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Schule fiür die Schüler

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Die Schulorganisationsentschei-dung (integrierte Gesamtschule als Regelschule oder nicht, Ganztagsoder Tagesheimschule) ist kürzlich um zwei Jahre vertagt worden: ein Kompromiß zwischen SPÖ und ÖVP, das von den Urhebern weise, von den Kritikern Flucht geheißen wird' und jedenfalls eine sehr österreichische „Lösung" genannt werden kann. Man hofft, daß die stehengelassene heiße Suppe auskühlt.

Freilich: An einer lauen Suppe verbrennt man sich zwar die Zunge nicht, aber Freude kann man daran auch keine mehr haben. Die Suppe muß in zwei Jahren genießbarer als heute sein. Dazu ist es notwendig, daß die Frist genutzt wird. Von den politischen Parteien gibt es derzeit noch kaum Signale, daß diese so verstanden wird. Man will das Ergebnis der fortgesetzten Schulversuche abwarten. Zu befürchten ist, daß anno 1981/1982 die Schuldebatte 1979/80 einfach neu aufgewärmt wird.

Um dies zu verhindern, hat sich die Kirche zu Wort gemeldet. Im Auftrag der österreichischen Bischofskonferenz leitete Direktor Eduard Ploier, der Präsident der Katholischen Aktion/ Österreichs, am 3. März eine ganztätige Enquete in Wien, die unter dem Thema „Das Kind in der Verantwortung von Familie und Schule" stand. Dabei steckte Weihbischof Helmut Krätzl, Schulreferent der Bischofskonferenz, einen Rahmen ab, der die nahezu ausschließlich organi-sationsbezogene Schuldiskussion der Parteien überzeugend zu größerer Gründlichkeit herausfordert. Krätzls Thesen:

• „Die Schule ist für den Schüler da." Konkret: Chancengleichheit bedeutet nicht gleiche Menschen als Ergebnis der Erziehung, sondern Chance eines jeden zur Entfaltung seiner je eigenen Talente und Neigungen. Und: Erziehung zur Selbständigkeit, zu richtiger Kritikfähigkeit (die Wissen und Urteilskraft voraussetzt), Entfaltung der Fähigkeiten von „Herz, Hirn und Hand" (Pestalozzi). Krätzl: „Mir scheint, daß der Versuch, möglichst alle Kinder in eine Höhere Schule zu schicken, einer Diskriminierung manueller Leistung gleichkommt, die einen auf diesem Gebiet begabten Menschen genau so befriedigen kann wie rein geistige Arbeit."

• „Auch die beste Schule kann die Eltern nicht ersetzen." Konkret: Eltern dürfen niemals ihre Kinder und damit ihre Erziehungsverpflichtung an eine Schule abschieben - auch nicht an eine kirchliche Internatsschule! Auch eine solche hat wie jede andere Schule die Verpflichtung, Erziehung zusammen mit den Eltern, möglichst unter übereinstimmender Anerkennung bestimmter Erziehungsziele, zu betreiben und den Eltern die Kinder so wenig wie möglich zu entfremden. Umgekehrt müssen die Eltern noch viel bewußter das Schulgeschehen mitgestalten. • „Lehrer sind nicht nur Wissensvermittler." Konkret: Als Miterzieher müssen sie zusammen mit den Eltern die Schüler umfassend, als ganze Menschen, auch in ihren gefühlsmäßigen und manuellen Anlagen, auch charakterlich-moralisch, zur Entfaltung bringen helfen. Dazu Univ.-Prof. Klaus Zapötocky (Linz/Wien) als einer der Enquete-Referenten:

„Bei den notwendigen Leistungen von Seiten der Verwaltung stehen direkte Sachleistungen wie Schulbauten, Butget, Schulbücher im Vordergrund, während für eine spezifische, pädagogisch wünschenswerte Leistung keine oder nur geringe Möglichkeit bestehen." Und: „Bei den verschiedenen Reformversuchen werden die Bedürfnisse (nicht nur nach Wissensvermittlung) der sofort und der später Betroffenen weniger berücksichtigt als die augenblicklichen Interessen der Lehrer, die ideologischen Vorstellungen der politischen Gruppierungen und die Erfordernisse der Wirtschaft."

Die kirchlichen Vorstellungen zur Schulpolitik unterscheiden sich gerade dadurch von vielen parteipolitk sehen, daß sie Erziehung nicht isoliert, sondern in einem sozio-kulturel-len Zusammenhang sehen: Das hob Zapötocky ebenso wie Univ.-Prof. Edgar Josef Korherr (Graz) hervor.

Korherr begründete aus katholischer Sicht auch die Notwendigkeit eines konfessionell orientierten Religionsunterrichtes an der Schule: Niemand ist ohne Weltanschauung. Auch Atheismus ist eine solche. Religion kann daher per definitionem nicht Privatsache sein, das weltanschauliche Element aus keiner Schule ausgeschlossen werden, denn auch „wertfreier" Unterricht käme einer bestimmten Wertung gleich. Die Sinnfrage gehört einfach zur ganzheitlichen Erziehung untrennbar dazu.

Um auf freie Entscheidungen vorzubereiten, ist es zunächst sinnvoll, den jungen Menschen in eine bestimmte Wertordung einzubinden, von der er sich später nach eigener Prüfung lossagen kann oder nicht. Auch in eine Nationalität, in eine Muttersprache, in einen gesellschaftlichen Umweltbezug wird man zuerst einmal hineingeboren, ehe man sich selbst entscheidet, wie man es damit später halten möchte.

Schließlich legte Weihbischof Helmut Krätzl auch Wert auf die Feststellung, daß „die Kirche nicht nur kritisieren, sondern auch aktive Hilfe anbieten will": durch Bewußtseinsbildung bei Lehrern und Eltern, in kirchlichen Organisationen und Schulen. Kirchlich geführte Pädagogische Akademien sollten „in vorbildlicher Weise die künftigen Lehrer auf die ganzheitliche Erziehung junger Menschen vorbereiten", kirchliche Schulen „sich noch mehr als bisher an Schulversuchen beteiligen, da sie in ihrer Geschlossenheit sehr gute Voraussetzungen dafür mitbringen". Auch die außerschulische Jugendarbeit dürfe als wertvolle Ergänzung der Erziehung in Familie und Schule nicht geringgeschätzt werden.

„Die Kirche steht in der Frage der Schulreform nicht auf Seite einer politischen Partei, sondern auf der Seite des Kindes", formuliert der immer öffentlichkeitswirksame Schulbischof. Darüber sollen jetzt weder ÖVP-Schulpolitiker jammern noch ihre SPÖ-Visavis gleich triumphieren.

Das kann (und wird wohl) in der Praxis noch immer bedeuten, daß Organisationsmodelle der einen Seite der Verwirklichung solcher Ziele bessere Voraussetzungen bieten als die der anderen. Aber bei aller notwendigen Deutlichkeit der Diskussion auch darüber sollte man doch nicht vergessen, was Professor Korherr in Erinnerung rief: „Die Bibel ist kein Rezeptbuch für Schulor-ganisationsfragen."

Sehr wohl aber ist die Bibel ein „Rezeptbuch", wie junge Menschen von ihren erwachsenen Mitbürgern (auch in der Schule) zu behandeln sind: ein Mühlstein um den Hals derer, die ihnen (wissentlich oder gedankenlos, aus ideologischem Fanatismus, Bequemlichkeit oder Unfähigkeit) Schaden zufügen an Seele oder Leib!

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