben, und auch so, wie sie die Alteren von uns vor rund fünf Jahrzehnten erlebt und - bekennen wir! - gar nicht so ' vereinzelt bewußt oder unbewußt auch mitgestaltet haben, gibt wohl nur schwer Zeugnis dafür, daß es uns Christen in der Vergangenheit und in der Gegenwart wirklich gelungen ist, unseren Glauben nicht nur zu bekennen, sondern auch zu leben.

Die religiös-ethischen Normen haben in die staatlichen Gesetzgebungen und auch in den gesellschaftlichen Verhaltenskodex als ethische Lebensgrundsätze Eingang gefunden. Aber was einst als göttliches Gebot erkannt wurde, wird vielfach heute nur mehr im Umfang des staatlichen Gesetzes zur Kenntnis genommen, und der aus dem göttlichen Gebot abgeleitete Verhaltenskodex ist für viele einer immer schneller werdenden Anpassung an sich ändernde Zeittrends unterworfen. Die Gefahr und die Versuchung für den Menschen, schuldig am Mitmenschen oder schuldig an der Gesellschaft zu werden, wächst nahezu proportional mit der Entfernung von Gott.

Schuld entsteht eben nicht nur durch Übertretung des Strafgesetzes oder anderer Verbotsgesetze, Schuld entsteht auch durch die Verletzung der ethischen Grundsätze zwischenmenschlichen Zusammenlebens. Die Intoleranz oder ein betonter Egoismus können dafüreben-so Ausgangspunkt sein wie beispielsweise das Schuldigwerden am Wesen der Ehe und die Mißachtung f amiliärer Pflichten, selbst wenn die Gesetzessituation die Verfügbarkeit über das Eheband weitgehend den Ehepartnern überlassen hat und sich die staatliche Schutzmaßnahme für Kinder aus gescheiterten Ehen im wesentlichen auf die Alimenta-tionsverpfhchtung gegenüber dem Kinde und dessen Zuteilung an einen der Elternteile beschränkt

Die nur sehr partielle flächenmäßige Abdeckung menschlichen Verhaltens durch Gesetze wird sehr anschaulich durch die Tatsache vor Augen geführt, daß ein Mensch, der absolut gesetzestreu ist, doch für seine Mitmenschen nur schwer erträglich sein kann, da er trotz aller Gesetzestreue den Mitmenschen viel Leid und Kummer zuzufügen in der Lage ist.

Schuld ruft nach Sühne. Sühne ist ein unvergleichbar weiterer Begriff als Strafe. Die Strafe drückt sich, von der Todesstrafe abgesehen, in einem Freiheitsentzug, einem Vermögensnachteil, in der Androhung eines oder beider dieser Nachteile oder auch in einer gesetzlich genau umschriebenen diskriminierenden Maßnahme aus. Die Sühne bedarf dieser genauen Umschreibung nicht. Ihre wesentliche Komponente ist ein innerer Vorgang, ist ein Erkennen und Bewußtwerden der Schuld und eine daraus folgende innere Auseinandersetzung mit ihr.

Sühne wird dadurch erschwert, daß sie Demut voraussetzt. Gemeint ist damit nicht eine Preisgabe der Selbstachtung, auch keine Selbstherabwürdigung. Die Demut bereitet den Weg für eine nüchterne Schuldeinsicht. Gerade diese Schuldeinsicht aber ist es, die das Postulat einer Schuldvergebung begreiflichmacht. Weil uns, dem Menschen unserer Zeit, die Demutgar so wenig hegt, weil wir allzu sehr das egozentrische Maß an alle Erscheinungen des Lebens anzuwenden gelernt und gelehrt haben, fällt uns auch vielfach die Schuldeinsicht und damit die Sühne so schwer.

In diesem Zusammenhang sei auf ein besonderes Phänomen der Sühne hingewiesen. Während Strafe zwingend persönliche Schuld des zu Bestrafenden voraussetzt, kann Sühne auch für fremde Schuld geleistet werden. Folgend dem göttlichen Beispiel Jesu Christi wird in den Sühneklöstern vor allem des Ordens der Karmeliterinnen auf den Plätzen ehemaliger Konzentrationslager Sühne geleistet. Wenn auch das zwischen Juden und Christen stehende Kloster in Auschwitz gegenwärtig mehr, als uns allen wohl heb ist, die Geister bewegt, bleibt doch bewunderndes Staunen für die Beterinnen, die, persönlich wahrhaftig frei von der Schuld des Nationalsozialismus, die Vergebung Gottes für die unfaßbar große institutionelle und persönliche Unmenschlichkeit, die an diesen Stätten des Grauens begangen wurde, erflehen.

Denken wir aber auch an manche Kinder und selbst Enkelkinder von Vätern und Großvätern, die in der nationalsozialistischen oder auch zu anderer Zeit schuldig geworden sind und für deren Schuld nunmehr von den Nachgeborenen durch bedingungsloses soziales Engagement oder in anderer Weise in freier Entscheidung gesühnt wird.

Recht kann nur die vom Recht erfaßbare Schuld der Sühne nahebringen, ohne aber unmittelbar Sühne zu bewirken. Der innere Vorgang der Sühne kann durch die rechtlichen Unrechtsfolgen im einzelnen Menschen initiiert werden. Die rechtlichen Unrechtsfolgen aber können die Sühne weder zwangsweise herbeiführen noch ersetzen. Wohl aber kann und soll die Rechtsordnimg eine Hilfe zur Vermeidung von Schuld sein, und zwar sowohl durch die Stärkung einer durch sie geformten ethischen Grundhaltung des Menschen als auch durch die Furcht vor Schadenersatzpflicht und Strafe.

Die Freiheit von rechtlicher Schuld ist nur ein Mindeststandard eines mit Wertüberzeugung geführten Lebens. Die Freiheit von jeglicher Schuld ist wohl kaum erreichbar. So trifft denn auch die durch einen Strafregisterauszug nachgewiesene Unbescholtenheit keine Aussage über die Freiheit von Schuld. Wir werden uns auf sie bei der Rechnungslegung über unser Leben nicht verlassen können.

Auazug aus der Festrede Dr. Rudolf Kirchschlägers „Kann Recht Schuld sühnen?“ bei den Salzburger Hochschulwochen 1969.

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